Geschlecht und Charakter. Отто Вейнингер
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Was nun aber jene große Zahl emanzipierter Weiber betrifft, über die keine Zeugnisse lesbischen Empfindens vorliegen, so verfügen wir hier fast immer über andere Indizien, welche beweisen, daß es keine willkürliche Behauptung und auch kein engherziger, für das männliche Geschlecht eben alles zu reklamieren gieriger, habsüchtiger Egoismus ist, wenn ich von der Männlichkeit aller Frauen spreche, die man sonst mit einigem Rechte für die höhere Befähigung des Weibes anführt. Denn wie die bisexuellen Frauen entweder mit männlichen Weibern oder mit weiblichen Männern in geschlechtlichem Verkehre stehen, so werden auch die heterosexuellen Frauen ihren Gehalt an Männlichkeit noch immer dadurch offenbaren, daß ihr sexuelles Komplement auf Seite der Männer nie ein echter Mann sein wird. Die berühmtesten unter den vielen »Verhältnissen« der George Sand sind das mit Musset, dem weibischesten Lyriker, den die Geschichte kennt, und mit Chopin, den man sogar als den einzigen weiblichen Musiker bezeichnen könnte – so weibisch ist er.10 Vittoria Colonna ist weniger berühmt durch ihre eigene dichterische Produktion geworden als durch die Verehrung, die Michel Angelo für sie gehegt hat, der sonst nur zu Männern in erotischem Verhältnis gestanden ist. Die Schriftstellerin Daniel Stern war die Geliebte desselben Franz Liszt, dessen Leben und Lebenswerk durchaus immer etwas Weibliches an sich hat, dessen Freundschaft für den auch nicht vollkommen männlichen und jedenfalls etwas päderastisch veranlagten Wagner fast ebensoviel Homosexualität in sich schloß, wie die schwärmerische Verehrung, die dem letzteren von König Ludwig II. von Bayern entgegengebracht wurde. Von Mme. de Stael, deren Schrift über Deutschland vielleicht als das bedeutendste Buch von Frauenhand angesehen werden muß, ist es wahrscheinlich, daß sie in sexuellen Beziehungen zu dem homosexuellen Hauslehrer ihrer Kinder, zu August Wilhelm Schlegel, gestanden ist. Klara Schumanns Gatten würde man bloß dem Gesichte nach zu gewissen Zeiten seines Lebens eher für ein Weib halten, denn für einen Mann, und auch in seiner Musik ist viel, wenn auch nicht immer gleich viel, Weiblichkeit.
Wo alle Angaben über die Menschen fehlen, zu welchen eine sexuelle Beziehung bestand, oder solche Personen überhaupt nicht genannt werden, da ist oft reichlich Ersatz in kleinen Mitteilungen, die über das Äußere berühmter Frauen auf uns gelangt sind: sie zeigen, wie die Männlichkeit jener Frauen auch physiognomisch in Antlitz und Gestalt zum Ausdruck kommt und bestätigen auf diese Weise, ebenso wie die von jenen Frauen erhaltenen Porträts, die Richtigkeit der hier vertretenen Anschauung. Es ist die Rede von George Eliots breiter, mächtiger Stirn: »ihre Bewegungen wie ihr Mienenspiel waren scharf und bestimmt, es fehlte ihnen aber die anmutige weibliche Weichheit«; von dem »scharfen, geistvollen Gesicht Lavinia Fontanas, das uns seltsam anmutet«. Die Züge der Rachel Ruysch »tragen einen Charakter von fast männlicher Bestimmtheit an sich«. Der Biograph der originellsten Dichterin, der Annette von Droste-Hülshoff, berichtet von ihrer »elfenhaft schlanken, zarten Gestalt«; und das Gesicht dieser Künstlerin ist von einem Ausdruck strenger Männlichkeit, der ganz entfernt an Dantes Züge erinnert. Die Schriftstellerin und Mathematikerin Sonja Kowalewska hatte, ebenso wie schon Sappho, einen abnorm geringen Haarwuchs des Kopfes, einen geringeren noch, als die Dichterinnen und Studentinnen von heutzutage ihn gewöhnlich haben, die sich regelmäßig, wenn die Frage nach den geistigen Leistungen des Weibes aufgeworfen wird, zuerst auf sie berufen. Und wer im Gesichte der hervorragendsten Malerin, der Rosa Bonheur, auch nur einen weiblichen Zug wahrzunehmen behauptete, der wäre durch den Klang des Namens in die Irre geführt. Sehr männlich von Ansehen ist auch die berühmte Helene Petrowna Blavatsky. Von den noch lebenden produktiven und emanzipierten Frauen habe ich mit Absicht keine erwähnt, sondern geschwiegen, obwohl sie mir, wie den Anreiz zu manchen der ausgesprochenen Gedanken, so auch die allgemeinste Bestätigung meiner Ansicht geliefert haben, daß das echte Weib, daß W mit der »Emanzipation des Weibes« nichts zu schaffen hat. Die historische Nachforschung muß dem Volksmund recht geben, der ihr Resultat längst vorweggenommen hat: »Je länger das Haar, desto kürzer der Verstand«. Dieses Wort trifft zu mit der im zweiten Kapitel gemachten Einschränkung.
Und was die emanzipierten Frauen anlangt: Nur der Mann in ihnen ist es, der sich emanzipieren will.
Es hat einen tieferen Grund, als man glaubt, warum die schriftstellernden Frauen so oft einen Männernamen annehmen: sie fühlen sich eben beinahe als Mann, und bei Personen wie George Sand entspricht dies völlig ihrer Neigung zu männlicher Kleidung und männlicher Beschäftigung. Das Motiv zur Wahl eines männlichen Pseudonyms muß in dem Gefühle liegen, daß nur ein solches der eigenen Natur korrespondiert; es kann nicht in dem Wunsche nach größerer Beachtung und Anerkennung von Seite der Öffentlichkeit wurzeln. Denn was Frauen produzieren, hat seit jeher, infolge der damit verbundenen geschlechtlichen Pikanterie, mehr Aufmerksamkeit erregt als, ceteris paribus, die Schöpfungen von Männern, und ist, wegen der von Anfang an immer tiefer gestimmten Ansprüche, stets nachsichtiger behandelt, wenn es gut war, stets unvergleichlich höher gepriesen worden, als was Männer gleich Gutes geleistet hatten. So ist das besonders heutzutage, und es gelangen noch fortwährend Frauen durch Produkte zu großem Ansehen, von denen man kaum Notiz nehmen würde, wenn sie männlichen Ursprunges wären. Es ist Zeit, hier zu sondern und auszuscheiden. Man nehme nur zum Vergleiche die männlichen Schöpfungen, welche die Literatur-, Philosophie-, Wissenschafts- und Kunstgeschichte gelten lassen und gebrauche diese als Maßstab: und man wird die immerhin nicht unbeträchtliche Zahl jener Frauen, die als bedeutende Geister immer wieder angeführt werden, gleich auf den ersten Schlag kläglich zusammenschrumpfen sehen. In der Tat gehört sehr viel Milde und Laxheit dazu, um Frauen wie Angelika Kauffmann oder Mme. Lebrun, Fernan Caballero oder Hroswitha von Gandersheim, Mary Somerville oder George Egerton, Elizabeth Barrett Browning oder Sophie Germain, Anna Maria Schurmann oder Sibylla Merian auch nur ein Titelchen von Bedeutung beizulegen. Ich will davon
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Dies zeigt auch klar sein Bildnis. Mérimée nennt George Sand »maigre comme un clou«. Bei der ersten Begegnung beider ist »sie« offenbar Männchen und »er« ganz Weibchen gewesen: er errötet, als sie ihn fixiert und mit tiefer Stimme ihm Komplimente zu machen beginnt.