Der Schut. Karl May
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»Ich danke dir, Effendi. Ich sehe, daß du doch Vertrauen zu uns hast. Wir werden treu auf unserm Posten stehen. Er mag nur kommen; unsere Kugeln werden ihn begrüßen.«
»Aber nicht so, wie ihr vielleicht denkt. Ihr werdet euch hier im Innern bei den Pferden befinden und ihn nicht etwa draußen erwarten. Dazu habt ihr die nötige Erfahrung nicht, und es hieße euer Leben tollkühn auf das Spiel setzen.«
»Sollen wir uns gegen ein solches Tier hinter Brettern verschanzen?«
»Ja, denn auch wir werden uns hinter die Felsen verstecken. Eure Flinten sind nicht zuverlässig genug, und selbst wenn ihr den Bären träft, wäre es nur Zufall, wenn eine Kugel ihm in das Leben dränge. Fände er euch draußen, so müßte wenigstens einer von euch das Leben lassen; davon bin ich überzeugt.«
»Aber was können wir gegen ihn tun, wenn er draußen steht, und wir sind hier, ohne ihn sehen zu können?«
»Ihr werdet ihn desto deutlicher hören. Dieser Schuppen ist nur sehr leicht gebaut, und ihr habt keine Ahnung, welchen Scharfsinn der Bär in dieser Beziehung zu entwickeln vermag. Er weiß ganz genau, was eine Türe ist; er versucht, sie einzudrücken oder mit seinen mächtigen Tatzen aufzureißen. Gelingt das nicht, so streicht er um das ganze Gebäude und untersucht jedes einzelne Brett, ob er es loszusprengen vermag. Hat er erst eine kleine Oeffnung, dann ist es ihm bei seiner ungeheuren Körperkraft leicht, sich mit Gewalt durchzubrechen. Da ist nun eure Aufgabe klar. Wenn er wirklich zu dem Schuppen kommen sollte, so hört ihr an seinem Kratzen, wo er sich draußen befindet, und gebt ihm durch die dünnen Bretter eine Kugel. Wir draußen hören die Schüsse, und das Uebrige ist dann unsere Sache.«
»So kann es also doch nicht zu einem wirklichen Kampf zwischen uns und ihm kommen!«
»Sehr leicht sogar. Aus einer leichten Verwundung macht sich der Bär sehr wenig; aber seine Wut verdoppelt sich. Er ist im stande, trotz eurer Schüsse die dünnen Bretter loszureißen oder durchzudrücken. Dann seid ihr die Ueberfallenen und habt euch eurer Haut zu wehren. Zum Schießen gibt es da keine Zeit, weil nicht geladen werden kann. Kolbenschläge auf die Nase, aber nicht etwa auf den harten Schädel, weil an demselben der Kolben zersplittern würde, und Messerstiche in das Herz, das ist dann das Einzige, womit ihr euch halten könnt, bis Halef und ich herbeikommen. Uebrigens sind wir noch gar nicht so weit. Ich werde euch später noch nähere Weisungen geben.«
»Aber,« sagte Halef, »es ist jetzt bereits dunkel, und unsere Pferde sind im Freien. Wenn er jetzt käme und deinen Rih tötete?«
»Jetzt kommt er noch nicht, und Rih ist kein Köhlerpferd. Ich glaube sogar, ich könnte es dem Rappen überlassen, ganz allein mit dem Bären fertig zu werden. Ein solches Rassetier verhält sich ganz anders als ein gewöhnlicher Gaul. Wir können unsere Tiere getrost noch weiden lassen. Kommt der Bär wirklich, so kommt er frühestens zwei Stunden vor Mitternacht. Um aber nichts zu versäumen, werden wir draußen ein Feuer anzünden, an welchem wir uns niederlassen. Da haben wir die Pferde vor Augen und können ihnen mit unseren Gewehren sofort zu Hilfe kommen. Uebrigens wird das Feuer weithin leuchten und den Bären abhalten, auch bei der Lockspeise seinen Besuch zu früh zu machen. Jetzt handelt es sich um das Pferdefleisch.«
Der Kohlenhändler ging sehr gern auf meine Absicht ein. Für ihn war die Hauptsache, daß das Raubtier getötet werde. Er löste diejenigen Teile des Pferdes, auf welche er es abgesehen hatte, von den Knochen. Dann blieb noch immer genug für den Bären übrig. Für diesen Rest verlangte er dreißig Piaster, also nicht ganz sechs Mark, welche ich ihm gern zahlte.
Draußen an der Giebelmauer des Hauses lag eine ansehnliche Menge von Brennholz aufgeschichtet. Ich kaufte es dem Wirt für zehn Piaster ab und ließ unweit der Haustüre, welche nach der Waldzunge hin lag, ein großes Feuer anmachen, das bis zu unserem Aufbruch zur Jagd unterhalten werden sollte. Es leuchtete weit genug, so daß wir unsere in der Nähe des Hauses weidenden Pferde sehen und bewachen konnten. Osko blieb da zurück, während wir Andern uns nun zunächst nach der Wohnstube begaben. Ich wollte den Mübarek sehen.
Wir hatten, während wir draußen beschäftigt waren, sein ununterbrochenes Klagen gehört. Er bot einen schrecklichen Anblick. Seine verzerrten Züge, seine blutunterlaufenen Augen, der Gischt, welcher ihm vor dem Mund stand, die Flüche und Verwünschungen, welche er ausstieß, und der von ihm ausströmende üble Geruch wirkten so abstoßend, daß es mir große Ueberwindung kostete, vor ihm niederzuknien, um seine Wunde zu untersuchen.
Der Verband war ihm nur sehr nachlässig und von ungeschickten Händen wieder angelegt worden. Als ich denselben entfernen wollte und infolgedessen seinen Arm berührte, brüllte er vor Schmerzen wie ein wildes Tier und bäumte sich gegen mich auf. Er hielt mich für den Scheïtan, welcher ihn zerreißen wolle, wehrte mich mit dem unverletzten Arm von sich ab und bat mich um Gnade und um die Erlaubnis, zur Erde zurückkehren zu können. Er versprach mir als Lösegeld Tausende von Menschen, welche er ermorden wolle, um mir ihre Seelen zur Hölle zu senden.
Das Fieber gab ihm solche augenblickliche Kraft, daß ich Gewalt anwenden mußte. Es gehörten drei Personen dazu, um ihn zu halten, damit ich ihm die Lappen von den Wunden wickeln konnte. Da sah ich denn sofort, daß Rettung gar nicht möglich sei. Selbst eine Amputation des verletzten Gliedes wäre hier zu spät gekommen. Ich legte auch seine Schulter bloß, indem ich den Kaftan aufschnitt. Der Brand, die zersetzende Fäulnis, war bereits eingetreten, und die ekelhafte Jauche verbreitete einen Verwesungsgeruch, welcher entsetzlich war.
Hier konnte man nichts tun, als ihm Wasser geben, nach welchem er schrie. Das überließen wir der Frau. Es war wie ein Wunder, daß dieser Mensch den Ritt bis hierher hatte aushalten können. Wir standen schaudernd bei ihm und gedachten nicht mehr seiner Feindseligkeit, sondern nur des grausigen Endes, welches er sich selbst bereitet hatte. Der Konakdschi sagte:
»Herr, wäre es nicht besser, wir töteten ihn? Es wäre die größte Wohltat, welche wir ihm erweisen könnten.«
»Das meine ich auch,« antwortete ich; »aber wir haben kein Recht dazu. Noch hat er kein Wort der Reue gesprochen; er will vielmehr den Teufel durch die Verheißung grausiger Mordtaten bestechen. Daraus können wir entnehmen, welche schwarze Seele in diesem lebendig verwesenden Körper wohnt. Vielleicht gibt ihm Gott noch einmal das Bewußtsein zurück und damit die letzte Gelegenheit, seine Sünden zu bekennen. Uebrigens sind seine Qualen nicht unverdient, und — was ihr nicht übersehen dürft — er liegt vor euch als abschreckendes, warnendes Beispiel, dessen deutliche und ergreifende Sprache zwar an uns alle, ganz besonders aber an euch gerichtet ist, an dich, Konakdschi, an Junak und auch an Guszka, dessen Frau.«
»An uns?« fragte der Erstgenannte verlegen. »Weshalb denn?«
»Ich will euch nur sagen: Wer auf den Pfaden dieses Mannes wandelt, der läuft Gefahr, zu demselben schrecklichen Ende zu gelangen. Ich habe noch niemals einen Gottlosen glücklich gesehen.«
»So meinst du, dieser fromme Mann sei gottlos gewesen?«
»Ja, und du weißt sehr gut, daß ich recht habe.«
»Aber er hat stets für heilig gegolten. Warum hat Allah ihn nicht eher gestraft?«
»Weil Allah gnädig und langmütig ist und selbst dem härtesten Sünder Zeit zur Umkehr und Besserung gibt. Aber Allah sieht nur eine Weile zu, und wird die Zeit der Barmherzigkeit