Eva Siebeck. Bertha von Suttner
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»Wenn Dir um den Respekt zu thun ist, so rufe mich bei meinem Spitznamen, Der wurde mir – ich weiß gar nicht, aus welchem Anlaß, schon als Kind gegeben, und alle meine Schulkameraden, später viele meiner Freunde riefen mich so: – König.«
»Ja, das gefällt mir. Das paßt Dir – so werde ich Dich ansprechen können – mein freundlicher, mein gnädiger König!«
Noch ehe die zum Kennenlernen anberaumte Viertelstunde verflossen war, wurde Ralph abgerufen. Ein Diener meldete, der Herr Verwalter sei gekommen, einen Forstamtsbewerber vorzustellen und die Herren warteten in Seiner gräflichen Gnaden Arbeitszimmer.
Ralph stand auf: »Du verzeihst, Evinka. Ich muß jetzt an mein Tagesgeschäft gehen. Bei Tische – wir speisen um sechs – können wir unsere Unterhaltung fortsetzen. Du wirst jetzt wohl Irenens Führerschaft annehmen, um Dich ein wenig in Haus und Garten umzusehen? Iri,« rief er zum Klavier hinüber, »genug der Wühlerei in den Noten, Du wirst gebraucht. Und Sie, Hartung, kommen Sie mit mir – Sie sind ein Menschenkenner – helfen Sie mir, Herz und Nieren eines Forstadjunkten zu prüfen.«
Darauf hin, nachdem die beiden Herren sich entfernt hatten, schob Irene Evas Arm unter den ihren:
»Also komm,« sagte sie, »jetzt will ich Dich mit Deinem neuen – meinem alten – Heim bekannt machen.«
»Vor Allem, ehe wir weiter gehen, sei mein Cicerone in diesem Saal. Sind die Bilder dort Familienportraits? Ich bemerke nämlich, daß jener Herr in der goldgestickten rosa Atlasweste große Aehnlichkeit mit Kö—, mit meinem Schwie—, mit Deinem Onkel hat.«
»Ja, es sind Portraits, und der Edelmann mit der Rosaweste ist Onkel Ralphs Urgroßvater. Diese Bilder haben das Schöne, nicht wahr? daß sie so künstlerisch aussehen – ganz wie komponirte Gemälde. Siehst Du, diese drei Frauen und zwei Herren, die auf den Terrassenstufen gruppirt sind, sehen nicht aus, als ob sie einen Portraitmaler Modell gesessen hätten, sondern vielmehr, als ob sie einander Dekameron – (nicht, daß ich sie gelesen hätte!) Geschichten erzählten. Jener dort – der unter einem Baum an einem Tische sitzt und mit dem ehrfurchtsvoll dreinschauenden nebenstehenden Herrn spricht, giebt Diesem – dem Baumeister – Befehle, wie der auf dem Tisch aufliegende, von Jenem wahrscheinlich soeben überreichte Plan von Schloß Großstetten ausgeführt werden soll. Das hübscheste Bild ist aber diese Frauengruppe da, nicht wahr! Bemerkst Du, wie scheinbar zufällig die blaue Brokatschleppe der Einen zur Seite geschlagen ist und dabei das allerliebste Füßchen in dem hohen Hackenschuh zum Vorschein kommt? Um diesen Fuß bin ich der Urgroßmama immer neidig. Sieh nur, wie schmal und gewölbt – und der Knöchel ließe sich mit zwei Fingern umspannen … Und das ist jetzt alles vermodert!«
»Ja, diese Idee befällt mich auch stets beim Anblick von Ahnenbildern. Befindet sich kein Portrait von Roberts Mutter im Hause?
»Nein. Auch in Onkel Ralphs Zimmer nicht. Ich rathe Dir übrigens, lieber nicht von ihr zu reden – es wird ihrer hier niemals erwähnt. Komm, jetzt wollen wir weiter gehen.«
Nunmehr ward Eva durch das ganze Haus geleitet. Stiegen auf und Stiegen ab; in sämmtliche Empfangs-, Wohn- und Nebenräume – mit Ausnahme des vom Grafen Ralph bewohnten Flügels – in Billardsaal, Bibliothek, Gastzimmer, Kapelle, Küche, Vorrathsräume, Dienerwohnungen, Badekabinet, Garderobe- und Wäschekammer, alles elegant und wohlhabend, jedoch ohne Luxus eingerichtet. Großstetten war ein schöner, großer, vornehmer Wohnsitz, aber eine Stätte künstlerischer oder fürstlicher Pracht war es nicht.
Auf die Besichtigung des Schlosses folgte ein Rundgang durch die unweit liegenden Wirtschaftsgebäude, durch Kuh- und Pferdeställe, Milch- und Sattelkammern, Maschinen- und Wagenremisen, durch Park und Küchengarten, durch glasgedeckte Warm- und Kalthäuser und es war schon gegen vier Uhr Nachmittags, als Eva von ihrer Führerin frei gegeben ward.
»So, hier sind wir vor Deiner Wohnungsthür – ich lasse Dich jetzt allein: Du wirst müde sein, ich bin es gleichfalls. Ah, da kommt gerade auch Dein Mann nach Haus – so mache ich mich desto rascher aus dem Staube. Junge Eheleute soll man so wenig als möglich stören, habe ich mir sagen lassen. Adieu.«
Robert und Eva traten gleichzeitig in ihre Wohnung. Der junge Mann warf sich auf einen Stuhl und streckte die Glieder:
»Uff! Ist das eine Hitz‘! Ich war auf den Feldern draußen und da brannte mir die Sonne ins Genick … Das ist ein hartes Handwerk, wie es scheint, die Oekonomie – auch nicht viel besser wie die Kasernenschinderei.
Er gähnte geräuschvoll. Dann stand er auf und näherte sich der Thür des Nebenzimmers.
»Robert – willst Du nicht ein wenig hier bleiben? Ich möchte Dir gern erzählen, wie es mir in Großstetten gefällt. – Irene hat mich überall herumgeführt.«
»Wie soll Dir‘s gefallen? Es ist so wie hundert andere Schlösser auch. Bis Du erst Dornegg gesehen haben wirst, das unsern nächsten Nachbarn – den Dürrenbergs – gehört, das ist etwas anderes.«
»Ich finde es sehr schön hier – und, Robert, es soll ja unser Heim sein … Der Gedanke hat etwas eigenthümlich Ergreifendes Nicht?«
»Geh, sei nicht sentimental.«
»Du hast mir eigentlich noch kein herzliches Wort gesagt, seitdem wir in Großstetten eingefahren. Ein »Willkommen zu Hause!« hättest Du mir doch bieten können.«
»Erstens sind wir gar nicht zu Hause da. Der Herr bin nicht ich – sondern der Vater; Schloßfrau bist nicht Du – sondern die Großmutter. Wir sind eigentlich Gäste hier – und das nicht einmal: ich soll da als Wirthschafts-Praktikant fungiren – hübsche Unterhaltung!«
»Wie Du Alles von der schlimmen Seite auffassest! Auch auf unserer Reise, wo ich über so Vieles entzückt war, hast Du so viel auszustellen gefunden,«
»Das glaube ich. Mich bringt man auch nicht so bald wieder dazu, den Strapazen, Unbequemlichkeiten und Langweiligkeiten einer solchen Wanderschaft mich auszusetzen. Kein Wort von der Sprache verstehen – die elenden italienischen Waggons, die faden Orangen- und Zitronenbäume – die ekelhaften tables-d‘hôtes. Gut, daß wenigstens das überstanden ist. – Ich geh jetzt meine Sachen auspacken.«
Eva hielt ihn nicht mehr zurück.
»Ja,« sagte sie sich mit einem bitteren Seufzer, »die Hochzeitsreise ist »überstanden« – aber das ganze lange Eheleben liegt vor uns: wie wird das zu überstehen sein?«
II
Eva Siebeck hatte keine Familie: Geschwister hatte sie nie besessen, und die Eltern waren seit mehreren Jahren gestorben. Sie war – obgleich als Sproß eines angesehenen freiherrlichen Hauses geboren – in beschränkten Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater, ein vermögensloser Offizier, hatte eine gleichfalls vermögenslose Cousine geheirathet. Als Eva ungefähr zehn Jahre alt war, stürzte der damals Majorsrang bekleidende Baron Holten mit dem Pferde, wobei er sich den Fuß brach, und wurde – mit Obersten-Charakter – in den Ruhestand versetzt. Seine Pension und eine von reichen entfernten Verwandten gewährte Apanage gaben nunmehr die ganzen Hilfsquellen ab, mit welchen die Gatten ihr Leben und die Erziehung ihres Töchterchens bestreiten mußten. Um dies auf halbwegs standesmäßige Weise zu ermöglichen, ließen sich Baron und Baronin Holten in einer kleinen Kreisstadt nieder. Hier waren die Lebensmittel billig und die allgemein herrschenden Lebensgewohnheiten sehr einfach.
Dennoch wurde Eva nicht nur nicht einfach, sondern geradezu glänzend erzogen. Freilich kostete das nicht viel, denn Gouvernante