Der Zauberberg. Volume 1. Томас Манн
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Dr. Krokowski saß im Hellen, am Kamin des einen Konversationszimmers, gleich bei der offenen Schiebetür, und las eine Zeitung. Er stand auf, als die jungen Leute auf ihn zutraten und Joachim in militärischer Haltung sagte:
"Darf ich Ihnen, bitte, meinen Vetter Castorp aus Hamburg vorstellen, Herr Doktor. Er ist eben erst angekommen."
Dr. Krokowski begrüßte den neuen Hausgenossen mit einer gewissen heiteren, stämmigen und aufmunternden Herzhaftigkeit, als wollte er andeuten, daß Aug in Auge mit ihm jede Be-fangenheit überflüssig und einzig fröhliches Vertrauen am Plat-ze sei. Er war ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, breitschultrig, fett, bedeutend kleiner als die beiden, die vor ihm standen, so daß er den Kopf schräg zurücklegen mußte, um ihnen ins Gesicht zu sehen, – und außerordentlich bleich, von durchschei-nender, ja phosphoreszierender Blässe, die noch gehoben wurde durch die dunkle Glut seiner Augen, die Schwärze seiner Brau-en und seines ziemlich langen, in zwei Spitzen auslaufenden Vollbartes, der bereits ein paar weiße Fäden zeigte. Er trug einen schwarzen, schon etwas abgenutzten Sakkoanzug, schwarze, durchbrochene, sandalenartige Halbschuhe zu dicken, grauwol-lenen Socken und einen weich überfallenden Halskragen, wie Hans Castorp ihn bis dahin nur bei einem Photographen in Danzig gesehen hatte und welcher der Erscheinung Dr. Kro-kowskis in der Tat ein ateliermäßiges Gepräge verlieh. Herzlich lächelnd, so daß in seinem Barte die gelblichen Zähne sichtbar wurden, schüttelte er dem jungen Manne die Hand, indem er mit baritonaler Stimme und etwas fremdländisch schleppenden Akzenten sagte:
"Seien Sie uns willkommen, Herr Castorp! Möchten Sie sich rasch einleben und sich wohlfühlen in unserer Mitte. Sie kom-men zu uns als Patient, wenn ich mir die Frage erlauben darf?"
Es war rührend zu sehen, wie Hans Castorp arbeitete, um sich artig zu erweisen und seiner Schläfrigkeit Herr zu werden. Er ärgerte sich, so schlecht in Form zu sein, und sah mit dem miß-trauischen Selbstbewußtsein junger Leute in dem Lächeln und dem aufmunternden Wesen des Assistenten Zeichen nachsichti-gen Spottes. Er antwortete, indem er von den drei Wochen sprach, auch seines Examens erwähnte und hinzufügte, daß er, gottlob, ganz gesund sei.
"Wahrhaftig?" fragte Dr. Krokowski, indem er seinen Kopf wie neckend schräg vorwärts stieß und sein Lächeln verstärkte … "Aber dann sind Sie eine höchst studierenswerte Erscheinung! Mir ist nämlich ein ganz gesunder Mensch noch nicht vorgekommen. Was für ein Examen haben Sie abgelegt, wenn die Frage erlaubt ist?"
"Ich bin Ingenieur, Herr Doktor", antwortete Hans Castorp mit bescheidener Würde.
"Ah, Ingenieur!" Und Dr. Krokowskis Lächeln zog sich gleichsam zurück, büßte an Kraft und Herzlichkeit für den Au-genblick etwas ein. "Das ist wacker. Und Sie werden hier also keinerlei ärztliche Behandlung in Anspruch nehmen, weder in körperlicher noch in psychischer Hinsicht?"
"Nein, ich danke tausendmal!" sagte Hans Castorp und wäre fast einen Schritt zurückgewichen.
Da brach das Lächeln Dr. Krokowskis wieder siegreich her-vor, und indem er dem jungen Manne aufs neue die Hand schüttelte, rief er mit lauter Stimme:
"Nun, so schlafen Sie denn wohl, Herr Castorp, – im Vollgefühl Ihrer untadeligen Gesundheit! Schlafen Sie wohl und auf Wiedersehn!" – Damit entließ er die jungen Leute und setzte sich wieder zu seiner Zeitung nieder.
Der Aufzug hatte keine Bedienung mehr, und so legten sie zu Fuß die Treppen zurück, schweigend und etwas verwirrt von der Begegnung mit Dr. Krokowski. Joachim begleitete Hans Castorp auf Nummer Vierunddreißig, wo der Hinkende das Gepäck des Ankömmlings richtig eingeliefert hatte, und sie plauderten noch eine Viertelstunde, während Hans Castorp Nacht – und Waschzeug auspackte und eine dicke, milde Ziga-rette dazu rauchte. Zur Zigarre kam er heute nicht mehr, was ihm wunderlich und außerordentlich erschien.
"Er sieht sehr bedeutend aus", sagte er, indem er beim Sprechen den eingeatmeten Rauch hervorsprudelte. "Wachsbleich ist er. Aber mit seiner Chaussure, höre mal, da steht es scheußlich. Grauwollene Socken und dann diese Sandalen. War er zum Schluß eigentlich beleidigt?"
"Er ist etwas empfindlich", gab Joachim zu. "Du hättest die ärztliche Behandlung nicht so brüsk zurückweisen sollen, we-nigstens nicht die psychische. Er sieht es nicht gern, wenn man sich dem entzieht. Auf mich ist er auch nicht besonders zu spre-chen, weil ich ihm nicht genug anvertraue. Aber dann und wann erzähl ich ihm doch einen Traum, damit er was zu zer-gliedern hat."
"Nun, dann hab ich ihn eben vor den Kopf gestoßen", sagte Hans Castorp verdrießlich; denn es machte ihn unzufrieden mit sich selbst, jemanden gekränkt zu haben, und so kam denn die Müdigkeit auch mit erneuter Stärke über ihn.
"Gute Nacht", sagte er. "Ich falle um."
"Um acht hole ich dich zum Frühstück", sagte Joachim und gingHans Castorp machte nur flüchtige Nachttoilette. Der Schlaf übermannte ihn, kaum daß er das Nachttischlämpchen gelöscht hatte, aber er schreckte noch einmal auf, da er sich erinnerte, daß in diesem Bette vorgestern jemand gestorben sei. "Es wird nicht das erstemal gewesen ein", sagte er zu sich, als könne ihm das zur Beruhigung dienen. "Es ist eben ein Totenbett, ein gewöhn-liches Totenbett." Und er schlief ein.
Aber sobald er eingeschlafen war, begann er zu träumen und träumte fast unaufhörlich bis zum anderen Morgen. Hauptsäch-lich sah er Joachim Ziemßen in sonderbar verrenkter Lage auf einem Bobschlitten eine schräge Bahn hinabfahren. Er war so phosphoreszierend bleich wie Dr. Krokowski, und vorneauf saß der Herrenreiter, der sehr unbestimmt aussah, wie jemand, den man lediglich hat husten hören, und lenkte. "Das ist uns doch ganz einerlei, – uns hier oben", sagte der verrenkte Joachim, und dann war er es, nicht der Herrenreiter, der so grauenhaft breiig hustete. Darüber mußte Hans Castorp bitterlich weinen und sah ein, daß er in die Apotheke laufen müsse, um sich Coldcream zu besorgen. Aber am Wege saß Frau Iltis mit einer spitzen Schnauze und hielt etwas in der Hand, was offenbar ihr "Sterilett" sein sollte, aber nichts weiter war als ein Sicherheits-Rasierapparat. Das machte Hans Castorp nun wieder lachen, und so wurde er zwischen verschiedenen Gemütsbewegungen hin und her geworfen, bis der Morgen durch seine halboffene Bal-kontür graute und ihn weckte.
Zweites Kapitel
Von der Taufschale und vom Großvater in zwiefacher Gestalt
Hans Castorp bewahrte an sein eigentliches, Elternhaus nur blasse Erinnerungen; er hatte Vater und Mutter kaum recht gekannt. Sie starben weg in der kurzen Frist zwischen seinem fünften und siebenten Lebensjahr, zuerst die Mutter, vollkommen über-raschend und in Erwartung ihrer Niederkunft, an einer Gefäß-verstopfung infolge von Nervenentzündung, einer Embolie, wie Dr. Heidekind es bezeichnete, die augenblicklich Herzläh-mung verursachte, – sie lachte eben, im Bette sitzend, es sah so aus, als ob sie vor Lachen umfiele, und dennoch tat sie es nur, weil sie tot war. Das war nicht leicht zu verstehen für Hans Hermann Castorp, den Vater, und da er sehr innig an seiner Frau gehangen hatte, auch seinerseits nicht der Stärkste war, so wußte er nicht darüber hinwegzukommen. Sein Geist war ver-stört und geschmälert seitdem; in seiner Benommenheit beging er geschäftliche Fehler, so daß die Firma Castorp & Sohn emp-findliche Verluste erlitt; im übernächsten Frühjahr holte er sich bei einer Speicherinspektion am windigen Hafen die Lungen-entzündung, und da sein erschüttertes Herz das hohe Fieber nicht aushielt, so starb er trotz aller Sorgfalt, die Dr. Heidekind an ihn wandte, binnen fünf Tagen und folgte seiner Frau unter ansehnlicher Beteiligung der Bürgerschaft ins Castorpsche Erb-begräbnis nach, das auf dem St.-Katharinen-Kirchhof sehr schön, mit Blick auf den Botanischen Garten, gelegen war.
Sein Vater, der Senator, überlebte ihn, wenn auch nur um ein . weniges, und die kurze Zeitspanne, bis er auch starb – übrigens gleichfalls an einer Lungenentzündung, und zwar unter großen Kämpfen und Qualen, denn zum Unterschiede von seinem Sohn war Hans Lorenz Castorp eine