Im Lande des Mahdi I. Karl May
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Читать онлайн книгу Im Lande des Mahdi I - Karl May страница 27
Die Kinder hatten schon vorher zu essen bekommen. Sie lagen bei einander, schliefen aber noch nicht. Ich teilte ihnen mit, daß ein Mann kommen und mir in die Tasche greifen werde, bat sie aber, keine Angst zu haben und sich nicht zu bewegen, sondern so zu thun, als ob sie schliefen. Sie versprachen es mir, und ich war überzeugt, daß sie das Versprechen halten würden. Dann legte ich beide so, daß sie dem Eingange den Rücken zukehrten.
Ich selbst legte mich auf die rechte Seite, so, daß die Lampe mein Gesicht beschien. Eigentlich hätte ich dasselbe im Dunkel lassen sollen; aber der Spitzbube sollte gleich im ersten Augenblicke überzeugt sein, daß ich schlafe. Die Jacke öffnete ich, so daß er, da ich mit der linken Seite nach oben lag, auf das leichteste mit der Hand in meine Brusttasche greifen konnte. Je weniger schwer ich ihm die Sache machte, desto mehr verringerte ich die Gefahr, in welcher ich mich dabei befand. Um aber auf alles vorbereitet zu sein, schob ich mir einen meiner beiden Revolver so unter den Nacken, daß ich ihn mit der rechten Hand, auf welcher ich den Kopf liegen hatte, schnell ergreifen und spannen konnte. Nun war ich bereit und wünschte sonst nichts, als daß ich nicht allzu lange zu warten haben möge.
Dieser Wunsch ging in Erfüllung. Ich hielt die Augen so weit geschlossen, daß ich durch die Wimpern die Strohmatte sehen konnte. Sie wurde bewegt, ganz unten in der einen Ecke, leise, ganz leise, einen Zoll hoch, zwei, drei, vier, sechs Zoll hoch. Der Kerl sah herein. Nach einiger Zeit räusperte er sich. Ich atmete ruhig wie ein tief Schlafender fort. Nun hustete er, nicht laut, aber doch so, daß ich es hören und davon erwachen Mußte, falls mein Schlaf ein leichter war. Ich regte mich auch jetzt nicht. Es wurde mir doch angst, nicht um mich, sondern um die Kinder, denn wenn eins derselben im kritischen Augenblicke die Mahnung vergaß, so konnte es um mich und dann natürlich auch um sie, wenigstens um ihre Freiheit geschehen sein. Ich begann einzusehen, daß ich die Sache denn doch ein wenig zu leicht genommen hatte.
Wie ich später erfuhr, hatten die Kinder das Räuspern und Husten zwar gehört, aber geglaubt, daß es von mir ausgehe. Sehen konnten sie den Muza‘bir nicht, und was er that, geschah vollständig geräuschlos, daß sie es nicht hörten und, als er sich entfernt hatte, gar nicht wußten, daß der betreffende Mann schon dagewesen sei.
Er hatte jetzt die Überzeugung gewonnen, daß ich in festem Schlafe liege, und kam herein, indem er erst den Kopf, die Schulter, dann den Leib unter der Matte vorschob und endlich die Beine nachzog. In der Rechten hielt er das Messer. Seine Augen wichen nicht von meinem Gesichte; sie glichen den Augen eines wilden Tieres vor dem tödlichen Sprunge auf die Beute. Als er den ganzen Körper diesseits der Matte hatte, richtete er sich knieend auf und räusperte sich noch einmal. Ich rührte mich nicht. Der Kerl ging sehr sicher. Wie vorsichtig und gefährlich er war, ging daraus hervor, daß er sein Gewand vollständig abgelegt und den dunklen Körper mit Öl eingerieben hatte. Die Hände des stärksten und gewandtesten Gegners hätten ihn nicht zu ergreifen vermocht, da sie von ihm abgeglitten wären.
Jetzt rutschte er heran zu mir, setzte mir die Spitze des Messers auf die Brust und legte zugleich die Finger seiner linken Hand auf die Stelle, an welcher er die Brieftasche vermutete. Er fühlte sie, hob die Jacke empor und zog den begehrten Gegenstand aus der Brusttasche, nicht schnell, sondern langsam, so langsam, daß es mir schien, er brauche Viertelstunden dazu. Endlich befand er sich in dem Besitze des Portefeuilles. Er nahm das Messer von meiner Brust und befühlte mit beiden Händen seine Beute. Es war noch genug Papier darin, und über sein Gesicht zuckte es wie Befriedigung.
Nun sah er sich im Raume um, jedenfalls, um noch etwas mitgehen zu heißen. Er schien aber doch zu glauben, daß dies nicht ohne Geräusch abgehen werde, und begnügte sich mit der bisherigen Beute. Sein Rückzug ging ebenso langsam und vorsichtig von statten, wie seine Annäherung gewesen war; ja, als er sich schon draußen befand, hob er die Matte nochmals auf, um herein zu blicken und sich zu überzeugen, daß ich wirklich geschlafen habe.
Ich wartete höchstens eine Minute, länger nicht; dann blies ich die Lampe aus, nahm den Revolver in die Linke und sprang auf. Die Matte ein wenig zurückschlagend, sah ich drei von den vier Halunken dort bei den Tabaksballen stehen, nämlich den Reïs, mein liebes Gespenst Nummer Drei und den Muza‘bir. Letzterer hatte sein langes Hemd schon wieder angelegt, drehte mir den Rücken zu, so daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte, und schien mit der Untersuchung meiner Brieftasche eben fertig zu sein, denn er schwenkte dieselbe vor den Gesichtern der beiden andern hin und her und teilte ihnen, wie ich aus diesen ärgerlichen Bewegungen erriet, mit, daß sie die gesuchten Papiere nicht enthielt.
Wo war der vierte, der Steuermann? Sein jetziger Aufenthaltsort schien mir, freilich irrtümlicherweise, wie ich sofort erkennen sollte, gleichgültig sein zu können, denn ich hatte es mit dem Muza‘bir zu thun. Ich schob also die Matte vollends zurück und trat auf das Deck, um mich den drei Männern zu nähern. Da aber ertönte neben mir der laute Warnungsruf.
»Der Effendi, der Effendi!«
Es war der Steuermann, welcher diese Worte rief. Er war oben am Steuer gewesen, aus irgend einem Grunde, den ich nicht kannte, kam eben die schmalen Stufen herab, welche neben meiner Kajüte hinaufführten, und hatte mich gesehen. Jetzt hatte ich Gelegenheit, die bewundernswerte Geistesgegenwart des Taschendiebes zu beobachten. Der Ruf des Steuermannes sagte ihm, daß ich auf dem Deck sei. Ich mußte also erwacht sein und vielleicht gar meinen Verlust schon bemerkt haben. Jetzt gab es für ihn nur zweierlei, entweder mich zu ermorden und die Papiere dann doch noch zu finden, oder zu fliehen. Es schien ihm geraten, auf das erstere zu verzichten. Jedenfalls hatte er von dem Mokkadem genug über mich gehört, um anzunehmen, daß ein Angriff auf mich nicht ungefährlich sei. Also gab es nur das zweite, die Flucht; aber wegen etwaiger späterer Vorkommnisse mußte er vermeiden, mir hierbei sein Gesicht zu zeigen, damit ich ihn gegebenen Falls nicht wieder erkenne. Das mußten die Gedanken sein, welche in einem einzigen Augenblicke durch seinen Kopf gingen. Jeder andere hätte sich infolge des Warnungsrufes nach mir umgesehen; auch der Reïs und der Diener blickten erschrocken nach hinten; der Gaukler aber drehte sich nicht um; ich hörte seine schnelle, halb unterdrückte, mir aber dennoch vernehmliche Frage:
»Ist‘s der Hund wirklich?«
»Jedenfalls!« antwortete der Reïs.
»So war‘s für dieses Mal umsonst!«
Er warf meine Brieftasche weg, so daß die Papiere zerstreut umherflogen, schnellte sich wie eine Schlange nach dem Landungsbrette und verschwand im Dunkel des Abends, dessen Sterne jetzt allerdings schon zu leuchten begannen, doch nicht so sehr, daß ich dem Flüchtigen mit dem Auge zu folgen vermocht hätte.
Da er sich meiner Brieftasche entledigt hatte und ich dieselbe also wieder in meinen Besitz bringen konnte, so war mir sein Entkommen gar nicht unlieb. Was hätte ich, falls ich ihn ergriffen hätte, wie es in meiner Absicht lag, mit ihm thun sollen? Ihn dem Mudir von Gisehl der hiesigen Polizei ausliefern? Welche Scherereien wären für mich dadurch entstanden! Oder ihn laufen lassen, nachdem ich ihm meine Meinung gesagt hatte? Nun, er war selber gegangen, und so war ich der Mühe, ihm meine Ansicht über ihn mitzuteilen, enthoben. Ich fragte also den Steuermann gar nicht etwa zornig, sondern im ruhigsten Tone:
»Warum schreiest du so? Soll man es in Kahira hören, daß ich hier bin!«
»Verzeihe, Effendi!« antwortete er. »Ich war so über dich erschrocken.«
»Habe ich ein so entsetzliches Aussehen?«
»Nein, nein; aber – aber – ich glaubte, ich dachte – —« stotterte er.
»Nun, was denn? Was dachtest du?«
»Ich glaubte dich schlafend, und da – erschrak ich so!«
»Gerade als ob ich ein