Waldröschen V. Ein Gardeleutnant. Karl May
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Читать онлайн книгу Waldröschen V. Ein Gardeleutnant - Karl May страница 18
»Spielen Sie Schach, lieber Helmers?« – »Unter Kameraden, ja.« – »Nun, ich bin ja Ihr Kamerad. Legen Sie die Zeitung fort und versuchen Sie es einmal mit mir. Die Ehrlichkeit erfordert aber, Ihnen zu sagen, daß ich hier für unbesiegbar gehalten werde.« – »So muß ich ebenso ehrlich sein«, lachte Kurt. »Hauptmann von Rodenstein, mein Pflegevater, war ein Meister. Er gab mir so vortrefflichen Unterricht, daß er jetzt keine Partie mehr gewinnt.« – »Ah, das ist recht, denn da dürfen wir endlich einmal einer interessanten Partie entgegensehen. Kommen Sie!«
Durch diesen kleinen Streich hatte Platen den Bann gehoben. Am hinteren Tisch begann der Whist von neuem, vorn klapperten die Billardbälle, und dazwischen hatten die Züge auf dem Schachbrett in Zeit von zehn Minuten einen so spannenden Verlauf genommen, daß sich die Offiziere einer nach dem anderen erhoben, um dem Spiel zuzuschauen. Sie gewahrten mit Verwunderung, daß Kurt seinem Gegner überlegen sei; er gewann die erste Partie.
»Ich gratuliere«, sagte Platen. »Das ist mir lange nicht passiert. Wenn es wahr ist, daß ein tüchtiger Stratege auch ein guter Schachspieler sei, so sind Sie jedenfalls ein höchst brauchbarer Offizier.«
Kurt fühlte, daß der gute Platen diese freundlichen Worte sprach, um ihm Boden zu gewinnen, und antwortete ablehnend:
»Man darf bekanntlich die Schlüsse nicht umkehren. Ist ein guter Stratege auch ein guter Schachspieler, so ist es doch noch nicht notwendig, daß ein feiner Schachspieler auch ein tüchtiger Offizier sein muß. Übrigens haben Sie in der ersten Partie wohl nur meine Kräfte kennenlernen wollen. Versuchen wir eine zweite. Ich ahne, daß ich sie verlieren werde.« – »Sie dürften sich irren. Doch apropos, Sie nannten da einen Hauptmann von Rodenstein. Ist dieser Herr vielleicht Oberförster im Dienst des Großherzogs von Hessen?« – »Allerdings.« – »Ah, so kenne ich ihn. Er ist ein alter, knorriger Haudegen, ebenso grob wie ehrlich, und soll bei seinem Landesherrn gut angeschrieben stehen.« – »Diese Charakteristik ist allerdings sehr zutreffend.« – »Ich lernte ihn bei meinem Onkel in Mainz kennen, der sein Bankier ist.« – »Sein Bankier? Dieser heißt Wallner, so viel ich weiß.« – »Das ist richtig. Ich muß Ihnen nämlich erklären, daß meine Tante, die Schwester meiner Mutter, eine sogenannte Mesalliance eingegangen ist. Sie hat diesen Wallner, also einen Bürgerlichen, geheiratet, der infolgedessen auch ein Verwandter ihres und meines Majors geworden ist, denn der letztere ist mein Cousin.«
Die anderen Herren warfen einander erstaunte Blicke zu. Was fiel denn Platen ein, mit solcher Offenheit diese Familienverhältnisse darzulegen und damit den Major bloßzustellen? Kurt aber verstand die Absicht. Platen wollte ihm Satisfaktion geben für die Aufnahme, die er bei Majors gefunden hatte, und zugleich den stolzen Offizieren gegenüber in Erwähnung bringen, daß in den hochadeligen Kreisen denn doch nicht alles so rein sei, wie man denkt.
9. Kapitel
Die zweite Partie begann. Kurt gewann sie wieder. Während der dritten wurde die allgemeine Aufmerksamkeit auf Ravenow und Golzen gelenkt, die sich in freundschaftlich lustiger Weise zu foppen begannen.
»Wahrhaftig, du bist mir wieder um fünfzehn Points voraus«, meinte Ravenow. »Unglück im Spiel!« – »Aber Glück in der Liebe, wie ich dir bereits erklärte«, meinte Golzen. – »Ja, meine Wette wirst du doch bezahlen müssen. Das Mädchen wird mein, es ist ja bereits mein, genaugenommen.« – »Welche Wette? Welches Mädchen?« fragte der bereits zweimal erwähnte Major, der entweder von der Wette wirklich noch nichts wußte oder sie noch einmal zur Sprache bringen wollte. – »Es handelt sich für Ravenow um eine Gelegenheit, zu beweisen, daß er wirklich unwiderstehlich ist«, antwortete Golzen. – »Erklären Sie sich deutlicher.«
Golzen erzählte den interessanten Hergang, und alle hörten seinem Bericht zu. Auch die beiden Schachspieler unterbrachen ihre Partie, um der Darlegung ihre Aufmerksamkeit zu schenken. »Ja, Ravenow ist der Don Juan des Regiments. Er behauptet, diese Schönheit bereits erobert zu haben«, schloß Golzen. – »Ist dies wirklich wahr?« fragte der Oberst, der es für an der Zeit hielt, endlich auch einmal ein Wort zu sagen, um seine peinliche Lage zu maskieren. – »Das versteht sich«, antwortete Ravenow. »Wer ist überhaupt unwiderstehlich? Nicht ich allein, sondern jeder Gardehusarenoffizier. Freilich, wenn sich niedrige Elemente in unseren Kreis drängen dürfen, wird dieses Monopol für uns sehr bald illusorisch werden.«
Bei diesem rücksichtslosen Ausfall richteten sich aller Augen wiederum auf Kurt, der jedoch abermals schwieg. Ravenow fuhr fort, nachdem er eine Entgegnung von dem neuen Kameraden vergebens erwartet hatte:
»Die Zeit, für die wir gewettet haben, ist noch nicht um; ich brauche also noch keine Beweise zu bringen; aber das Mädchen war eine obskure Kutscherstochter, und der wird man wohl gewachsen sein. Ich kann einstweilen nur sagen, daß ich in ihrem Wagen Platz genommen und sie nach Hause begleitet habe.« – »Eine Kutscherstochter?« lachte der Oberst. »Gratuliere, Leutnant! Da ist es ja leicht die Wette zu gewinnen!«
Da zog Kurt eine Zigarre hervor und sagte, während er gleichmütig die Spitze derselben abschnitt und nach einem Zündhölzchen griff:
»Pah! Herr von Ravenow wird diese Wette verlieren!«
Nachdem er sich zweimal ruhig von Ravenow hatte beleidigen lassen, hatte kein Mensch erwartet, daß er jetzt in einer Angelegenheit, die er scheinbar gar nicht kannte, das Wort ergreifen würde. Alle horchten darum verwundert auf. Ravenow aber trat schnell einen Schritt vor und fragte:
»Wie beliebt, mein Herr Helmers?«
Kurt hielt die Flamme des Zündhölzchens an die Zigarre, tat gelassen einige Züge und antwortete:
»Ich sagte, daß Herr von Ravenow die Wette verlieren werde. Herr von Ravenow renommiert bloß, er schneidet auf!«
Der Genannte trat noch einen Schritt weiter vor und rief:
»Wollen Sie dieses Wort wohl gefälligst einmal wiederholen?« – »Herzlich gern! Herr von Ravenow schneidet nicht bloß auf, sondern er lügt sogar ganz gewaltig.« – »Herr«, brauste da der Angegriffene auf. »Das wagen Sie mir zu sagen, der ich Offizier der königlichen Garde bin? Und hier an diesem Ort?« – »Warum nicht? Wir befinden uns ja beide an diesem Ort, und ich bin ebenso Offizier der königlichen Garde wie Sie. Ich würde es übrigens sehr unter meiner Würde halten, Ihre Prahlereien zu beachten, wenn nicht die betreffende junge Dame eine sehr liebe Freundin von mir wäre, deren Ruf zu schützen meine Pflicht und Schuldigkeit ist.« – »Hört!« rief Ravenow. »Eine Kutscherstochter seine intime Freundin! Und der drängt sich unter uns ein! Der will ein Gardeoffizier sein!«
Die Anwesenden hatten sich abermals alle erhoben. Sie bemerkten, daß es wieder zu einer Szene kommen müsse. Das war endlich einmal ein Abend, von dem man noch später erzählen konnte. Jetzt aber wollte keiner sprechen, das mußte man den beiden allein überlassen. Der fremde bürgerliche Eindringling hatte dem Oberst standgehalten, es stand zu hoffen, daß Ravenow ihm Räson lehren werde.
Kurt allein war sitzen geblieben. Er antwortete kaltblütig:
»Ich habe bereits bemerkt, daß ich mich nicht eingedrängt habe, sondern einem höheren Willen gefolgt bin, und muß übrigens fragen, wer ehrenwerter ist, der Freund einer Kutscherstochter oder der Verführer derselben. Freilich sehe ich mich veranlaßt, dieses letztere Wort einigermaßen zu motivieren. Herr von Ravenow hatte sich zwar in den Wagen mit göttlicher Unverschämtheit eingedrängt, doch ist es ihm nicht gelungen, die Damen nach Hause zu begleiten, denn die Damen haben ihn mit Hilfe eines Schutzmannes an die Luft gesetzt.«
Ein »Ah!« des Schreckens ging durch das Zimmer. Das war stark ausgedrückt; jetzt mußte die Katastrophe eintreten.
Ravenow war erbleicht; es ließ sich nicht