Alexander von Humboldts Messtechnik. Werner Richter Manfred Engshuber
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Zur Zeit seiner Amerikareise war zum Beispiel die Bildung eines einfachen arithmetischen Mittelwerts die noch übliche Verfahrensweise, d. h. die wiederholt an gleicher Stelle und unter gleichen Bedingungen gemessenen Einzelwerte wurden aufsummiert und durch die Anzahl der Messungen geteilt. Diese Zusammenfassung von einzelnen Messwerten zu einem „mittleren“ Wert musste erwartungsgemäß sicherer sein als ein Einzelwert.
Carl Friedrich Gauß befasste sich in Hannover seinerzeit ausgiebig mit der Auswertung von astronomischen Messungen und entwickelte daraus die Methode der kleinsten Quadrate: Die Summeaus denQuadratenderAbweichungen wird minimiert, was auf das wahrscheinlichste Ergebnis für eine vorher gewonnene große Zahl von Messwerten führt. Mit dieser Methode werden Fehler der Einzelbeobachtungen mehr oder weniger gut ausgeglichen („Ausgleichsrechnung“), und sie ist unentbehrlich für eine exakte Auswertung von Beobachtungs- und Messergebnissen23. Gauß hatte sich schon früh damit beschäftigt, aber erstmals 1810 darüber publiziert. Da Humboldt mit Carl Friedrich Gauß erst 1826 persönlich bekannt wurde, ist nicht anzunehmen dass er die Ausgleichsrechnung um 1800 schon kannte, angewendet hat oder anwenden ließ. Mit der Methode der Mittelwerte gelang ihm allerdings schon die schlüssige Verbindung von Temperatur- und geografischen oder anderen Daten zu neuen Erkenntnissen.
Die von Humboldt in seinen Briefen und Ausrüstungsverzeichnissen erwähnten Geräte und Instrumente24, die er auf seinen Reisen mitführte, gestatteten ihm astronomische, geomagnetische, barometrische und Temperaturmessungen25. Sie wurden benötigt, um sein großes Arbeitsprogramm abarbeiten zu können, das er 1807 so umschrieb ([16, S. 38], zitiert in [2, S. 17]):
„Ich habe es gewagt, ein physikalisches Gemälde der Äquinoctialgegenden zu entwerfen. Ich habe versucht alle Erscheinungen zusammenzustellen, welche den Boden und den Luftkreis, von den Küsten des stillen Meeres an bis zum Gipfel der Kordilleren, dem Beobachter darstellt. Dasselbe umfaßt: Vegetation; Thiere; Geognostische [geologische] Verhältnisse; Ackerbau; Luftwärme; Grenzen des ewigen Schnees; Elektrische Tension der Atmosphäre Abnahme der Gravitation; Dichtigkeit der Luft; Intensität der Himmelbläue; Schwächung des Lichts beym Durchgang durch die Luftschichten; Strahlungsbrechung am Horizonte und Siedehitze des Wassers in verschiedenen Höhen über der Meeresfläche.“
Mehrere Publikationen der letzten Jahre beschreiben die von Humboldt benutzten Instrumente und sein methodisches Vorgehen, vor allem die detailreichen Arbeiten von Brand [2], Honigmann [3] und Schöppner [5]. Darauf wird in der Folge mehrfach Bezug zu nehmen sein. Bei Seeberger [4] werden viele Instrumente aus Humboldts Zeit oder von ihm selbst benutzte Geräte in ausgezeichneter Bildqualität wiedergegeben.
Die von Brand in [2] akribisch recherchierte Auflistung der von Humboldt benutzten Messgeräte umfasst insgesamt 84 (!) Positionen, u. a.
7 Geräte zur Zeitmessung
14 Geräte zur Messung von Geophysik und Magnetismus
24 optische Geräte zur Höhen- und Lagebestimmung
5 Thermometer
9 Barometer und Geräte zur Höhenbestimmung
12 Geräte für Klimakunde, Meteorologie und elektrophysikalische Untersuchungen
4 sonstige Geräte.
Brand hat dazu die einschlägigen Schriften von und über Alexander von Humboldt incl. des Nachlasses ausgewertet, so dass seine Liste von weitgehender Vollständigkeit sein dürfte. Natürlich hat Humboldt nicht auf jeder Reise das gesamte Spektrum mitgeführt – bei Durchsicht aller Verzeichnisse dominieren aber Instrumente und Gerätschaften zur Orts-, Höhen- und Lagebestimmung, zur Ermittlung klimatischer Daten und Zustände sowie zur Luft- und auch Wasseranalyse, wie das obige Zitat deutlich formuliert. Die folgenden Kapitel werden sich mit diesen Geräten beschäftigen.
Einen erheblichen Teil seiner Reisevorbereitungen widmete Alexander von Humboldt der methodischen Vorbereitung und dem Studium von verfügbaren Unterlagen. Zusätzliche Reisen in europäische Länder verfolgten den gleichen Zweck. In Dresden und Umgebung übte er sich beispielsweise in barometrischen Höhenmessungen. Sein Bezugspegel war dabei die Elbe, genauer der seinerzeit gültige (mittlere) Elbspiegel. Die Zahlenangaben im Tagebuch sind Relativwerte [9, S. 56V]. So ermittelt er die Höhe der Festung Königstein zu 140,39 Toisen über der Elbe, die dort gegenüber Dresden um 5,27 Toisen höher anzusetzen ist. Ebenso verglich Humboldt in [9, S. 61R] seine barometrische Höhenmessung des Schlossberges von Töplitz (jetzt: Teplice, CR; 88,6 Toisen = 172,68 m) mit den Angaben von Schluckenau aus dem Jahr 1779 von etwa 90 Toisen.
Ein weiteres Beispiel für die Gründlichkeit seiner Vorgehensweise sind Notizen zur Österreich-Reise 1796 in [9, S. 63R]. Für Salzburg hat er in verfügbaren Kartenwerken folgende Koordinaten gefunden und durch eigene Messungen überprüft (Tabelle 1 auf Seite 24).
Die Begründung für seine eigenen Messungen findet sich in einem Brief vom 28.10.1797 [22]:
„Da in der ganzen Stadt keine Mittagslinie gezogen ist und selbst die Polhöhe unbekannt ist, so habe ich die heiteren Tage zum Sextanten benutzt (…)“.
Während die Breitenangaben in Tabelle 1 fast identisch sind, weisen die Längenangaben zum Teil erhebliche Unterschiede auf. Ursache ist die seinerzeit ungenügend genaue Zeitbestimmung (siehe Kapitel 2) – ein Grund mehr, die jeweils besten verfügbaren Instrumente zu benutzen und auf der Basis des eigenen Kenntnisstandes die Ergebnisse kritisch zu hinterfragen.
Tabelle 1: Koordinaten von Salzburg26
Alle diese Studien und Lernprozesse waren Voraussetzung für die enormen späteren Leistungen bei der Erkundung und Erforschung vorher wenig erschlossener Territorien, was zusammenfassend als Physikalische Geografie Humboldts bezeichnet wird [23]. Humboldts wissenschaftliche Leistungen waren, so Honigmann in [3], vorallem wissenschaftliche Leistungen eines Entdeckers mit dem Messinstrument. Es ging weniger darum, neue Berge oder Länder zu entdecken, als vielmehr um zuverlässigere Werte von Dingen, die dem Namen nach zwar bekannt, aber nicht oder nur ungenügend datiert waren.
1.3. Maßsysteme
Das Ergebnis einer Messung ist die Angabe einer physikalischen Größe in Form eines Produkts aus einer Zahl, multipliziert mit einer Einheit. Dieses Produkt resultiert aus dem Vergleichsvorgang, bei dem eine qualitative Eigenschaft (Länge, Masse, Temperatur, …) mit einer Maßverkörperung quantitativ verglichen wird. Eine solche Maßverkörperung (einfaches Beispiel: Lineal zur Längenmessung) ist in Einheiten skaliert, und die Geschichte des Messens ist im Grunde eine Geschichte der Maßverkörperungen, der benutzten Einheiten, deren Definitionen und ihrer Skalierung.
Heute ist selbstverständlich, dass der Messwert ein Produkt aus Zahlenwert und Einheit ist. Das war nicht immer so. Bei Ausgrabungen im heutigen Irak fand man in den siebziger Jahren einige tausend Tontäfelchen, die, überraschend für die Archäologen, keine Gesetze oder Lobpreisungen enthielten, sondern die „Buchhaltung“ einer Dynastie