Winnetou 4. Karl May
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»Gebt die Stelle näher an! Oder ist Trinidad so klein, daß ihr uns, wenn wir kommen, sofort sehen müßt?«
»Fragt nach dem Hotel des alten Pappermann, den man den ,blauen Maksch‘ zu nennen pflegt. Da bleiben wir über Nacht. Haben uns dort schon angemeldet. Aber, Sir, es sind schon elf Minuten vorüber. Wir haben also nur noch vier Minuten. Besinnt Euch schnell, und gebt uns Bescheid, sonst wird es zu spät!«
»Habt keine Sorge! Wir werden genau mit fünfzehn Minuten zu Ende sein.«
»Hoffentlich! Das liegt ja noch viel mehr in Eurem eigenen Interesse, als in dem unserigen!«
»Wieso?«
»Weil Ihr ohne uns die Apatschen nicht retten könntet!«
Jetzt mußte mein Schlager kommen, mit dem ich ihre Ansprüche und überhaupt ihre Selbstabschätzung herunterzustimmen hatte. Ich schaute ihm also wie belustigt in das Gesicht und sprach:
»Irrt ihr euch da nicht vielleicht? Glaubt ihr wirklich, daß es mir so schwerfallen würde, den Häuptling Kiktahan Schonka an der Devils pulpit zu finden?«
Das schlug ein! Und zwar sofort und äußerst wirkungsvoll! Hariman fuhr jetzt auch von seinem Sitz in die Höhe und rief erschrocken aus:
»Heavens! Er weiß es schon! Seid Ihr allwissend, Sir?«
»Ja, seid Ihr allwissend?« fragte auch Sebulon.
Sie standen nebeneinander vor mir wie zwei Knaben, die beim Apfelstehlen erwischt worden sind. Ich nahm meine Uhr heraus, sah auf das Zifferblatt und antwortete:
»Allwissend ist kein Mensch, kein einziger; aber da ich in diesem Augenblick nicht mehr Schriftsteller, sondern Westmann bin, versteht es sich ganz von selbst, daß ich meine Augen offen halte. Was ihr für ein Geheimnis hattet, das kannte ich, schon ehe ihr es mir jetzt sagtet. Ihr seid also auf einem vollständig falschen Weg, wenn ihr meint, daß ich euch eure Mitteilungen mit dem Nugget-tsil und mit dem Dunkeln Wasser zu bezahlen habe. Das Verhältnis liegt vielmehr grad umgekehrt: Ihr könnt nicht durch die Sioux, sondern nur durch die Apatschen etwas gewinnen, und nur ich würde es sein, der euch diesen Gewinn besorgt.«
Nun stand auch ich von meinem Platz auf und fuhr fort:
»Ich werde heut über sieben Tagen in Trinidad sein, in dem Hotel, welches ihr mir bezeichnet habt. Von diesem Tag an werde ich euch prüfen: Besteht ihr diese Prüfung, so bekommt ihr sowohl den Nugget-tsil als auch das Dunkle Wasser zu sehen, sonst aber nicht! Haltet zu den Sioux oder haltet zu den Apatschen, ganz wie es euch beliebt; die Folgen aber kommen nicht, wie ihr vorhin sagtet, über mich, sondern über euch! – — – So! Auch diese fünfzehn Minuten sind zu Ende, genau auf die Sekunde. Lebt wohl, Mesch‘schurs! Und auf Wiedersehen beim alten Pappermann in Trinidad!«
Ich steckte die Uhr wieder ein und entfernte mich, ohne mich einmal nach ihnen umzusehen. Sie machten keinen Versuch, mich zurückzuhalten. Sie sagten kein Wort; sie waren vollständig verblüfft. Ich ging direkt nach dem Clifton-House, wo Niemand ahnte, daß ich während der Nacht fortgewesen war. Wer mich jetzt überhaupt beachtete, mußte annehmen, daß ich von einem Morgenspaziergang zurückkehre.
Das Herzle hatte ihr Zimmer, seit ich fortgewesen war, nicht verlassen, also noch gar nicht gefrühstückt. Ich ging mit ihr hinab an unseren Tisch, damit sie das Versäumte nachhole. Die beiden Häuptlinge waren schon abgereist; auf ihren Plätzen saßen andere. Ich berichtete meine Zusammenkunft mit den beiden Enters Wort für Wort und erntete die mir als Eheherrn auf jeden Fall gebührende Anerkennung. Das Fenster, an welchem wir saßen, lag, wie bereits gesagt, nach dem Fluß zu. Man sah von ihm aus die Personen, die über die Brücke kamen. Eben hatte ich meinen Bericht beendet, so bemerkten wir das Brüderpaar, welches von drüben herüber nach dem Hotel kam. Der Kellner sah sie auch und sagte, nach ihnen deutend:
»Das sind die Nachbarn! Sie gingen heute sehr zeitig fort. Haben einen Brief bekommen. Sind nie am Tage zu sehen gewesen; heute aber kehren sie zurück. Werde nachschauen, was das für eine Bewandtnis hat!«
Nichts konnte uns lieber sein als diese seine Neugierde. Er ging hinaus. Schon nach einigen Minuten kam er wieder herein und meldete:
»Sie gehen! Sie reisen ab! Jetzt nach Buffalo und von da aus mit dem nächsten Zug nach Chicago. Ganz so, wie die beiden Gentlemen heute früh, die auch nach Chicago gingen. Schade, jammerschade um sie! Bezahlten nur mit Nuggets!«
Nach kurzem sahen wir die Gebrüder Enters das Hotel verlassen und über die Brücke wieder hinübergehen. Das Gepäck, welches sie trugen, bestand aus je nur einer Ledertasche. Mich etwa noch nachträglich zu erkundigen, wo und wie sie des Tags über ihre Zeit verbracht hatten, dazu gab es für mich keinen Grund; ich war, wenigstens für einstweilen, mit ihnen fertig.
»Nun reisen wohl auch wir bald ab?« fragte meine Frau.
»Ja, morgen früh«, antwortete ich.
»Bis wie weit?«
»Hm! Wäre ich allein, so würde ich in einer ununterbrochenen Tour sogleich bis Trinidad fahren.«
»Du glaubst, ich halte das nicht aus?«
»Es ist eine Anstrengung, liebes Kind!«
»Für mich nicht! Wenn ich will, so will ich! Warte, ich werde nachsehen.«
Sie ging nach der Office, um sich die betreffenden Fahrpläne zu holen. Wir schauten nach und rechneten. Es galt, uns weder in Chicago noch in Leavenworth sehen zu lasen. Das war nicht schwer, zumal wir gar nicht über Leavenworth, sondern über das ihm allerdings ziemlich naheliegende Kansas City kamen. Von da aus gab es allerdings noch eine gewaltige Strecke bis Trinidad, aber bei der Einrichtung der amerikanischen Eisenbahnwagen, die alles bieten, was an Bequemlichkeit überhaupt erreichbar ist, war dies gewiß nicht allzu schwer zu überwinden.
»Wir machen es!« sagte das Herzle. »Wir fahren ununterbrochen! Ich selbst werde die Tickets besorgen!«
Wenn sie in diesem bestimmten Ton spricht, dann weiß sie, was sie will, und so saßen wir denn schon am nächsten Morgen im telegraphisch vorausbestellten Abteil des Pullmancar und dampften dem »fernen Westen« und den uns dort erwartenden, hoffentlich nicht gefährlichen Ereignissen entgegen. Anstatt die ebenso lange wie interessante Fahrt zu beschreiben, will ich nur sagen, daß wir in der besten Verfassung in Trinidad ankamen und uns mit unseren zwei Koffern nach dem Hotel des »blauen Maksch« bringen ließen.
Ich hatte das Herzle darauf aufmerksam gemacht, daß wir von dem Augenblick an, in welchem wir in Trinidad den Eisenbahnwagen verlassen würden, für längere Zeit auf einen nicht unbeträchtlichen Teil der »Zivilisation« verzichten mußten. Es stellte sich heraus, daß ich da sehr, sehr Recht gehabt hatte. Trinidad sah zwar keineswegs mehr so aus wie damals, als ich es zum ersten Male so grad zwischen Prärie und Gebirge liegen sah, aber zu wünschen gab es doch gar Vieles noch. Als ich mich auf dem Bahnhof nach Mr. Pappermann und seinem Hotel erkundigte, antwortete der betreffende Beamte kurz:
»Gibt es nicht mehr!«
»Was?« fragte ich. »Ist es mit dem Hotel aus?«
»Nein. Es existiert noch.«
»Aber Mr. Pappermann ist tot?«
»Nein. Er lebt noch.«
»Aber Ihr sagtet doch soeben, daß es beide nicht mehr gebe!«
»Beide