Winnetou 4. Karl May
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»Wußte es! Wußte es! Das konnte nur so einer sein wie Ihr!«
»Ja, nur ich«, lachte ich. »Nicht aber hier meine Frau, wie Ihr ganz richtig zu Euerm Kollegen sagtet.«
»Eure Frau? Eure Frau? ‚sdeath – Tod und Teufel, da habe ich ganz vergessen, mein Kompliment zu machen! Es ist doch in jeder Prärie und in jeder Savanne gute Sitte, daß man zunächst die Frau und erst dann den Mann begrüßt! Pardon! Ich hole das hiermit nach!«
Er versuchte, eine sehr devote und sehr elegante Verbeugung zu machen; da bemerkte ich in seiner und meiner Muttersprache:
»Sie können deutsch mit ihr reden, lieber Pappermann; sie ist eine Deutsche.«
»Deutsch? Auch das noch! Da küsse ich ihr gar die Hand! Oder lieber gleich alle beide!«
Er tat es, aber freilich mit der Grazie eines Bären, doch war es gut gemeint. Dann wollte er sofort meine Schicksale erfahren, um mir hierauf die seinigen zu erzählen. Darauf ging ich ganz selbstverständlich nicht ein, denn erstens galt es, Distanzen zu halten, und zweitens muß man zu solchen Dingen die nötige freie Zeit und die richtige Stimmung besitzen. Ich lud ihn ein, mit uns zu speisen, und bat ihn, unten zu sagen, daß wir wünschten, im Garten zu essen, und zwar erst nach Verlauf einer Stunde. Bis dahin werde ich mit meiner Frau einen Spaziergang unternehmen, damit sie die Stadt kennenlerne, in welcher einer meiner alten Kameraden dieses schöne Hotel besitzt.
»Nicht besitzt, sondern besessen hat«, verbesserte er mich. »Ich werde Ihnen das erzählen.«
»Aber nicht jetzt, sondern später einmal! Hieran schließe ich die Bitte, auch in Beziehung auf mich so wenig wie möglich zu sprechen. Es soll hier Niemand wissen, wie ich heiße und daß ich ein Deutscher bin – — —«
»Schade! Jammerschade!« unterbrach er mich. »Ich wollte soeben hier von Ihnen erzählen – — —«
»Ja nicht, ja nicht!« fiel ich ihm in die Rede. »Ich würde sofort gehen und Sie nie wieder ansehen! Sie mögen meinetwegen sagen, daß auch ich ein alter Westmann bin – — —«
»Und zwar ein berühmter, ein sehr berühmter!«
»Nein, keinesfalls! Ich habe meine guten Gründe, über mich nur Schweigsamkeit zu üben. Ich heiße jetzt Burton, und Sie sind viel, viel berühmter gewesen als ich. Verstanden?«
»Ja.«
»Wir reden also auch kein Deutsch mehr miteinander. Machen Sie mir ja nicht etwa Fehler!«
»Keine Sorge! Ich heiße Maksch Pappermann, und wenn es darauf ankommt, bin ich stumm und taub. Ich vermute, es handelt sich um irgendeines Ihrer alten oder vielmehr nun wieder neuen Abenteuer?«
»Möglich! Vielleicht vertraue ich mich Ihnen an, aber nur dann, wenn ich mich überzeuge, daß Sie wirklich schweigsam sind. Jetzt gehen Sie!«
Er machte eine zweite Verbeugung und entfernte sich, den ihm gewordenen Auftrag auszufahren. Wir aber unternahmen den beabsichtigten Rundgang durch die Stadt, von dem wir pünktlich zur angegebenen Zeit heimkehrten. Wir gingen da zunächst nach unseren Zimmern. Von dort aus sahen wir, daß neue Gäste gekommen waren, nämlich ein halbes Dutzend junger Menschen, die auch im »Garten« essen wollten. Für uns war bereits gedeckt, für sie aber nicht. Man hatte ihnen eine Art von Tafel mit Stühlen herausgestellt. Da saßen sie nun vor einer Flasche Brandy und vollführten einen Heidenlärm, weil das einzige weiße Tuch, welches der Wirt besaß, über unsern Tisch gebreitet war, nicht über den ihren. Auch verlangten sie das für uns soeben fertig gewordene Essen. Sie hatten Pappermann gezwungen, sich zu ihnen zu setzen und mit ihnen zu trinken, und er war so klug gewesen, sich ihnen zu fügen. Nun schrien sie alle auf ihn ein. Sie wollten ihn nicht nur ärgern, sondern auch foppen; er aber zeigte sich dabei so ruhig und unberührt, wie es ihm als alten Wald- und Savannenläufer geziemte. Der von ihnen, welcher das größte Wort führte, hieß, wie wir später erfuhren, Howe. Eben als wir in unsere Räume, deren Fenster noch offen standen, getreten waren, hörten wir ihn sagen:
»Wer ist denn eigentlich dieser Mr. Burton, der das Alles vor uns voraushaben soll?«
Pappermann warf einen Blick nach unseren Fenstern. Er sah mich stehen. Da nickte er leise vor sich hin und antwortete.
»Er ist Musikant.«
»Musikant? Was soll das heißen?«
»Er bläst die Ziehharmonika, und seine Frau spielt die Gitarre dazu.«
»Bläst – — – bläst die Ziehharmonika! Warum bläst da seine Frau die Gitarre nicht auch?«
Ein johlendes Gelächter belohnte diesen billigen Witz.
»Warum redet er so dumm?« zürnte das Herzle.
»Laß ihn!« bat ich. »Er hat seine Absicht. Und die ist gut. Ich vermute, es entspinnt sich da unten eine jener Szenen, an denen der Westmann immer eine große Freude hat, nämlich die Zurechtweisung von Menschen, die ihn für albern oder sonstwie minderwertig halten.«
»Sind diese Menschen etwa Rowdies?«
»Ich glaube nicht, aber sie gebärden sich wie solche. Darum verdienen sie eine gute Lehre noch viel mehr, als wenn sie wirklich welche wären. Ich vermute – — – ah, diese Pferde! Die scheinen ihnen zu gehören!«
»Sind sie gut?«
»Gut? Dieses Wort sagt viel zu wenig!«
»Also wertvoll?«
Ich zögerte, zu antworten, weil meine Aufmerksamkeit jetzt ganz ausschließlich auf die Tiere gerichtet war, denen diese Frage galt. Nämlich durch die hintere Gartenmauer öffnete sich eine Tür auf ein von Gebäuden freies Oedland, welches vorhin bei unserer Ankunft vollständig leer gewesen war; jetzt aber gab es da einige Peone, welche beschäftigt waren, ein Zelt zu errichten. In ihrer Nähe bewegten sich zwei Gruppen von Pferden, die mein ganzes Interesse in Anspruch nahmen. Die eine Gruppe bestand aus neun Pferden und vier Maultieren. Die ersteren waren das, was man »gute« Pferde nennt, nicht mehr und auch nicht weniger; die letzteren stammten jedenfalls aus Mexiko und gehörten jener ganz vorzüglichen Züchtung an, die man dort mit dem Wort »Nobillario« bezeichnet. Ihr Preis betrug selbst unter Brüdern wenigstens tausend Mark pro Stück. Die andere Gruppe zählte nur drei Pferde, aber was für welche! Sie waren Fliegenschimmel, doch nicht etwa schwarz und weiß, sondern schwarz und rotbraun gefleckt, eine ganz einzige, höchst vornehme Farbe, die nur durch lange, mühevolle Zucht zu erreichen gewesen war. Körperbau, Haltung und Gebaren erinnerten mich an die berühmten Rapphengste meines Winnetou, zugleich aber auch an jene ausdauernden Dakotatraber, die es jetzt nicht mehr gibt. Sie wurden von einigen nördlichen Indianerstämmen gezüchtet und erreichten durch ihre ununterbrochene Stetigkeit mehr, als man selbst mit dem besten Renner erreicht.
So dachte ich jetzt, einstweilen, denn um Gewisses sagen und behaupten zu können, mußte man hingehen, um sie in der Nähe zu betrachten und zu untersuchen. Aber daß diese drei Fliegenschimmel besten Blutes waren, ergab sich auch schon daraus, daß sie sich abgesondert hielten und zärtlich miteinander waren. Sie leckten und liebkosten einander; sie jagten einander hin und her und schmiegten sich dann wieder so eng zusammen, daß man sie unbedingt für Geschwister oder doch wenigstens für nahegeborene Gespielen halten mußte, die noch nie voneinander getrennt worden waren.
In der Nähe des Zeltes lag ein Haufen von Decken und anderen Reise- und Lagerutensilien. Auch viele Sättel gab es, wohl mehr als zwanzig Stück. Es waren auch einige Damensättel darunter.