Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika. Gerstäcker Friedrich
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Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika
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Das Irrenhaus zu Buenos-Ayres
Ganz am äußersten Ende der Straße Santa Rosa in Buenos-Ayres stand ein breitschlächtiges niederes Gebäude, aus rothdunklen verwitterten Backsteinen errichtet; die schmalen und sparsam genug eingebrochenen Fenster mit dicken eisernen Stäben verwahrt, die schwere eichene Thür, oder das Hauptthor eigentlich, mit massiven Balken verschlossen und von der Straße selber aus mit keinem sichtbaren Eingang weiter. Dazu war es eine Strecke in den Platz hineingebaut, auf dem es stand, und das ganze Grundstück, das zu ihm gehören mochte, mit einer verwilderten, aber deshalb um so dichteren Hecke von in einandergedrängten stachlichen Kackteen eingeschlossen, die nur nothdürftig um den schmalen Eingang in dieß Gehöft, soweit gekappt waren, daß man bei vorsichtigem Betreten des äußeren Raums nicht in den Dornen derselben hängen blieb.
So belebt die Straße Santa Rosa nun auch nach dem innern Theil der Stadt zu sein mochte, so still und öde war sie hier, und glich in der That eher einer von traurigen Kacktushecken eingefaßten Landstraße. An den Seiten waren Gräben angebracht, das Wasser abzuleiten; zu den Thüren der einzelnen Hofräume führten schmale, darübergelegte, oft schlüpfrige und wurmzerfressene Bretter und der Fahrweg bestand in der jetzigen Regenzeit, dem südamerikanischen Winter, aus einer schwer flüssigen Schlammmasse, durch die sich die unbehülflichen Karren der Pampas mit ihren zwei Riesenrädern, von schläfrigen Stieren gezogen, langsam hindurch wälzten, und selbst der flüchtige Gaucho1, der noch weiter draußen, die Straße verschmähend oder eine neue bahnend, über die Fläche dahin geflogen, zügelte hier seinen wilden Galopp und ließ sein ungeduldig schnaubendes, schäumendes Thier langsamer durch die schwimmende Masse hindurchschreiten.
Wenn es überhaupt Fußgänger in der Argentinischen Republik gäbe, wo Alles zu Pferde sitzt, wäre ihr Schuhwerk und ihre Geduld hier erprobt worden, dieser obere Theil der Straße wurde aber fast schon, wie es schien, zum Lande gerechnet, und wer selbst von hier aus irgend etwas aus einem der weiten, dem Mittelpunkt der Stadt zu gelegenen Läden zu holen oder Geschäfte hatte, die ihn dort hin riefen, verschmähte es wahrlich nicht, sein Pferd deshalb zu satteln.
Aber die Straße selber kümmert uns wenig, wir haben es mit dem alten Hause zu thun, und ich wollte die erstere nur etwas genauer beschreiben, dem Leser mehr die traurige, trostlose Öde des ganzen Platzes zu versinnlichen, die sogar noch einen unheimlichen Charakter annahm, wenn man die Bestimmung des alten wettergeschlagenen Gebäudes kannte.
Es war ein Irrenhaus – von Privatleuten angelegt und später, als sich diese nicht mehr im Stande fühlten, es fortzuführen, von der Regierung übernommen, aber in der Aufregung der Zeit nur spärlich verwaltet. Nichts desto weniger befanden sich gegenwärtig elf unglückliche Gäste in den Kammern oder Zellen des Gebäudes – einige in Ketten und Banden, andere frei in ihrem Zimmer, nur wenigen aber verstattet, den inneren, ebenfalls streng abgesperrten Hofraum zu betreten, dann und wann die frische Gottesluft einzuathmen.
Angestellt waren dabei ein Hauptarzt, ein Argentiner oder eigentlich ein geborener Spanier, denn wenn sich die Republik auch von der Regierung des Mutterlandes losgerissen, konnte sie doch noch nicht aus eigenen Kräften die Wissenschaft ersetzen, die ihr von dort herüber gekommen – und zwei Unterärzte, der obere von diesen ein geborener Argentiner aus Cordoba, der andere ein junger Schwede, der von Rio-Grande aus Brasilien, mit vielen Landsleuten und Deutschen herübergekommen war, dem aufblühenden Argentinischen Staat seine Kräfte zu weihen und sich hier rascher und leichter eine Existenz zu gründen. Er hieß Stierna und war der spanischen Sprache vollkommen mächtig.
Diesem, als jüngsten Arzt war auch die Behandlung der leichtesten Kranken anvertraut, die in der That hie und da nur verlangten, daß man nach ihnen sah, damit nicht rauhes Betragen der rauhen Wärter oder schlechtere Kost vielleicht sie unnöthiger Weise errege und ihre gehoffte Heilung erschwere.
Don Alvarado, der Oberarzt, kam selten, und bei sehr schlechtem Wetter nie heraus; Don Pancho hatte indessen die Oberaufsicht, und einzelne der Kranken waren es, die er ausschließlich behandelte, und zu denen er dem jungen Schweden fast nie, selbst nur den Zutritt gestattete, und geschah das wirklich, nur in seinem Beisein.
Zu diesen wenigen, die Don Pancho, und wie er behauptete, ebenfalls Don Alvarado für unheilbar erklärt hatte, gehörte auch ein Spanier, von blassen, aber edlen Zügen, reinlich und geschmackvoll, ja elegant gekleidet, und seine Toilette, auf die er mit größter Sorgfalt hielt, selbst in diesem Aufenthalt des Jammers auch nicht eine Minute vernachlässigend. Das schwarze glänzende Haar fiel ihm in reichen vollen Locken über die Stirn, den linken Zeigefinger schmückte ein kostbarer Diamant und seine Wäsche war vom feinsten Linnen und größter Sauberkeit. Auch in seinem ganzen Betragen war er ernst und ruhig, ein vollkommener Gentleman; und Stierna gab sich, während der zwei Male, die er den Kranken in Don Panchos Gegenwart besuchen durfte, die größte Mühe, irgend ein Symptom seines Leidens in einem äußern Zeichen zu entdecken – vergebens, der Kranke war artig, wenn auch einsilbig, äußerte nur ein paar kleine Wünsche wegen eines Zeichnenapparates und mehrerer Bücher, und der Schwede würde nach den zwei Besuchen nie einen Wahnsinnigen in ihm vermuthet haben – hätte er ihn eben an einem anderen Orte getroffen.
Die Anstalt selbst schien aber ebenfalls größere Rücksicht auf ihn zu nehmen, wie auf einen der anderen Kranken; sein Zimmer war mit einem Teppich belegt, der den kalten Backsteinboden vollständig bedeckte, er konnte schreiben und zeichnen, eine kleine Bibliothek selbst stand zu seiner Verfügung und er wurde in der That weit mehr wie ein Staatsgefangener, als ein Geisteskranker behandelt, so daß Stierna jedesmal nach einem solchen Besuch mehr und mehr den Gedanken in sich aufsteigen fühlte, es müsse dem Schicksal dieses Unglücklichen irgend ein tiefes und vielleicht gar düsteres Geheimniß zu Grunde liegen. Ein paar Mal versuchte er auch von seinem Collegen Aufschluß über dieß Verhältniß zu bekommen, aber umsonst; so gesprächig Don Pancho in jedem andern Fall auch sein mochte, hierüber gab er dem Frager immer nur kurze und stets ausweichende Antworten, bis diesem die ganze Sache zum peinlichen Räthsel wurde, dem er nun, koste es was es wolle, auch zur Wurzel nachspüren müsse.
Der Zufall war ihm hierbei günstiger als er erwartet hatte; Don Pancho nämlich wurde plötzlich so krank, daß er seinem Amte, von einem bösartigen Schleimfieber an sein Lager gefesselt, längere Zeit nicht mehr vorstehen konnte, und wenn sich auch Don Alvarado in den ersten Tagen der Geschäfte außergewöhnlich lebhaft annahm und die Anstalt den Tag über fast gar nicht mehr verließ, hielt dieser vortreffliche Eifer doch keineswegs so lange aus, wie das Schleimfieber seines Untergebenen, und schon nach drei Wochen ließ er Stierna zu sich rufen. Dort übertrug er ihm die tägliche Aufsicht der übrigen Kranken, zu seiner Hülfe ihm noch einen jungen englischen Arzt erlaubend, der an den Gouverneur Rosas von London selber empfohlen und von diesem augenblicklich eine, wenn auch für jetzt noch untergeordnete Stellung in dem Hospital erhalten hatte, nur freilich während der Krankheit des einen Unterarztes, dem aktiven Arzte mit beigegeben werden sollte.
Nach einer kurzen und allgemeinen Übersicht über die Kranken, kam übrigens Don Alvarado jetzt auch auf den wunderbaren Patienten, den Spanier zu sprechen, und warnte Stierna besonders, sich nicht in zu weitläufige Gespräche mit ihm einzulassen, da der Fall vorgekommen sei, daß er, nach einer sehr lebhaft geführten Unterhaltung einen förmlichen Anfall von Raserei bekommen haben sollte, während er sonst harmlos und still blieb, und selten nur den Dämon verrieth, der in ihm schlummerte.
»Ich glaube gerade nicht,« setzte der alte Herr hinzu, »daß Sie Don Morelos, wie der spanische Cavallero heißt, denn sein Familienname thut hier Nichts zur Sache, mit seinen Phantasieen behelligen wird, wenn Sie sich nur im Mindesten, wie Ihnen aufgetragen worden, von ihm zurückhalten; er ist gerade in letzter Zeit ganz besonders schweigsam gewesen. Um Sie aber auch auf die Möglichkeit eines solchen Falles vorzubereiten, wäre es doch wohl gut, ja vielleicht nöthig, daß ich Ihnen, wenn auch nur mit ganz kurzen Worten die Entstehung seiner Krankheit mittheilte.«
»Mit einem
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Gaucho's, die Bewohner der weiten Steppen oder Pampas des inneren Landes, aber nicht die Indianer.