Eva Siebeck. Bertha von Suttner
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»Und in Großstetten?« meinte die Großmutter.
»Zur Jagdzeit allenfalls – jetzt, um diese Jahreszeit, ist es auch etwas öd hier.«
Ein schmerzlicher Ausdruck glitt über Evas Züge. Doch da sie fühlte, daß ihres Schwiegervaters Blick betrachtend auf sie gerichtet war, verscheuchte sie ihren Unmuth und wandte den Kopf zu Ralph, in der Absicht, eine gleichgiltige, ablenkende Bemerkung zu machen. Aber der verständnißinnige, sympathieerfüllte Ausdruck, den sie in seinem Gesicht sah, machte sie verstummen. Es war wie eine mitleidsvolle Frage, die da geschrieben stand, und sie konnte nicht anders, als auch ihrerseits durch stummes Mienenspiel gleichsam sagen: Ja, so ist es.
Nachdem die Tafel aufgehoben, begab man sich in den anstoßenden Salon und jetzt erst erhielt Eva Auskunft über die ihr noch unbekannten Tischgenossen. Der junge Mann mit dem bartlosen Gesichte war der Hofmeister der beiden jungen Leute – Irenens Brüder. Er und seine Schüler hatten sich vom Speisezimmer aus entfernt. Die ältliche Dame, welche jetzt in einer entfernten Ecke des Salons über einem Stickrahmen arbeitete, war eine im Hause aufgenommene arme Verwandte, Namens Fräulein Ottilie von Otterfeld. Den rundlichen Herrn stellte Graf Siebeck nunmehr selber vor:
»Doktor Hartung, liebe Eva, mein einstiger Mentor und mein treuer Freund. Allsommerlich macht mir Doktor Hartung die Freude, mich auf ein paar Monate zu besuchen und an meiner Erziehung nachzubessern. Ich glaube, er sieht immer noch einen schlimmen Buben in mir —«
»O, nach und nach wird sich vielleicht doch etwas aus Ihnen machen lassen, Graf Ralph,« scherzte der alte Herr. »Wenn man nur die richtige pädagogische Art und Ausdauer hat – —«
Irene trat hinzu.
»Soll ich Dich jetzt in Schloß und Garten herumführen, Eva?«
»Das hat Zeit, Kind.« sagte Siebeck. »Laß mir meine kleine Schwiegertochter noch ein Weilchen hier: ich möchte sie etwas näher kennen lernen. Setze Dich her, Eva – und laß uns plaudern.«
»So kommen Sie mit mir zum Klavier, Doktor Hartung, und benutzen wir die Viertelstunde, in welcher Onkel Ralph seine neue Tochter gründlich kennen lernt zu einer gründlichen Durchsicht der gestern angekommenen Noten.«
»Du, Eva,« rief Robert von der Ausgangsthüre her, »ich geh‘ jetzt fort, – werd‘ ein bissel im Meierhof nachsehen … und zum Jäger. Adieu allerseits.«
Eva hatte sich auf den ihr angewiesenen Sitz niedergelassen. Es war ein niederer Lehnstuhl inmitten einer der zahlreichen kleineren Möbelgruppen, die in regelloser Anordnung den Saal füllten: Dort ein Sopha, da eine Chaiselongue, hier ein mit Fauteuils umstellter großer Tisch; dazwischen Schirme, Lesepulte, Etagèren, kleinen Tischchen, Porzellankübel mit hohen Blattpflanzen und dergleichen mehr. Der Saal war länger als breit. In der Mitte führte eine Glasthür auf den Balkon. Zu beiden Seiten noch je zwei Fenster und spiegelbehängene Pfeiler. An den Schmalseiten der Wände, rechts und links von den in die Nebenzimmer führenden Thüren waren, statt der Tapeten vier hohe, bis an die Decke reichende Oelgemälde eingelassen, welche verschiedene, in Parkanlagen sitzende oder wandelnde überlebensgroße Figuren in Rococokostüm darstellten. An der hinteren, den Fenstern gegenüberliegenden Wand funkelte es von Konsolen, Wandleuchtern und venetianischen Spiegelrahmen. Auch die sehr hohe Decke, von der ein riesiger Kronleuchter herabhing, war mit künstlerischen Malereien geziert. Eva ließ mit Wohlgefallen, aber dennoch etwas zerstreut, ihren Blick über alle diese Dinge schweifen. Den Haupteindruck des umgebenden vornehmen Reichthums nahm sie mit Befriedigung wahr, aber die Einzelheiten beobachtete sie nicht – dazu waren ihren Gedanken zu sehr mit den neuen Familien- und Hausgenossen beschäftigt und von der Frage eingenommen: Wie wird sich mein Leben hier gestalten?
Da, wo sie saß, stand ihr zur Seite ein runder Tisch, auf welchen sie den Arm lehnte. Schräg gegenüber hatte sich Graf Ralph einen Sessel zurechtgeschoben.
Er rückte eine auf der Mitte des Tischteppichs stehende Blattpflanze etwas bei Seite:
»Dies verstellt mir die Aussicht auf Dich,« sagte er. »Und da ich Dich nun kennen lernen will, muß ich vor Allem Dein Gesichtchen studiren. Weißt Du, daß Du große Aehnlichkeit mit einer Frau besitzest, die mir vor Jahren sehr theuer gewesen —«
»Mit Roberts Mutter?«
»Nein, nein. Die ich meine, war eine Künstlerin – eine große Künstlerin. Sag‘, hast Du nicht vielleicht auch irgend ein Talent – übst Du keinerlei Kunst?«
Eva verneinte. »Das bischen Klavierspielen, das bischen Wasserfarbenmalen,« fügte sie hinzu, »verdient doch nicht so genannt zu werden.«
»Und hast Du Dich nie darnach gesehnt, irgend etwas Großes zu leisten, etwas Bedeutendes zu erreichen? Hochsteigender Ehrgeiz ist ja eine Kinderkrankheit, welcher wir Alle mehr oder minder ausgesetzt waren.«
»Wenn Du es so auffassest – dann habe ich allerdings auch einen solchen Anfall gehabt. Ich träumte – als ich zwölf bis vierzehn Jahre alt war – einst die größte Tragödin der Welt zu werden. Ich hatte mich an Schiller und Grillparzer begeistert. Mit welch‘ heldenhaftem Feuer wollte ich die Jungfrau von Orleans darstellen, mit welch‘ rührender Würde als Maria Stuart zum Schaffot gehen, mit welch‘ bezaubernder Koketterie als Eboli den Prinzen Carlos entzücken, wie tragisch als Sappho sterben, als Medea morden. Natürlich sind diese kindischen Ideen von meinen Eltern und von meiner eigenen erwachenden Vernunft rechtzeitig erstickt worden.«
»Wer weiß, ob das so vernünftig war! Vielleicht hattest Du wirklich Talent – obgleich der ehrgeizige Wunsch noch durchaus keine Bürgschaft dafür abgiebt.
Das ist nur so die Blüthekraft der Seele. Zum Licht, zum Glück, zum Glanz öffnen sich die knospenden Gefühle; – man will leben, lieben, siegen; man ist gedrängt, das Reichthumserbe der Nachwelt zu mehren – durch künstlerische Leistungen, durch unsterbliche Werke oder doch durch schöne und kräftige Nachkommen – und dabei glaubt das blühende Menschenkind, daß es blos seinem eigenen Ehrgeiz, seiner eigenen Liebessehnsucht fröhnte, während es doch nur im Dienste des allgemeinen Lebensentfaltungs- und Weltbereicherungsgesetzes wirkt … Du verstehst mich nicht – — verzeih, ich habe meine Gedanken nicht deutlich ausgedrückt. Was ich da sagte, war das Endglied einer langen Urtheilskette, die ich mir durch vieljährige Studien zurechtgeschmiedet habe – das läßt sich unmöglich mit ein paar Worten einem unvorbereiteten Geiste verdeutlichen.« —
»Und doch – mir ist, als hätte ich Dich einigermaßen verstanden,« entgegnete Eva. »Zwar nicht so. daß ich es wiedergeben könnte – es fuhr mir nur so wie ein Blitz durch den Geist – ein Blitz, der ein Stückchen ungekannten Horizonts erhellt hat … mir scheint, jetzt bin ich undeutlich.«
»Nicht doch: ich weiß recht gut, was Du sagen willst. Ich glaube, wir werden uns sehr gut verstehen, Klein-Eva. Verzeih – Du bist groß von Gestalt – aber ich habe das Bedürfnis, die Namen von Personen, die ich lieblich finde, zu verkleinern. »Eva« klingt gar so steif, und zwar so – wie soll ich sagen – menschengeschlecht-mütterlich, und Du hast so gar nichts von einer Stammmutter an Dir, Evelette – Evinka … siehst so frisch, so kindlich aus —«
»Ich bin doch schon bald vierundzwanzig – ein Jahr älter als mein Mann.«
»Ich weiß. Aber die Jahre thun es nicht —«
»Das sieht man an Dir, Pa – Nein, es geht nicht. Auch mir macht die Ansprache Schwierigkeiten. Wie Du mir nicht