Eva Siebeck. Bertha von Suttner
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Das kleine Mädchen war sehr begabt, und mit jedem Tage wuchsen ihre Fertigkeiten und Kenntnisse. Nebenbei entfaltete sich auch ihre Schönheit zu frühzeitiger Blüte. Mit dreizehn und vierzehn Jahren besaß sie die Erscheinung einer erwachsenen Jungfrau. Schon hatten – als sie ihren fünfzehnten Geburtstag feierte – ein Apothekergehilfe, ein dicker k. k. Major a. D., ein Hausherrensohn und ein Gymnasial-Unterlehrer, welche sich aus der Entfernung in die junge Baronesse verliebt, schriftlich und schwärmerisch um ihre Hand angehalten und waren ebenso schriftlich und lächelnd abgewiesen worden.
Daß die so herrlich begabte Kleine bestimmt sei, eine glänzende Stellung in der Welt einzunehmen, das stand bei den Eltern fest. Auch in ihr selber regten sich allerlei ehrgeizige Wünsche und Hoffnungen. Damals war es, daß die Idee, als große Tragödin die Welt zu erobern, in ihrem Innern keimte. Davon aber wollten Vater und Mutter nichts wissen. Die Trägerin des Namens Holten konnte sich – so meinten sie – nicht dazu erniedrigen, die Bühnenbretter zu betreten; ihr würde eine viel passendere und zugleich sicherere Möglichkeit geboten sein, ihr Glück zu machen: nämlich dasjenige, was in der Gesellschaftssprache eine »gute Partie« heißt. Aus diesem Ziele machten übrigens die Eltern dem Töchterchen gegenüber kein Hehl. Eva selber hatte nichts dagegen einzuwenden. Eine große Dame zu werden, ihre angeborenen Gelüste nach vornehmer Lebensführung befriedigen zu können: eine solche Aussicht lächelte ihr wohl zu. Aber als wichtigste Bedingung zur Annahme einer »guten Partie« behielt sie – die Poesie-Belesene – sich im Geiste vor, daß dabei auch das Herz seine Rechnung finden, daß ihr einstiger Gatte so liebend und so geliebt sein müsse, als nur irgend möglich. In dem kleinen Städtchen, das die Holtens bewohnten, hätte sich zur Verwirklichung dieser Pläne schwerlich Gelegenheit gefunden. Daher ward beschlossen, daß Eva, wenn herangewachsen, ein oder zwei Winter in Wien zubringen sollte, um dort in die große Welt, welcher sie der Geburt nach ja angehörte, eingeführt zu werden. Die hierzu nöthigen Mittel – nämlich ein paar Tausend Gulden für Toiletten, Wohnung u. s. w. – konnten in einigen Jahren zurückgelegt werden. Große Summen waren ja nicht erforderlich; denn die Eltern beabsichtigten keineswegs, in der Hauptstadt ein Haus zu machen und ihre Tochter selber auf Bälle, Theater u. s. w. zu begleiten; – dieses Amt sollte eine bestimmte Dame aus ihrem Verwandtenkreise übernehmen. Sie wollten nur gleichzeitig in Wien sein, um Eva nicht aus den Augen zu verlieren, um ihre Triumphe in nächster Nähe zu genießen und um sie in der Wahl eines Freiers zu leiten. Oftmals war berechnet und zu Papier gebracht worden, welcher Betrag erforderlich sei, um die Auslagen dieses – im eigentlichsten Sinne des Wortes – Eroberungszuges zu decken. Die Berechnungen hatten ergeben, daß noch bis zu Evas zwanzigstem Geburtstage gespart werden müsse.
Dieses Datum stand nun am Zukunftshorizont des heranwachsenden Mädchens wie die Pforte zu einer neuen, mit hundert Verheißungen gefüllten Existenz; der darauf gewendete Blick ließ sie alle kleinlichen Entbehrungen der Gegenwart, alle Einförmigkeit geduldig ertragen, und der Fleiß, den sie darauf verwendete, ihren Geist und ihre Talente auszubilden, hatte seinen Ansporn in der Idee, daß, je reichere Bildungsschätze sie sich aneignete, desto würdiger würde sie sein, jene Pforte zu überschreiten und die Glücksgaben in Empfang zu nehmen, die ihrer drüben harrten.
Die literarisch-wissenschaftliche Erziehung, welche Oberst Holten seiner Tochter angedeihen ließ, war nicht etwa eine moderne, vom Geist der Neuzeit durchdrungene. Er war selber kein moderner Mensch. Von den bewegenden Fragen und Entdeckungen der letzten Jahrzehnte war er unberührt geblieben. In der Literatur verehrte er nur die sogenannten Klassiker; die in jüngster Zeit aufgetauchten Schriftsteller verachtete er nicht etwa— er wußte einfach nichts von ihnen; ebensowenig hatte er eine Ahnung von dem Umschwung in den Naturwissenschaften. Sein Standpunkt hierin war über die in seiner Jugend offiziell gelehrten Anschauungen nicht hinausgewachsen. Bei alledem war er ein Mann von hoher Bildung, von gediegenem Wissen, von seinem ästhetischen Geschmack. Immerhin: indem er Eva seine Anschauungen und Kenntnisse mittheilte, indem er ihr seine Lieblingsschriftsteller zu lesen gab, brachte er sie auf eine hundertmal höhere Geistesstufe, als von den meisten ihrer Alters- und Standesgenossinnen eingenommen zu werden pflegt, welche im Kloster eigentlich nur Kinderbücher zu lesen bekommen und in einem Geiste aufgezogen werden, der den Begriffen eines vergangenen Jahrhunderts entspricht. Unter der Leitung ihres Vaters kräftigte sich ihr Verstand; es bildeten sich in ihrer Seele hohe, sittliche Ideale heran; sie ward wißbegierig und begeisterungsfähig sie lernte, an geistigen Genüssen sich laben. Aus den gemeinschaftlichen Lesestunden in den Werken von Schiller, Jean Paul, Lessing, Tiedge, Wilhelm von Humboldt u. A. ging sie stets in gehobener Stimmung hervor. Daneben waren andere Stunden der Wissenschaft gewidmet: Astronomie und Physik, Geschichte und Erdkunde, sogar ein wenig Philosophie; jedoch, wie gesagt, nach jenem älteren Stande der Kenntnisse, wie solcher vor dem Auftreten der Entwickelungslehre herrschte und in den niederen Schulen und unter den meisten Leuten eigentlich noch herrscht.
Mit ihrer Mutter – zur Vervollkommnung in den modernen Sprachen – betrieb Eva fleißig belletristische Lektüre: unzählige englische Romane; auch – mit Auswahl – französische: Dumas Vater, Chateaubriand, die sämmtlichen Theater von Scribe, und unter den neueren einige verhältnismäßig unschuldig erscheinende: Ohnet, Greville und Andere. Auf diese Art gewann Eva einen Einblick in die Welt und in das gesellschaftliche Treiben, eine Einsicht, welche die sie umgebende enge und kleinliche Wirklichkeit ihr niemals hätte bieten können. Aus den englischen Romanen hatte sie die Vorstellung geschöpft, daß die Liebe und eine darauf folgende – durch verschiedene Herzenskonflikte und Mißverständnisse etwas verzögerte – Heirath den Schicksalsinhalt jedes Mädchenlebens abgeben müsse. Daß eine solche Geschichte auch in ihrer Zukunft sich abspielen werde, dessen war sie sicher. Sie sah dem Leben mit hohen Ansprüchen, mit Spannung und mit Vertrauen entgegen; sie hatte das Bewußtsein ihres eigenen Werthes. So wie ihr Spiegel und das bewundernde Nachsehen der Leute auf der Straße ihr verriethen, daß ihr Aeußeres schön sei, so zeigte ihr der in das eigene Innere gesenkte Prüfungsblick, daß ihr Geist für alles Schöne begeistert, ihr Herz für alles Gute empfänglich war; daß ihr Vorsatz fest stand, tugendhaft und rein und würdevoll durchs Leben zu gehen. Sie fühlte sich fähig, zu beglücken; sie hatte die stolze Ueberzeugung, daß – was immer die Gaben seien, die ihr zukünftiger Gatte ihr böte: Reichthum, Rang, grenzenlose Liebe – sie mit der Gegengabe ihres Selbst eine gleichwerthige Vergeltung zu gewähren habe.
Aber so glatt, wie sie und ihre Eltern das Zukunftsprogramm sich aufgestellt hatten, sollte dieses nicht abgewickelt werden. Die schlimmsten Plänestörer von allen: Krankheit und Tod, sollten auch diese Pläne durchkreuzen. Zwei Jahre vor der anberaumten Wienfahrt brach in dem Städtchen der Typhus aus, und als eines seiner ersten Opfer ward, nach Verlauf von acht Tagen, Oberst Baron Holten hingerafft.
Das war der erste Kummer, der erste große Schmerz in Evas Leben. Sie konnte es gar nicht fassen: ihr Lehrer, ihr Freund, ihr lieber, seelenguter, edler Vater – todt!… Aus dem Hause fortgetragen – ins Grab gelegt – auf ewig, ewig verloren! Wie? er hatte das nicht erleben sollen, wofür er die ganze Zeit gearbeitet, worauf sein ganzes Streben und Hoffen gerichtet war: das Glück seiner Tochter… Ihr war es nun, als wäre das schönste Ziel ihrer Zukunft verfehlt; und ihr Leid war ein so tief empfundenes, daß sie vermeinte, sei jetzt alles alles verloren, als hätte sie gar kein Recht mehr, an ein freundliches Schicksal zu denken.
Und in der That: die nächste Zukunft gestaltete sich nichts weniger als freundlich für das junge Mädchen. Die Lebensverhältnisse wurden noch knapper als zuvor, denn mit dem Tode des Obersten war dessen Ruhegehalt weggefallen und Mutter und Tochter mußten von der Apanage leben, welche nunmehr – auch auf die Hälfte herabgemindert – der Baronin Holten als Wittwengehalt gewährt wurde. In der ersten Zeit, wo die Beiden nur der Trauer lebten, in die der Verlust des Gatten und des Vaters sie versetzt hatte, ging ihnen ihre Verarmung nicht so nahe, dieselbe war ihnen nur wie eine matte Nebenerscheinung des andern, eigentlichen Unglücks.
Nach