Der Schut. Karl May
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»Auch nicht.«
»Höre, jetzt holst du Späne, um Licht zu machen, und wenn du binnen einer Minute nicht zurück bist, bekommst du Hiebe, daß dir das schmutzige Fell zerspringt.«
Ich hatte die Peitsche in die Hand genommen. Das wirkte.
»Effendi,« sagte der Konakdschi, »du hast kein Recht, zu tun, als wärest du hier der Herr und Gebieter. Wir sind hier Gäste und — — «
»Und werden so zahlen, wie man es verdient, nämlich entweder mit Piastern oder mit Hieben,« fiel ich ihm ins Wort. »Da drin liegt der Mübarek. Wo der ist, da befinden wir uns in Gefahr, und ich werde genau so handeln, wie unsere Sicherheit es erfordert. Willst du mich irre machen, so muß ich annehmen, daß du es heimlich mit unsern Feinden hältst. Grund dazu ist bereits genug vorhanden, wie du weißt. Also nimm dich in acht!«
Da war er still und wagte kein weiteres Wort. Die Frau brachte Kienspäne, von denen einer bereits brannte. Wir zündeten mehrere an, nahmen sie in die Linke, die gespannten Revolver oder Pistolen in die Rechte und machten uns an die Untersuchung des Schuppens.
Da gab es nun freilich nur zweierlei zu sehen, nämlich den Mübarek, welcher besinnungslos in der Ecke lag, und den Pferdekadaver in dem andern Winkel. Von letzterem stieg ein Heer von ekelhaften Fliegen auf, als wir uns näherten.
»Bist du denn toll?« fragte ich die Frau. »Dort befindet sich einer, welcher das Wundfieber hat, und dabei liegt eine Pferdeleiche, von welcher tausend Insekten zehren. Und von diesem Fleisch sollten wir essen! Weißt du denn nicht, wie gefährlich das ist?«
»Was soll das schaden?«
»Das Leben kann es kosten. Du hast uns belogen. Dieser Mensch dort ist unser Todfeind, welcher uns nach dem Leben trachtet. Indem du ihn uns verheimlichen wolltest, hast du bewiesen, daß du mit ihm verbündet bist. Das kannst du teuer bezahlen müssen!«
»Herr,« antwortete sie, »ich weiß kein Wort von alledem, was du sagst.«
»Ich glaube dir nicht.«
»Ich kann es beschwören.«
»Auch deinem Schwure schenke ich keinen Glauben. Wie ist der Alte zu dir gekommen?«
Sie warf einen fragenden Blick auf den Konakdschi. Dieser nickte ihr zu. Ich verstand, was er ihr damit sagte, tat aber, als hätte ich nichts gesehen.
»Es kamen Reiter hier vorbei,« erklärte sie mir. »Einer von ihnen war krank; er konnte nicht weiter, und so baten sie mich, ihn hier zu behalten, bis er stärker geworden sei, oder bis sie ihn abholen würden. Sie versicherten, daß ich eine sehr gute Bezahlung dafür erhalten werde.«
»Kanntest du sie?«
»Nein.«
»Warum sagtest du, daß dieser alte Sünder dein Bruder sei?«
»Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht. Sie baten mich, so zu sagen und niemand zu ihm zu lassen, da er von Feinden verfolgt werde.«
»Haben sie dir diese Feinde beschrieben?«
»Ja.«
»Diese Beschreibung paßt auf uns?«
»Ganz genau. Darum wollte ich dich nicht zu ihm lassen.«
Da ertönte vom Eingang her eine zornige Stimme:
»Was geht denn hier vor? Wer wagt es, ohne meine Erlaubnis hier einzudringen?«
Ich trat dem Frager mit dem Kienspane näher. Die Frau eilte auf ihn zu und begann leise mit ihm zu flüstern. Ich ersah keinen Grund, sie darin zu stören. Als beide fertig waren, wandte er sich an mich:
»Herr, meine Frau erzählt mir, daß ihr sie bedroht habt. Das darf ich nicht dulden. Wir haben, indem wir diesen Kranken bei uns aufnahmen, ein Werk der Barmherzigkeit getan, und ihr habt kein Recht, uns das vorzuwerfen.«
»Wer hat einen Vorwurf ausgesprochen?«
»Du!«
»Das ist nicht wahr. Sie hat ihn uns verheimlicht.«
»Was geht das euch an? Können wir nicht tun, was uns beliebt?«
»Das könnt ihr wohl; aber wenn ich den Schrei eines Menschen höre und es wird mir auf meine Frage gesagt, daß niemand da sei, so muß ich wohl argwöhnisch werden. Ich muß glauben, daß ein Mensch sich in Gefahr befinde, und um ihn zu retten, bin ich hier eingetreten, obgleich deine Frau es mir nicht erlauben wollte.«
»Weil du sein Todfeind bist!«
»Auch das ist erlogen. Wir haben ihn geschont, obgleich er uns nach dem Leben trachtete. Ich habe ganz und gar nicht die Absicht, ihm Böses zu erweisen. Ich bin sogar erbötig, ihm beizustehen, wenn es noch möglich ist. Schafft ihn in die Stube! Dort ist es leichter, ihn zu pflegen. Ich werde seine Wunde untersuchen. Kann ihm noch geholfen werden, so soll es mich freuen. Ich raube keinem Menschen das Leben, wenn es nicht in Verteidigung meines eigenen Lebens geschehen muß.«
»Du wirst ihn ehrlich untersuchen und ihm keine Medizin geben, die ihn vollends umbringt?«
»Er empfängt gar keine Medizin. Nur kunstgerecht verbunden soll er werden. Also tragt ihn sofort hinein. Ich warte hier auf dich, denn ich habe dann wegen des Pferdes mit dir zu sprechen.«
Erst jetzt, als er von den Spänen mehr beleuchtet wurde, sah ich, daß er ein Päckchen in der Hand hatte. Ich erkannte es sogleich und machte Halef auf dasselbe aufmerksam, indem ich ihm einen heimlichen Wink gab.
Der Konakdschi, der Kohlenhändler und dessen Frau hoben den Mübarek vom Boden auf und trugen ihn an uns vorüber. Der Verwundete war ohne Besinnung, schien aber die ihm verursachten Schmerzen zu fühlen, denn er schrie jämmerlich.
»Herr,« sagte Halef zu mir, »wie nun, wenn der Mübarek sich nicht allein hier befindet!«
»Ich bin überzeugt, daß die Andern wirklich fort sind, werde aber trotzdem die Maßregeln so treffen, als ob sie sich hier versteckt hätten.«
»Und was hast du mit dem Kohlenhändler wegen des Pferdes zu besprechen?«
»Ich will es ihm abkaufen, wenigstens einen Teil des Kadavers.«
»Bist du des Teufels? Meinst du, daß wir von diesem Fleische essen sollen?«
»Nein, wir nicht, sondern ein Anderer.«
»Wer?«
»Ein Gast von uns. Du wirst ihn hoffentlich noch heute kennen lernen.«
Halef schwieg.
»Jetzt leuchtet einmal her und schaut euch den Kadaver des Pferdes an,« sagte ich zu den Gefährten. »Da werdet ihr sehen können, welche Kraft ein Bär in seinen Zähnen und Tatzen hat.«
Das gewaltige Raubtier hatte dem Pferd die Hirnschale aufgebrochen. Die Schädelhöhle, welche den größten Leckerbissen des Bären, das Gehirn, enthält, war so rein geleert, als sei sie mit einem Schwamm ausgewischt worden. Dann hatte er den Leib angeschnitten.