Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika. Gerstäcker Friedrich

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Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika - Gerstäcker Friedrich

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schreien ihm in's Ohr, daß er sich in einem Irrenhause befände und selber toll sei, und seine Sinneswerkzeuge müßten von Stahl und Eisen sein, wenn er es nicht wirklich auch am Ende würde – der Geist hält es nicht aus, gegen eine solche furchtbare Idee immer und immer wieder vergebens anzukämpfen.«

      »Aber wenn Sie fühlen, daß Sie jene Idee abgeschüttelt haben, so werden sich diese Thore auch bald Ihnen öffnen – ich will gleich heute mit Don Alvarado – «

      »Um Gottes Willen nicht!« unterbrach ihn der Spanier rasch und ängstlich, indem er seinen Arm ergriff; »das einzige Resultat davon wäre, daß man Sie nicht wieder zu mir ließe, und ich – fürchte jetzt fast, Sie wieder zu verlieren.«

      »Aber Sie glauben doch nicht, daß man Sie hier zurückhalten würde, wenn nicht – «

      »Wie lange sind Sie in der Argentinischen Republik?« unterbrach ihn Don Morelos finster.

      »Zehn Monate etwa,« lautete die Antwort.

      »Ich dachte es,« sagte der Spanier leise, »da stehen Ihnen denn freilich noch traurige Erfahrungen bevor. So wissen Sie denn, daß ich ein Opfer von Rosas furchtbarer, aber schlauer Politik geworden bin. Er hätte mich mit leichter Mühe tödten können – er hat das Blut Tausender vergossen, und das meinige würde nicht viel schwerer auf seiner Seele gelastet haben – aber er braucht in späterer Zeit die Beweise meines Lebens – es sind dies Familienverhältnisse, zu denen es Stunden bedürfen würde, sie Ihnen auseinander zu setzen – und während er keine passende Entschuldigung finden konnte, mich in einen Kerker zu werfen, wurde die Straße Santa Rosa ein vortreffliches Asyl für den armen Geisteskranken.«

      »Aber Don Alvarado – «

      »Darf nicht anders – lieber Freund, wir hüten uns zu tanzen, wenn wir auf der dünnen Kruste eines Vulkans stehen. Don Alvarado weiß recht gut, daß er dem Willen des Diktators nicht entgegenhandeln darf, und daß es selbst zu einem Verbrechen werden könnte, auch nur seinem Wunsche nicht zu begegnen; die Mashorqueros2 sind vortreffliche Überzeugungsgründe, und es erfordert starke Nerven, oder – ein schnelles Roß – ihnen zu widerstreben.«

      »Aber jene Dame?« – sagte Stierna, noch immer zögernd und halb ungläubig, obgleich ihn das ruhige resignirte Benehmen des wahnsinnig gesagten als fast zu starke Beweise für dessen Behauptungen erwuchsen.

      »Die Dame?« lächelte Don Morelos wehmüthig, und barg für wenige Sekunden seine Augen in der deckenden Hand, dann sich aber emporrichtend sagte er langsam und leise mit dem Kopf dazu nickend: —

      »Sie verstehen es – sie verstehen es, die Teufel, Einem das Herz in der Brust zu wenden nach eigenem Gutdünken, und wenn es blutet, schreien sie Mord! er ist der Thäter – das ist Gottes Gericht. Nein, Señor,« wandte er sich dann lebendiger an den jungen Mann, »lassen Sie nicht auch das eigene Herz Zeuge gegen den Verstand eines Unglücklichen sein – behandeln Sie mich wenigstens nicht wie einen Tollen, und wenn Sie mir auch nicht helfen können, lassen Sie mir wenigstens das Glück, ein Wesen in meiner Nähe zu wissen, das nicht, mit den Übrigen im Bund, mich nur dahin zu treiben sucht, wofür diese mich ausgeben.«

      Stierna fühlte sich, als er den Unglücklichen an diesem Tage verließ, wie im Traum, und die widersprechensten Gefühle kämpften in seinem Innern. Verhielt sich die Sache wirklich so, als sie ihm Don Morelos erzählt, und was auch seine Vernunft dazu sagen wollte, sein Herz drängte ihn, es zu glauben – so war er hier der Mitschuldige eines furchtbaren Verbrechens, einer That, weit schlimmer als kaltblütiger Mord, denn dieser tödtet nur den Leib, während jene darauf hin arbeitete, die Seele eines Menschen langsam und teuflisch zu vernichten.

      Am nächsten Morgen suchte er Don Alvarado auf, aber dessen mißtrauischer Blick nur, als er die erste, noch ganz gleichgültige Frage über diesen Kranken that, warnte ihn, weiter zu gehen, wenn er nicht allerdings befürchten wollte, von jeder Verbindung mit ihm abgeschnitten zu werden. Ebenso vergebens waren seine Nachforschungen in der Stadt, etwas Näheres von Unbetheiligten über den Zustand des jungen Spaniers zu hören. Man erinnerte sich allerdings noch eines ähnlichen Vorfalls; die letzten Jahre hatten aber so viel des Neuen und Entsetzlichen gebracht, daß einzelne Daten in dem allgemeinen Strom des Blutes, das durch die Straßen der Stadt, oft aus den treuesten Herzen geflossen, untergingen und verschwanden. Niemand dachte mehr, wie es schien, an diesen besonderen Fall, und nur ein einziger alter Spanier, der Don Morelos auch wohl früher persönlich gekannt, äußerte gegen den jungen Arzt, mehr dabei als wohlmeinende Warnung, wie irgend eine Auskunft gebend – »es sei vollkommen hinreichend, von dem Diktator für wahnsinnig erkannt zu sein – um es wirklich zu werden.«

      Alles das diente nur dazu, dem exaltirten jungen Schweden mehr und mehr die eigene Erklärung des angeblichen Kranken glaubhaft erscheinen zu lassen, und so peinlich wurde ihm zuletzt das Gefühl, der Gefängnißwärter eines unschuldig Eingekerkerten sein zu müssen, daß er Pläne auf Pläne entwarf, dem zu entgehen, oder ein Mittel aufzufinden, dem Gefangenen zu helfen.

      Don Pancho hatte sich indessen von seiner Krankheit erholt, und war wenigstens so weit hergestellt worden, theilweise seinen früheren Dienst wieder zu versehen; Stierna mußte ihn allerdings noch sehr dabei unterstützen, aber einige wenige Kranke, und unter diesen Don Morelos, nahm er wieder unter seine eigene Aufsicht, und nur das schien der Schwede durch die bisher ihm überlassene Behandlung gewonnen zu haben, daß er nicht mehr so streng von diesem entfernt gehalten wurde, und wenigstens dann und wann Zutritt hatte.

      Gerade dieser gewisse Zwang beförderte aber, ja beschleunigte, was vielleicht monatelanges freies Aus- und Eingehen des jungen Arztes, wenigstens nicht in der Stärke bewirkt haben würde – diese beiden jungen Leute, der Arzt und sein »Kranker«, wurden innige Freunde, und Stierna's einziges Streben war jetzt darauf gerichtet, ein Mittel ausfindig zu machen, den Freund zu retten. Noch aber hatte er mit ihm selber nicht ein Wort darüber gesprochen, denn wenn er auch mit Freuden seine ganze Stellung, wie die Gewißheit, hier einst eine sichere Existenz für sich zu gründen, von sich geworfen hätte, fehlte es ihm doch an den nöthigen Mitteln, eine Flucht glücklich durchzuführen, die, wenn vor der Zeit entdeckt, jedenfalls sein Leben gekostet, und die Lage des unglücklichen Gefangenen gewiß um vieles verschlimmert haben würde.

      Augenscheinlich war dabei, daß der Gefangene selber zu viel Zartgefühl besaß, diesen Punkt zu berühren – er mußte ja recht gut wissen, was davon für seinen jungen Freund abhing, und überdieß war eine Flucht aus diesem Gebäude, das mit einer Masse müßiger Wächter versehen, unter der besonderen Aufsicht des Gouverneurs stand, auch gar nicht so leicht, und der schwächliche Spanier durfte sich dabei nicht einmal auf seine eigene Energie und Ausdauer verlassen. Stierna wurde sein Zustand aber trotzdem zuletzt so peinlich, daß er es nicht länger ertragen konnte, und unter jeder Bedingung beschloß, Don Morelos wenigsten von seiner eigenen Absicht in Kenntniß zu setzen, und ihm seine Hülfe anzubieten, wenn er nur irgend einen haltbaren Plan wüßte, die Flucht nicht allein aus dem Kerker, sondern auch auf Nachbargebiet nach Brasilien oder wenigstens nach Monte-Video zu bewerkstelligen.

      Hierzu fand sich bald eine günstige Stunde; Don Pancho war eines Nachmittags mit Don Alvarado zu dem Diktator selber geladen, vielleicht einen Bericht über ihre Kranken abzulegen, und Stierna säumte diesmal nicht, den, vielleicht nicht sobald wiederkehrenden Augenblick zu benutzen.

      Merkwürdig und eigenthümlich war der Eindruck, den die Erklärung des jungen Mannes auf den Gefangenen machte. – Er wurde leichenblaß, sah den Freund wohl eine halbe Minute starr und regungslos an, und barg dann das Antlitz in den Händen, während sein Körper wie in furchtbarer Aufregung arbeitete, und das Blut in den Adern seiner Schläfe aus der bleichen Haut herauszuspritzen drohte. Auch erst nach langer Zeit gab sich diese durch die plötzliche Freudenbotschaft vielleicht so gewaltsam heraufbeschworene Leidenschaft, und als er die Hände endlich wieder von seinen Zügen entfernte, hatten diese ihre

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<p>2</p>

Die Henkersknechte des Diktators Rosas.