Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Zweiter Band.. Gerstäcker Friedrich

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Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Zweiter Band. - Gerstäcker Friedrich

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oder dann und wann auch Einen oder den Andern anzurufen. In ein ordentliches Gespräch ließ sich aber Niemand mit ihm ein, denn Jeder hatte seine bestimmte Beschäftigung, und daß Justus keine zu haben schien, kümmerte die Anderen eben nicht.

      Justus sah übrigens auch gar nicht so einladend aus, das Haar hing ihm noch wirr um Kopf und Schläfe, als ob er sich an dem Morgen – etwas sehr Wahrscheinliches – noch nicht einmal gewaschen hätte, und ein paar blutige Striemen in dem von Leidenschaften gefurchten und unrasirten Gesichte dienten ebenfalls nicht dazu ihn zu verschönern.

      Sein Humor schien aber dafür desto besser; er pfiff fortwährend bei der Arbeit, aber ob aus eigener fröhlicher Laune oder vielleicht die Vorübergehenden und die Nachbarn wissen zu lassen, daß er sich den Henker um Einen von ihnen scheere, ließ sich nicht genau erkennen. Es kümmerte sich auch Niemand darum.

      Da kam ein einzelner Fußgänger langsam die Straße herauf. Er hatte die Mütze, mit einem Tressenbande darum, schief und herausfordernd auf dem linken Ohr, beide Hände in den Taschen einer alten Militärhose, die Weste um einen Knopf zu hoch eingeknöpft und den blauen Leinwandrock fleckig und an der Schulter eingerissen, außerdem aber eine kurze, schmutzige Porzellan-Pfeife im Munde und einen roth und grünen Tabaksbeutel vorn im Knopfloch hangen.

      Wie er dem Hause gegenüber war, blieb er stehen und las das Schild, besah sich dann aufmerksam den im Fenster sitzenden Eigenthümer, ging ohne Weiteres zu ihm hinüber, lehnte beide Arme auf das Fensterbret und sagte:

      »Guten Morgen, Schneider, wie geht's?«

      Es giebt in der Welt eine Physiognomik, die wie die Freimaurerei ihre gewissen Zeichen unter sich hat, und nach der sich verwandte Charaktere oft wie durch eine Art von Instinct zu erkennen scheinen. Im Guten wie im Bösen zeigt sich das, und wie sich ein braver, rechtlicher Mann von dem offenen und ehrlichen Auge eines oft ganz Fremden angezogen fühlt, so kann der Lump oder Verbrecher gerade das offene und ehrliche Auge nicht leiden, fühlt sich aber augenblicklich heimisch, wo er die Gewißheit findet das zu treffen, was er selber zu seinem eigenen Wohlbehagen braucht: Genossenschaft im Laster und ein schlechtes Gewissen. Zu dem Ersten müßte er aufblicken, das ist ihm unbequem – zu dem Andern sagt er Du – wenn auch nicht immer gleich wörtlich, doch immer gleich im Geiste, und die Gesellschaft ist ihm gerade recht.

      »Guten Morgen, Schneider, wie geht's?« redete auch deshalb der Fremde den am Fenster sitzenden Justus an, als ob sie seit Jahren Freunde gewesen wären, und nicht erst heute oder gestern erfahren hätten, daß sie gegenseitig auf der Welt wären – »immer so fleißig?«

      »Muß ja wohl,« lautete die für jetzt noch ausweichende Antwort des Arbeitenden, dem der Fremde zu rasch gekommen war, um sich gleich in ihn hinein zu finden; »wohl erst neulich angekommen?«

      »Mit dem Schiff – ja. Hübsch hier in Brasilien, wie?«

      »Wem's gefällt, ja,« lautete die Antwort; »aber Donnerwetter, wie ist mir denn? Das Gesicht sollt' ich doch kennen – bist Du denn nicht der Bursche, Kamerad, den die vornehme Gesellschaft da neulich beim Bier hinausfuhrwerkte? Hast wohl noch keine Zeit gehabt, Dir den Rock wieder zu flicken?«

      »Hm,« brummte der Fremde, dem die Erwähnung jener Scene eben nicht besonders angenehm zu sein schien; »wenn zehn Lümmel über Einen herfallen – hübsche Gastfreundschaft hier bei Euch, das muß wahr sein; und Du hast vielleicht auch mit angefaßt?«

      »Doch nicht,« sagte Justus kopfschüttelnd – hol' sie der Teufel, die Canaillen, mir sind sie eben so wenig grün, und ich hab' gerade eine solche Kreide gegen sie.«

      »Oho?« lachte der Fremde, der dadurch neues Vertrauen faßte – »aber was hilft's? Viele Hunde sind des Hasen Tod, und wenn die Meute zusammenhält, wer kann dagegen?«

      »Deshalb muß man warten, bis man sie einmal auseinander trifft, und nachher seine Zeit wahren – aber wo kommst Du her?«

      »Vom Rhein,« sagte der mit der Tressenmütze.

      »Und was hast Du für ein Geschäft oder Handwerk?«

      »Keins von Beiden,« brummte der Bursche, sich bequem mit dem Kinn auf seine beiden Arme lehnend.

      »Schafskopf!« sagte auf einmal eine deutliche Stimme dicht hinter dem Schneider, der sich rasch und erschreckt umsah und die Nadel fallen ließ, als er keinen Menschen hinter sich erblickte.

      »Nanu?« rief er ordentlich bestürzt aus und fuhr auf seinem Stuhle herum – »da hätt' ich denn doch darauf schwören wollen, daß Jemand dicht hinter mir schimpfte. Hast Du Nichts gehört?«

      »Ich?« sagte der Fremde gleichgültig – »gar Nichts. Was war's denn?«

      »Na, das ist aber doch merkwürdig,« meinte der Schneider kopfschüttelnd – »ich habe ganz deutlich gehört, wie Jemand sagte…«

      »Schafskopf!« ertönte die Stimme noch einmal, und der Mann fuhr von seinem Tische herunter, als ob er auf glühendem Eisen gesessen hätte. Jetzt hielt sich aber auch der Fremde vor dem Fenster nicht länger und schlug ein so gellendes Gelächter auf, daß Justus sich erstaunt und halb gereizt nach ihm umsah. Der mit der Tresse aber, noch immer lachend, während er sich mit beiden Händen an dem Fensterbret hielt, rief:

      »Beruhige Dich nur, tapferer Kamerad – beruhige Dich nur; es ist nicht der Geist irgend eines verschnittenen Tuchrockes, der zu Dir gesprochen, sondern…«

      »Ich war's ja selber,« rief wieder eine feine Stimme aus der entferntesten Ecke vor.

      »Ja, was beim hellen Teufel!« fluchte Justus – »Halunke Du, bist Du denn ein Bauchredner?«

      Der mit der Tresse lachte noch immer, daß ihm die Thränen von den schmutzigen Backen herunter liefen, und Justus, sich wieder auf seinen Tisch setzend, fuhr jetzt selber lachend fort:

      »Verfluchter Kerl! Habe wahrhaftig einen ordentlichen Schreck gekriegt. Aber komm herein, Kamerad; die Alte wird das Essen gleich fertig haben, und wenn Du nicht vielleicht beim Director eingeladen bist…«

      »Ein recht vergnügtes und sauberes Pärchen, das muß wahr sein,« unterbrach in diesem Augenblick eine Stimme von der Straße die Unterhaltung der Beiden, und als sie rasch den Kopf danach drehten, ging eben Jeremias mit einem Bündel junger Pfirsichbäume auf der Schulter, die er draußen aus irgend einer Chagra geholt, die Straße hinab.

      »Dich kümmert's wohl, Du verbrannter Halunke!« rief ihm der Schneider zu, dem beim Anblick seines Feindes die Galle rasch wieder überlief.

      »Lauf', mein Junge, lauf', sie kommen!« rief in dem Momente eine Stimme dicht hinter Jeremias, und dieser drehte rasch und verwundert den Kopf der leeren Stelle zu.

      »Lauf', mein Bursche, lauf'! Sie kommen wahrhaftig!« drängte es auf's Neue, und Jeremias, der noch immer keinen Menschen sah, wurde es doch jetzt unheimlich. Er dachte gar nicht mehr an den Schneider und dessen Gesellschaft, sondern schritt schärfer aus, und als jetzt gar eine Stimme an seiner Seite laut wurde, die rief:

      »Halt still, Bursche, halt still! Ich muß eins von Deinen Ohren haben!« fing er herzhaft an zu laufen, und stand, von dem jubelnden, wiehernden Gelächter der Beiden verfolgt, nicht eher still, als bis er wieder in die eigentliche Straße und zwischen mehrere Häuser kam.

      Justus Kernbeutel war aber jetzt rein außer sich vor lauter Vergnügen, seinen ärgsten Feind – denn er haßte den fleißigen und sparsamen Jeremias wie Gift – so angeführt und gejagt zu sehen, und der mit der Tresse mußte, er mochte wollen oder nicht, mit zu ihm in's Haus hinein, um an der eben aufgetragenen Mahlzeit

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