Die Sklavenkarawane. Karl May
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»Jetzt ist die richtige Zeit. Schieß nun!«
»Nein; noch warten!« antwortete Schwarz.
»So schieße ich, denn dann ist es zu spät.«
»Um Gottes willen noch nicht, weil —«
Er konnte nicht weiter reden; seine Warnung kam zu spät, denn zugleich mit seinen Worten hatte der Slowak den Lauf seines »Elefantenmörders« auf den Kopf des Löwen gerichtet. Das alte Mordgewehr war nicht gut gehalten worden. Wer weiß, wenn der jetzige Besitzer den letzten Schuß aus demselben abgegeben hatte. Darum bewegten sich die Teile des Schlosses nur schwer. Der »Sohn der Blattern« mußte alle Kraft seines Zeigefingers anwenden, um abzudrücken, und dadurch kam der Lauf aus der Lage. Der Schuß krachte, und der Kolben der hochbejahrten Donnerbüchse schlug dem Kleinen mit solcher Gewalt gegen den Kopf, daß der Getroffene das Gewehr fallen ließ und in seiner slowakischen Muttersprache ausrief:
»Jakowa bezotschiwortj! Idi do tscherta – welche Unverschämtheit! Geh zum Henker!«
Mit der einen Hand den Kopf haltend, stieß er mit der andern den Elefantentöter weit von sich fort. Der Schlag schmerzte ihn so, daß er nur an die »Unverschämtheit« des Gewehres, nicht aber an den Löwen dachte.
Dieser war, als der Schuß krachte, aufgesprungen. Seine Augen weit öffnend, stieß er ein markerschütterndes Brüllen aus und setzte zum Sprunge an. Schwarz hatte glücklicherweise seine Geistesgegenwart nicht verloren. Er drückte auf das linke Auge des Löwen ab und rief zu gleicher Zeit dem Ungarn zu:
»Wirf dich zur Seite! Schnell, schnell!«
Der Genannte folgte diesem Gebote, indem er sich augenblicklich bis an die Wand des Felsens schnellte. Ob die Kugel in das Auge gedrungen sei, konnte Schwarz nicht sehen, denn kaum hatte sein Schuß gekracht, so befand der Löwe sich schon mitten im Sprunge in der Luft. Schwarz zielte kaltblütig nach der Gegend des Herzens, drückte ab und warf sich sofort mit solcher Gewalt nach links, daß er mit dem halben Körper zwischen die dichten Büsche hineinflog.
Die ungeheure und schier unglaubliche Sprungkraft des Löwen trug ihn von der Stelle, an welcher er gelegen hatte, genau bis dahin, wo die beiden Schützen sich soeben noch befunden hatten. Wären sie noch da gewesen, so hätte er sicherlich beide erfaßt. Jetzt kniete nur noch Abu Dihk, der »Vater des Gelächters«, dort. So klein die Gestalt dieses wackern Händlers, so groß war seine Unerschrockenheit. Es war ihm gar nicht eingefallen, die letzte Warnung des Deutschen auf sich zu beziehen und sich auch in Sicherheit zu bringen. Auch er hatte keinen Blick von dem Löwen gewendet. Er sah ihn springen; er sah ferner, daß das Tier zwei Schritte vorwärts, da wo die Schützen gelegen hatten, die Erde berühren werde. Schnell avancierte er, stemmte seinen Spieß von neuem ein, richtete die Spitze desselben auf den Leib des Löwen und ließ in dem Augenblicke, als sie sich einbohrte, die Lanze los und wälzte sich behend nach links, wo Schwarz lag oder vielmehr gelegen hatte, denn dieser war sofort wieder aufgesprungen und hatte das lange Messer gezogen, welches in seinem Gürtel steckte, um sein Leben Auge in Auge mit dem Raubtiere zu verteidigen, falls dasselbe nicht zu Tode getroffen sei.
Diese Vorsicht erwies sich glücklicherweise als überflüssig. Man hörte das scharfe Geräusch der zerbrechenden Lanze; der Löwe schlug auf den Boden nieder, erhob sich sofort wieder – ein sichtbares Zittern ging durch seine mächtigen Glieder – man sah ihn wanken – er wendete sich nach links, wo Schwarz und Abu Dihk sich befanden, holte zum abermaligen Sprunge aus, kam aber nicht von der Stelle. Ein kurzes, klagendes und schnell ersterbendes Gebrüll ausstoßend, brach er zusammen, legte sich zur Seite und dann auf den Rücken, zog die zuckenden Pranken an den Leib, streckte sie wieder aus und – blieb nun bewegungslos liegen.
Das war natürlich alles viel, viel schneller geschehen, als es erzählt werden kann, doch in solchen Fällen werden die Augenblicke zu Sekunden und die Sekunden zu Minuten, und der Geist des Menschen arbeitet so rapid schnell, daß zehn Entschlüsse sich in der Zeit folgen, welche sonst ein einziger Gedanke erfordert.
Die drei mutigen Männer hatten keine Zeit, sich zu überzeugen, ob der Löwe tot sei. Obgleich ihre Aufmerksamkeit zunächst auf ihn gerichtet gewesen war, hatten sie doch ein zweites Brüllen, welches gleich nach dem Krachen der Gewehre von fern erschollen war, nicht überhören können. Der Slowak war aufgesprungen, Abu Dihk ebenfalls. Sie lauschten, sie vernahmen die Stimme eines zweiten Löwen. Diese erklang aber nicht in einzelnen Abständen wie diejenige des ersten, sondern sie ertönte ununterbrochen fort, nicht so mächtig, nicht mit so donnerndem Schalle, sondern in dumpf keuchender Wut; es war ein bissiges, nach Blut lechzendes Stöhnen, aus welchem von Zeit zu Zeit ein knirschender Gaumenlaut hervorbrach wie eine verderblich züngelnde Flamme aus verborgener Glut. Man hörte dieser Stimme deutlich an, daß das Tier sich in raschen Sätzen näherte.
Da dort, wo die drei standen, das Feuer ausgelöscht worden war, so befanden sie sich im dunkeln Schatten des Felsens und konnten von den Arabern und Dschelabis nicht gesehen werden, und die letzteren wußten also nicht, welchen Verlauf der Angriff des Löwen genommen hatte.
»Allah il Allah!« hörte man die Stimme des Schechs. »Assad Bei, der Herdenwürger, hat alle drei ermordet und liegt nun bei ihren Leichen, um sie aufzufressen. Er hatte seine Frau bei sich, welche die Schüsse hörte und nun herbeigestürzt kommt, um ihm zu helfen. Sie wird sich auf uns werfen und uns zerreißen. Eure Leiber sind verloren, aber rettet eure Seelen, indem ihr mit mir die Sure Jesin betet und dann auch die Sure der Gläubigen, welche die dreiundzwanzigste des Korans ist!«
»Schweig!« rief Schwarz ihm zu. »Wir leben, und der Löwe ist tot. Durch dein Geschrei machst du seine Sultana auf dich aufmerksam, und sie wird dich fassen!«
»Allah kehrim – Gott ist gnädig!« antwortete der Feigling. »Ich bin still! Aber schießt sie tot, die Sultana; schießt auch sie tot, damit sie mit ihrem Manne dahin fahre, wo die Hölle am schrecklichsten ist!«
Obgleich Schwarz dem Schech geantwortet hatte, war er bemüht, jeden Augenblick auszunutzen. Er zog zwei Patronen hervor, um seinen Hinterlader wieder schußfertig zu machen.
»Es ist wirklich die Löwin, welche kommt,« sagte der Slowak. »Ich muß auch wieder laden. Wo habe ich nur —«
Er suchte in seinen Hosentaschen nach der Munition.
»Unsinn!« entgegnete der Deutsche. »Ehe du fertig bist, ist die Löwin da. Bringt euch in Sicherheit! Abu Dihk ist auch wehrlos, da sein Spieß zerbrochen ist. Macht euch fort!«
»Aber meine Kugel wiegt ein ganzes Viertelpfund, während die deinige —«
»Fort, fort!« unterbrach ihn Schwarz. »Sonst bist du verloren!«
Er war mit dem Laden fertig und kniete wieder an derselben Stelle nieder, an welcher er sich vorher befunden hatte. Er sah sich nicht nach den beiden um und bemerkte also nicht, daß sich nur der »Vater des Gelächters« zurückzog. Uszkar Istvan, zu deutsch Stephan Pudel, aber blieb. Er drängte sich zwei Schritte weit in das Gestrüpp hinein und lud dort sein Gewehr, was freilich nicht in einigen Augenblicken abgemacht werden konnte. Die Munition hatte er endlich im Gürtel gefunden, wohin sie vorhin, als er sich zum Kampfe rüstete, von ihm gesteckt worden war.
Die Stimme der Löwin ertönte jetzt ganz nahe. Das ergrimmte Tier blieb auf der Fährte des Löwen, wendete sich also erst nach der Seite, auf welcher das Feuer brannte und kam erst dann nach der andern herüber. Dadurch gewann der Slowak