Alexander von Humboldts Messtechnik. Werner Richter Manfred Engshuber

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Alexander von Humboldts Messtechnik - Werner Richter Manfred Engshuber

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dass bei den Schilderungen des Gebrauchs der verwendeten Instrumente und bei der Angabe von gewonnen Messdaten zwar oft die Termini „sehr genau“ oder „besser als“ auftauchen. Konkretere Aussagen im Sinne einer heute selbstverständlichen Angabe von relativen Unsicherheiten sind selten und dann oft nur verbaler Art. Interessant wäre sicher auch die mathematische Aufarbeitung der von Humboldt aufgezeichneten und oft erst später ausgewerteten Messdaten. Diese stehen ihrerseits oft in engem Zusammenhang mit den astronomischen und geografischen Berechnungen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Darauf einzugehen würde unseren Wirkungskreis überschreiten.

      Wir beschränken uns deshalb vorwiegend auf Aussagen über die von Humboldt auf seinen Reisen benutzten Instrumente und Methoden zur Erfassung der vielen Orts- und Klimadaten und deren messtechnischen Eigenschaften. Gerätebeschreibungen in früheren Publikationen (incl. der in den Humboldt’schen Aufzeichnungen) sollen dabei weder kopiert noch variiert werden, sondern es wird eine Abschätzung der Gütemerkmale aus heutiger ingenieurwissenschaftlicher Sicht versucht. Im Vordergrund stehen dabei die von Humboldt genutzten Methoden und Techniken, mit denen er gesicherte Messergebnisse erreichen wollte und auch erzielte, diese kritisch bewertete und mit anderen Angaben verglich.

      Eine solche Betrachtung erfordert allerdings auch Rückgriffe auf den in den 17./18./19. Jahrhunderten existierenden Kenntnisstand in den Naturwissenschaften, deren Teildisziplinen und über die verfügbare Technik. Dabei notwendig erscheinende Reflexionen auf manche Unsicherheiten und Fehldeutungen von Gelehrten der damaligen Zeit sind vielleicht sogar geeignet, die Bewertung der Gesamtleistung Humboldts um einige Nuancen zu erweitern – wohlgemerkt aus unserer ingenieurtechnisch geprägter Sicht, und ohne Bezüge auf die vielen botanischen, zoologischen, ethnographischen oder soziologischen Aspekte in seinen Arbeiten.

      Für Natur- und Technikwissenschaftler wird manche Rückschau vielfach Bekanntes wiederholen. Wir wollen damit aber auch Lesern anderer Disziplinen das schon damals breite Wissensspektrum erläutern, mit dem sich Humboldt befassen musste, um seine großen Vorhaben in Angriff nehmen und ausführen zu können.

      Ergiebige Quellen für unsere Betrachtungen waren – neben der Fülle an Literatur von und über Alexander von Humboldt – speziell seine Reisetagebücher, die Frau Dr. Margot Faak systematisch erschlossen hat [1], sowie zwei neuere Bücher von F. Brandt [2] und M. Schöppner [5]. Für diese für uns äußerst wertvollen Vorarbeiten gebührt den Autoren und Herausgebern unser herzlicher Dank.

      Ebenso danken wir ausdrücklich Herrn Dr. Ingo Schwarz von der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Berlin, und Frau Univ.-Prof. (i.R.) Dr. Dr. Dagmar Hülsenberg, Ilmenau für die fördernde Begleitung, ohne die eine solche von uns beabsichtigte Arbeit nicht zu bewältigen gewesen wäre. Gleichermaßen danken wir Herrn Prof. Dr. Andreas Hebestreit, Leipzig, Frau Dr. Anke Richter, Rossendorf und Herrn Freiherr Georg von Humboldt, Bammenthal für wertvolle helfende Hinweise.

      Döbeln und Ilmenau, im März 2014

      Werner Richter, Manfred Engshuber

      1. Einführung

      1.1. Wissenschaft und Technik um 1800

      Der Zeitraum ab Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis weit in das neunzehnte Jahrhundert hinein war geprägt von Veränderungen in der Gesellschaft, deren Abfolge und Wirkungsbreite im wahren Wortsinne nachhaltig gewesen ist. Solche Veränderungen werden berechtigt als Revolutionen bezeichnet, seien es die Französische Revolution, die bürgerlichen Revolutionen in anderen Ländern oder die Industrielle Revolution. Derart große gesellschaftliche Umwälzungen blieben verständlicherweise nicht ohne Auswirkungen auf Wissenschaft und Technik. So befand sich die Produktion materieller Güter ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ebenfalls in einer revolutionären Umbruchphase. Der Übergang von der überwiegend manuellen Fertigung in Manufakturen, die in Handarbeit Luxus- und Konsumgüter (Gobelins, Porzellan, Glaswaren, Nähnadeln, Lederwaren, Waffen) herstellten, hin zur maschinengestützten Serienproduktion ist ein wesentliches Kennzeichen der Industriellen Revolution. Weitere und nicht weniger bedeutende Aspekte sind neben der Umwälzung der sozialen Verhältnisse die radikalen Veränderungen der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsumgebungen in bis dahin nicht bekanntem Umfang.

      Mechanische Energie aus dem Betrieb von Wasser- und Windmühlen wurde zwar genutzt, war aber standortgebunden, und die Dauerleistung von Menschen und Tieren als mobil einsetzbare animalische Energielieferanten hatte enge Grenzen. Langzeitig kann der Mensch mechanisch nur etwa 100 Watt leisten1. In den englischen Kohlegruben z. B. dienten unter Tage Pferde als Zugtiere zum Kohletransport. Pferde können etwa die fünffache Menge an Arbeit des Menschen verrichten, benötigen dazu aber auch etwa die fünffache Menge an Nahrungsenergie2. Bei steigender Kohleförderung wäre also bald die gesamte verfügbare landwirtschaftliche Nutzfläche nötig gewesen, nur um die eingesetzten Zugtiere ernähren und damit die Kohleförderung steigern zu können. Die Umwandlung eines vorhandenen fossilen Energieträgers (Steinkohle und auch Holz) in mechanische Energie war also eine Art Zwangsbedingung für eine quantitative und qualitative materielle Entwicklung. Erst die Verbrennung von Kohle zur Dampferzeugung und deren Umsetzung in mechanische Arbeit mit Hilfe der Dampfmaschine ermöglichte eine maschinelle Großproduktion3. Zusätzlich begünstigt wurde das durch Transportmöglichkeiten größerer Massen auf dem Wasserweg, was eine rein ortsgebundene Nutzung von Energie weitgehend ersetzen konnte.

      Diese durch eine neu erschlossene Energiequelle provozierten Wandlungsprozesse fanden schnell ihren Niederschlag in den Naturwissenschaften, in der Philosophie und in der Ökonomie. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden mit der industriellen Entwicklung neue Erkenntnisfelder, neue Theorien und neue Berufsgruppen. Eine großtechnisch betriebene Energieumwandlung erforderte Fachkenntnisse über thermische Umwandlungsprozesse und eine verlässliche Berechenbarkeit von Konstruktionsteilen. Beide Bereiche bedingten einander, denn tragische Unfälle bei Dampfkessel-Explosionen erforderten eine theoretische Durchdringung der Ursachen und Auswirkungen, und durch verbesserte Theorien wuchsen zugleich die Effizienz von Prozessen und die Sicherheit von Produkten.

      Die einsetzende industrielle Produktion benötigte also Fachleute, die eine Verbindung von mathematischen und naturwissenschaftlichen Kenntnissen beherrschten und diese anwenden konnten. Solche Ingenieure4 wurde erstmalig in Frankreich an der École polytechnique ausgebildet. Dort lehrten im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts berühmte Wissenschaftler wie Pierre-Simon Laplace, Joseph-louis Lagrange, Siméon Denis Poisson und Augustin-louise Cauchy, mit deren Namen viele für den Ingenieur selbstverständliche Gesetzmäßigkeiten und Formeln verknüpft sind. Ein typisches Beispiel dafür ist die sog. Laplace-Transformation, mit der reelle Funktionen aus dem Zeitbereich in den komplexen Frequenzbereich überführt und auf diese Weise elegant lösbar gemacht werden. Die rein statische Betrachtungsweise technischer Vorgänge ließ sich also mit Hilfe der Infinitesimalrechnung auf zeitabhängige Größen ausdehnen. Die Ingenieurwissenschaften erlangten durch die Verbindung von Theorie und Praxis ihre zunehmende Selbstständigkeit5.

      Weniger beeinflusst von großtechnischen Prozessen blieb ein eher elitärer Berufszweig. Nur in wenigen Orten in Europa gab es Werkstätten, die in der Lage waren, Messinstrumente für die naturwissenschaftliche Forschung herzustellen. Meistens standen sie in direkter oder indirekter Verbindung mit universitären Laboratorien oder privaten Forschern. Bedurfte es schon erheblicher technologischer Kenntnisse und handwerklicher Fertigkeiten, um Behausungen, Bekleidung, Werkzeuge und Waffen und nicht zuletzt Schmuck für die Obrigkeiten herzustellen, so erforderte die Herstellung von Geräten zur Zeitbestimmung, der Gestirnbeobachtung und für den Warenaustausch materieller Güter spezielle Materialkenntnisse und vor allem ganz spezielle Fertigkeiten6. Dafür eingesetzte Materialien waren neben Glas und Silber vorwiegend Messing. Dessen Korrosionsbeständigkeit und die gegenüber Eisen leichtere mechanische Bearbeitung waren entscheidende Gründe für seine Verwendbarkeit.

      Historisch

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