Der Waldläufer. Gabriel Ferry

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Der Waldläufer - Gabriel  Ferry

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briel Ferry

      DER WALDLÄUFER

      Vorbemerkung

      Gabriel Ferry, mit seinem wirklichen Namen Ferry de Bellamare, wurde im November 1809 in Grenoble geboren. Leider fehlen uns Nachrichten über seine Jugend und seinen Bildungsgang, und wir wissen nur, daß er den größten Teil seines Lebens auf Reisen in Amerika verbrachte. So kam er denn auch beim Brand des Schiffes »Amazone«, das sich auf der Fahrt nach Kalifornien befand, ums Leben. Das Schiff verbrannte am 5. Januar 1852, und Ferry befand sich unter denen, die sich nicht retten konnten.

      Ferrys Schriften, die sich durch treffliche Naturmalerei und feine Charakteristik auszeichnen, erschienen in der »Revue des deux Mondes«; sie machen durchwegs den Eindruck des Selbstgesehenen, Selbsterlebten und legen nicht nur beredtes Zeugnis ab für seine dichterische Begabung, sondern auch für hochentwickelten malerischen Sinn. Wir verweisen hierbei nur auf seine Schilderung des »Val d‘Or« im vorliegenden »Waldläufer«. »Le coureur des bois – Der Waldläufer« ist eines seiner geschätztesten Werke – vielleicht sein bestes; die Übersetzung von Dr. G. Füllner, ist vor allen Dingen nicht nur nicht gekürzt, also eine vollständige Wiedergabe des Originals, sondern auch, was treue Anlehnung an letzteres betrifft und auch sprachlich eine der besten.

      1. Pepe der Schläfer

      Der Hafen von Elanchove an der Küste der Biskaya bietet ein malerisches und imposantes Landschaftsbild. Als ich bei meiner Rückkehr aus Amerika, von einem jener Zufälle geleitet, wie sie in einem abenteuerlichen Leben vorkommen, eines Tages in Elanchove landete, richtete ich jedoch meine Aufmerksamkeit nicht hauptsächlich auf das Landschaftsbild. Ich wandte sie vielmehr einem alten Schloß zu – dem einzigen der Art, das vielleicht in Spanien existiert —, das mit seinem Schieferdach und seinen gotischen Wetterfahnen auf dem Gipfel der höchsten Klippe emporragte. Ich hatte in diesem alten Schloß die Örtlichkeit wiedererkannt, wo eine dramatische Geschichte begonnen hatte, die mir wenige Jahre vor meiner Rückkehr aus Mexiko in den Wäldern des Staates Sonora erzählt worden war.

      Der Felsgürtel, auf dem sich dieser Herrensitz erhebt, schließt den kleinen Hafen von Elanchove ein, der von einem aus behauenen Steinen errichteten Damm geschützt wird.

      An der Stelle, wo sich dieser nicht sehr hohe Hafendamm mit dem Land verbindet, beginnt man die zu natürlichen Stufen angeordneten Klippen zu ersteigen, auf denen sich die Häuser des Hafenortes amphitheatralisch emporziehen. Eine Straße, die einer riesenhaften Treppe gleicht, macht das ganze Dorf Elanchove aus.

      Da die Einwohnerschaft einzig aus Fischern besteht, die am Tag abwesend sind, so erscheint Elanchove zuerst vollständig unbewohnt; aber von den Dächern der schornsteinlosen Häuser steigt der Rauch der Abendmahlzeit auf, die die Hausfrauen bereiten; von Zeit zu Zeit erscheint an der Tür der Hütten in ihren grellfarbigen Röcken und ihren doppelten, bis aufs Knie herabfallenden Haarflechten eine Gattin, die von einer Wolke am Horizont beunruhigt wird, oder eine Mutter, die ihr Kind stillt. Die eine überfliegt mit ängstlichem Blick das unendliche Meer, die andere gewöhnt ihren Sohn an den salzigen Geruch des Meerauswurfs und der Algen und an die Schärfe des Seewindes. Beide horchen sie traurig dem Pfeifen der Brise zu, die, während sie das schlummernde Wasser des Hafens kaum kräuselt, auf diesen kahlen Höhen laut brüllt, die Rauchflocken fortführt und zerstreut und die am Eingang der Hütten unordentlich zum Trocknen aufgehängten buntscheckigen Lumpen wild durcheinanderwirbelt.

      Einen solchen Anblick bietet heute das Dorf Elanchove, dessen Stille und Einsamkeit oben im Verein mit dem Getöse der Wellen am Fuß der Klippen, auf die es hingelagert ist, gleichzeitig eine Empfindung von Schreck und Melancholie einflößen.

      Im Monat November 1808 machte Elanchove einen noch viel traurigeren Eindruck. Die Nähe der französischen Armee hatte einen Teil der Einwohner in die Flucht gejagt; sie hatten in ihrer Furcht vergessen, daß ihre Armut sie gegen jeden Verlust schützte, und hatten sich in ihren Barken entfernt, um einem von ihnen gefürchteten Überfall zu entgehen.

      Die Geschichte des Schlosses von Elanchove ist, wie ich schon gesagt habe, innig verbunden mit der Geschichte des »Waldläufers«. Dieses Schloß gehörte der Familie Mediana und bildete den einen Anteil des großen Majorats, das in diesem alten Haus gegründet war. Seit langer Zeit jedoch hatten die Grafen von Mediana diesen wilden Aufenthaltsort nicht bewohnt, bis zu Anfang des Jahres 1808 das Haupt der Familie, der älteste Sohn des letzten Grafen von Mediana, den Entschluß faßte, seine junge Gemahlin und sein Kind hierherzuschicken. Als höherer Offizier der spanischen Armee hatte nämlich Don Juan de Mediana dieses Schloß zum sicheren Asyl für seine Gemahlin Donna Luisa, die er leidenschaftlich liebte, gewählt. Auch noch ein anderer Beweggrund hatte seine Wahl bestimmt: Der Alkalde von Elanchove nämlich war ein alter Diener des Hauses, und er rechnete auf seine Ergebenheit für eine Familie, die ihn zu dem Rang, den er einnahm, erhoben hatte. Don Ramon Cochecho war der Name dieser obrigkeitlichen Person Elanchoves.

      Dieser traurige Aufenthaltsort entsprach aber nicht allein einer bevorstehenden Trennung, die durch militärische Pflichten gefordert wurde; er paßte auch für die ersten Zeiten einer unter traurigen Vorbedeutungen geschlossenen Verbindung. Denn der jüngere Bruder Don Juans, Don Antonio von Mediana, liebte ebenfalls Donna Luisa. Seitdem diese aber geradezu erklärt hatte, wen sie am meisten liebe, hatte er das Land verlassen, und man hatte ihn nicht wiedergesehen. Das Gerücht von seinem Tod hatte sich sogar verbreitet, war aber durch nichts bestätigt worden.

      Doch wie dem auch sein mag – Don Juan blieb nur kurze Zeit in Elanchove; höhere Befehle zwangen ihn, seinen Aufenthalt im Schloß seiner Väter abzukürzen. Er reiste ab und überließ seine Gemahlin der besonderen Sorgfalt eines alten Dieners; aber er verließ sein Heim, um nicht wiederzukehren. Eine französische Kugel erreichte ihn in einem der Kämpfe, die der Schlacht bei Burgos vorangingen.

      Den getrübten Freuden der ersten Zeit ihrer Ehe folgte nun für Donna Luisa die Trauer eines frühzeitigen Witwenstandes. Um diese Zeit, als das Schloß von Elanchove der düstere Zeuge des Schmerzes der Gräfin von Mediana war, beginnt unsere Erzählung: im Monat November 1808.

      Man kann sich wohl denken, daß der Hafen von Elanchove, vereinzelt, wie er an der Küste der Biskaya lag, seine Besatzung von Küstenwächtern hatte. Ihre Lage war jedoch damals traurig. Die spanische Regierung stritt ihnen zwar keineswegs ihren Sold ab, vergaß aber anderseits ständig, ihnen diesen auszuzahlen. Dazu kam noch, daß die Schmuggelei, mit der sie sich durch Beschlagnahme der Güter zuweilen hätten entschädigen können, gänzlich darniederlag. Die Schmuggler hüteten sich wohl, Leuten zu trotzen, deren Not ihre Wachsamkeit verdoppelte. Vom Capitan der Grenzjäger, Don Lucas Despierto, an bis zum geringsten Soldaten entfalteten alle eine unermüdliche Wachsamkeit, woraus denn auch folgte, daß der spanische Fiskus, ohne nur den Beutel zu öffnen, Diener hatte, die ihn wenig kosteten und ihm doch treu waren.

      Ein einziger dieser Küstenwächter zeigte in bezug auf die Schmuggler einen gänzlichen Zweifel; er ging sogar so weit, zu leugnen, daß es jemals solche gegeben habe. Er war dadurch bekannt, daß er immer auf seinem Posten einschlief, und seine geheuchelte oder wirkliche Teilnahmslosigkeit hatte ihm den Beinamen »der Schläfer« zugezogen, den er denn auch nach besten Kräften rechtfertigte.

      Er genoß dank seines Rufes ein vollkommenes Glück. Das Leben schien für ihn nur ein langer Schlaf zu sein. Ständig in seiner Hängematte ausgestreckt, schlief er zwanzig Stunden des Tages, und zwar mit dem ganzen Bewußtsein seines Glücks; während seines Schlafes träumend, daß er schliefe, und nach seinem Erwachen beim Rauchen seiner Zigarre denkend, daß er bald wieder schlafen würde. Sehr selten stellte man ihn darum auch auf Posten an irgendeinen Ort.

      José – oder abgekürzt Pepe – war ein Bursche von fünfundzwanzig Jahren, hoher Figur, mager und nervig. Seine schwarzen, ganz von dicken Augenbrauen überschatteten Augen mußten einst funkelnd gewesen sein. Sein Gesicht trug die Züge derjenigen, die von der Natur Reizbarkeit geerbt haben; aber sei es nun Krankheit, sei es eine andere Ursache – seine Züge schienen aus Marmor zu sein, so sehr hatte die Schlafsucht, die gewöhnlich auf

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