Literarische Texte als Sprechanlässe im Deutschunterricht. Н. А. Евгеньева

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Literarische Texte als Sprechanlässe im Deutschunterricht - Н. А. Евгеньева

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war in der Nacht,

      tanzten sie auf den Straßen, nur

      an mich hatte keiner gedacht.

      Und als ich dann wieder vorm Rathaus stand

      und forderte meinen Lohn,

      schlug man auch diesmal die Tür vor mir zu

      und erklärte mir voller Hohn,

      nur der Teufel könne bei meiner Arbeit

      im Spiel gewesen sein,

      deshalb sei es gerecht, ich triebe bei ihm

      meine hundert Taler ein.

      Doch ich blieb und wartete Stunde um Stunde

      bis zum Abend vor jenem Haus,

      aber die Ratsherren, die drinnen saßen,

      trauten sich nicht heraus.

      Als es Nacht war, kamen bewaffnete Kerle,

      ein Dutzend oder mehr,

      die schlugen mir ihre Spieße ins Kreuz

      und stießen mich vor sich her.

      Vor der Stadt hetzten sie ihre Hunde auf mich,

      und die Bestien schonten mich nicht.

      Sie rissen mich um und pissten mir noch

      ins blutende Gesicht.

      Als der Mond schien, flickte ich meine Lumpen,

      wusch meine Wunden im Fluss

      und weinte dabei vor Schwäche und Wut,

      bis der Schlaf mir die Augen schloss.

      Doch noch einmal ging ich zurück in die Stadt

      und hatte dabei einen Plan,

      denn es war Sonntag, die Bürger traten

      eben zum Kirchgang an.

      Nur die Kinder und die Alten

      blieben an diesem Morgen allein,

      und ich hoffte die Kinder würden gerechter

      als ihre Väter sein.

      Ich hatte vorher mein zerfleischtes Gesicht

      mit bunter Farbe bedeckt

      und mein Wams, damit man die Löcher nicht sah,

      mit Hahnenfedern besteckt.

      Und ich spielte und sang, bald kamen die Kinder

      zu mir von überall her,

      hörten, was ich sang mit Empörung

      und vergaßen es nie mehr.

      Und die Kinder beschlossen, mir zu helfen

      und nicht mehr zuzusehn,

      wo Unrecht geschieht, sondern immer gemeinsam

      dagegen anzugehn.

      Und die Hamelner Kinder hielten ihr Wort

      und bildeten ein Gericht,

      zerrten die Bosheit und die Lügen

      ihrer Väter ans Licht.

      Und sie weckten damit in ihren Eltern

      Betroffenheit und Scham,

      und weil er sich schämte, schlug manch ein Vater

      sein Kind fast krumm und lahm.

      Doch mit jeder Misshandlung wuchs der Mut

      der Kinder dieser Stadt,

      und die hilflosen Bürger brachten die Sache

      vor den hohen Rat.

      Es geschah, was heute noch immer geschieht,

      wo Ruhe mehr gilt als Recht,

      denn wo die Herrschenden Ruhe woll’n,

      geht’s den Beherrschten schlecht.

      So beschloss man die Vertreibung

      einer ganzen Generation.

      In der Nacht desselben Tages begann

      die schmutzige Aktion.

      Gefesselt und geknebelt,

      von den eigenen Vätern bewacht,

      hat man die Kinder von Hameln ganz heimlich

      aus der Stadt gebracht.

      Nun war wieder Ruhe in der Stadt Hameln,

      fast wie in einem Grab.

      Doch die Niedertracht blühte, die Ratsherren fassten

      eilig ein Schreiben ab.

      Das wurde der Stadtchronik beigefügt

      mit dem Stempel des Landesherrn

      und besagt, dass die Kinder vom Rattenfänger

      ermordet worden wär’n.

      Doch die Hamelner Kinder sind nicht tot,

      zerstreut in alle Welt,

      haben auch sie wieder Kinder gezeugt,

      ihnen diese Geschichte erzählt.

      Denn auch heute noch setzen sich Menschen

      für die Rechte Schwächerer ein,

      diese Menschen könnten wohl die Erben

      der Hamelner Kinder sein.

      Doch noch immer herrscht die Lüge

      über die Wahrheit in der Welt,

      und solange die Gewalt und

      die Angst die Macht in Händen hält,

      solange kann ich nicht sterben,

      nicht ausruhn und nicht fliehn,

      sondern muss als Spielmann und Rattenfänger immer

      weiterziehn.

      Denn noch nehmen Menschen Unrecht

      als Naturgewalt in Kauf,

      und ich hetze noch heute die Kinder dagegen

      immer wieder auf.

      3 Die vorliegende Ballade wurde von dem Liedermacher Hannes Wader 1974 verfasst und stellt eine deutliche Reminiszenz an die Ereignisse des Jahres 1968 in Osteuropa dar. Der Kampf der Demokratie gegen Totalitarismus wird metaphorisch durch den Generationenkonflikt gestaltet. Nehmen Sie Stellung zu dem im Text aufgegriffenen Problem.

Wortschatzhilfen

      1) „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“;

      2) „Prager Frühling“;

      3) die Reformen durchführen, die für die Bürger größere Freiheiten bedeuten;

      4) die Zensur der Presse lockern;

      5) das Recht auf freie Meinungsäußerung wieder herstellen;

      6) die Reisebeschränkungen aufheben;

      7) die Mitsprachemöglichkeiten haben;

      8) Es kommt zu Protesten.

      9) Die Proteste weiten sich aus.

      10) Es kommt zu Massendemonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmern.

      11) mit Gewalt (Repressionen) reagieren;

      12) Veränderungen herbeiführen;

      13) Unnachgiebigkeit und jugendlicher Maximalismus im Kampf um die menschliche Würde – „vernunftmäßige“ Neigung zur Ruhe und Kompromissbereitschaft

      Gegenseitige Beschuldigungen von Ost und West im Kalten Krieg

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