Der Zauberberg. Volume 1. Томас Манн
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Zauberberg. Volume 1 - Томас Манн страница 6
"Gleich mit dir?" fragte der Vetter und wandte ihm seine großen Augen zu, die immer sanft gewesen waren, in diesen fünf Monaten aber einen etwas müden, ja traurigen Ausdruck angenommen hatten. "Gleich wann?"
"Na, in drei Wochen."
"Ach so, du fährst wohl schon wieder nach Hause in deinen Gedanken", antwortete Joachim. "Nun, warte nur, du kommst ja eben erst an. Drei Wochen sind freilich fast nichts für uns hier oben, aber für dich, der du zu Besuch hier bist und über-haupt nur drei Wochen bleiben sollst, für dich ist es doch eine Menge Zeit. Erst akklimatisiere dich mal, das ist gar nicht so leicht, sollst du sehen. Und dann ist das Klima auch nicht das einzig Sonderbare bei uns. Du wirst hier mancherlei Neues sehen, paß auf. Und was du von mir sagst, das geht denn doch nicht so flott mit mir, du, 'in drei Wochen nach Haus', das sind so Ideen von unten. Ich bin ja wohl braun, aber das ist haupt-sächlich Schneeverbrennung und hat nicht viel zu bedeuten, wie Behrens auch immer sagt, und bei der letzten Generaluntersu-chung hat er gesagt, ein halbes Jahr wird es wohl ziemlich si-cher noch dauern."
"Ein halbes Jahr? Bist du toll?" rief Hans Castorp. Sie hatten sich eben vor dem Stationsgebäude, das nicht viel mehr als ein Schuppen war, in das gelbe Kabriolett gesetzt, das dort auf stei-nigem Platze bereit stand, und während die beiden Braunen an-zogen, warf sich Hans Castorp empört auf dem harten Kissen herum. "Ein halbes Jahr? Du bist ja schon fast ein halbes Jahr hier! Man hat doch nicht so viel Zeit – !"
"Ja, Zeit", sagte Joachim und nickte mehrmals geradeaus, oh-ne sich um des Vetters ehrliche Entrüstung zu kümmern. "Die springen hier um mit der menschlichen Zeit, das glaubst du gar nicht. Drei Wochen sind wie ein Tag vor ihnen. Du wirst schon sehen. Du wirst das alles schon lernen", sagte er und setzte hin-zu: "Man ändert hier seine Begriffe."
Hans Castorp betrachtete ihn unausgesetzt von der Seite.
"Du hast dich aber doch prachtvoll erholt", sagte er kopf-schüttelnd.
"Ja, meinst du?" antwortete Joachim. "Nicht wahr, ich denke doch auch!" sagte er und setzte sich höher ins Kissen zurück; doch nahm er gleich wieder eine schrägere Stellung ein. "Es geht mir ja besser", erklärte er; "aber gesund bin ich eben noch nicht. Links oben, wo früher Rasseln zu hören war, klingt es jetzt nur noch rauh, das ist nicht so schlimm, aber unten ist es noch sehr rauh, und dann sind auch im zweiten Interkostalraum Geräusche."
"Wie gelehrt du geworden bist", sagte Hans Castorp.
"Ja, das ist, weiß Gott, eine nette Gelehrsamkeit. Die hätte ich gern im Dienste schon wieder verschwitzt", erwiderte Joachim. "Aber ich habe noch Sputum", sagte er mit einem zu-gleich lässigen und heftigen Achselzucken, das ihm nicht gut zu Gesichte stand, und ließ seinen Vetter etwas sehen, was er aus der ihm zugekehrten Seitentasche seines Ulsters zur Hälfte her-auszog und gleich wieder verwahrte: eine flache, geschweifte Flasche aus blauem Glase mit einem Metallverschluß. "Das ha-ben die meisten von uns hier oben", sagte er. "Es hat auch einen Namen bei uns, so einen Spitznamen, ganz fidel. Du siehst dir die Gegend an?"
Das tat Hans Castorp, und er äußerte: "Großartig!"
"Findest du?" fragte Joachim.
Sie hatten die unregelmäßig bebaute, der Eisenbahn gleich-laufende Straße ein Stück in der Richtung der Talachse verfolgt, hatten dann nach links hin das schmale Geleise gekreuzt, einen Wasserlauf überquert und trotteten sanft nun auf ansteigendem Fahrweg bewaldeten Hängen entgegen, dorthin, wo auf niedrig vorspringendem Wiesenplateau, die Front südwestlich gewandt, ein langgestrecktes Gebäude mit Kuppelturm, das vor lauter Balkonlogen von weitem löcherig und porös wirkte wie ein Schwamm, soeben die ersten Lichter aufsteckte. Es dämmerte rasch. Ein leichtes Abendrot, das eine Weile den gleichmäßig bedeckten Himmel belebt hatte, war schon verblichen, und je-ner farblose, entseelte und traurige Übergangszustand herrschte in der Natur, der dem vollen Einbruch der Nacht unmittelbar vorangeht. Das besiedelte Tal, lang hingestreckt und etwas ge-wunden, beleuchtete sich nun überall, auf dem Grund sowohl wie da und dort an den beiderseitigen Lehnen, – an der rechten zumal, die auslud, und an der Baulichkeiten terrassenförmig aufstiegen. Links liefen Pfade die Wiesenhänge hinan und ver-loren sich in der stumpfen Schwärze der Nadelwälder. Die ent-fernteren Bergkulissen, hinten am Ausgang, gegen den das Tal sich verjüngte, zeigten ein nüchternes Schieferblau. Da ein Wind sich aufgemacht hatte, wurde die Abendkühle empfindlich.
"Nein, ich finde es offen gestanden nicht so überwältigend", sagte Hans Castorp. "Wo sind denn die Gletscher und Firnen und die gewaltigen Bergriesen? Diese Dinger sind doch nicht sehr hoch, wie mir scheint."
"Doch, sie sind hoch", antwortete Joachim. "Du siehst die Baumgrenze fast überall, sie markiert sich ja auffallend scharf, die Fichten hören auf, und damit hört alles auf, aus ist es, Felsen, wie du bemerkst. Da drüben, rechts von dem Schwarzhorn, die-ser Zinke dort, hast du sogar einen Gletscher, siehst du das Blaue noch? Er ist nicht groß, aber es ist ein Gletscher, wie es sich gehört, der Skaletta-Gletscher. Piz Michel und Tinzenhorn in der Lücke, du kannst sie von hier aus nicht sehen, liegen auch immer im Schnee, das ganze Jahr."
"In ewigem Schnee", sagte Hans Castorp.
"Ja, ewig, wenn du willst. Doch, hoch ist das alles schon. Aber wir selbst sind scheußlich hoch, mußt du bedenken. Sech-zehnhundert Meter über dem Meer. Da kommen die Erhebun-gen nicht so zur Geltung."
"Ja, war das eine Kletterei! Mir ist angst und bange geworden, kann ich dir sagen. Sechzehnhundert Meter! Das sind ja annähernd fünftausend Fuß, wenn ich es ausrechne. In meinem Leben war ich noch nicht so hoch." Und Hans Castorp nahm neugierig einen tiefen, probenden Atemzug von der fremden Luft. Sie war frisch – und nichts weiter. Sie entbehrte des Duf-tes, des Inhaltes, der Feuchtigkeit, sie ging leicht ein und sagte der Seele nichts.
"Ausgezeichnet!" bemerkte er höflich.
"Ja, es ist ja eine berühmte Luft. Übrigens präsentiert sich die Gegend heute abend nicht vorteilhaft. Manchmal nimmt sie sich besser aus, besonders im Schnee. Aber man sieht sich sehr satt an ihr. Wir alle hier oben, kannst du mir glauben, haben sie ganz unaussprechlich satt", sagte Joachim, und sein Mund wur-de von einem Ausdruck des Ekels verzogen, der übertrieben und unbeherrscht wirkte und ihn wiederum nicht gut kleidete.
"Du sprichst so sonderbar", sagte Hans Castorp.
"Spreche ich sonderbar?" fragte Joachim mit einer gewissen Besorgnis und wandte sich seinem Vetter zu…
"Nein, nein, verzeih, es kam mir wohl nur einen Augenblick so vor!" beeilte sich Hans Castorp zu sagen. Er hatte aber die Wendung "Wir hier oben" gemeint, die Joachim schon zum dritten – oder viertenmal gebraucht hatte und die ihn auf irgend eine Weise beklemmend und seltsam anmutete.
"Unser Sanatorium liegt noch höher als der Ort, wie du siehst", fuhr Joachim fort. "Fünfzig Meter. Im Prospekt steht 'hundert', aber es sind bloß fünfzig. Am allerhöchsten liegt das Sanatorium Schatzalp dort drüben, man kann es nicht sehen. Die müssen im Winter ihre Leichen per Bobschlitten herunter-befördern, weil dann die Wege nicht fahrbar sind."
"Ihre Leichen? Ach so! Na, höre mal!" rief Hans Castorp. Und plötzlich geriet er ins Lachen, in ein heftiges, unbezwingliches Lachen, das seine Brust erschütterte und sein vom kühlen Wind etwas steifes Gesicht zu einer leise schmerzenden Gri-masse verzog. "Auf dem Bobschlitten! Und das erzählst du mir so in aller Gemütsruhe? Du bist ja ganz zynisch geworden in diesen fünf Monaten!"
"Gar nicht zynisch", antwortete Joachim achselzuckend. "Wieso denn? Das ist den Leichen doch einerlei … Übrigens kann es wohl sein, daß man zynisch wird hier bei uns. Behrens selbst ist auch so ein alter Zyniker – ein famoses Huhn neben-bei, alter Korpsstudent und glänzender Operateur, wie es scheint, er wird dir gefallen. Dann