Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein

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Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis - Max Bernhard Weinstein

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Und diese sollen sich beziehen auf eine Übertragung in die Natur der mehr abstrakten Begriffe, die ursprünglich jene Gottheiten bedeuteten, also auf eine Art Vermaterialisierung der altindisch-eranischen Anschauungen. „Das Äußere der Natur (ὕλη) war im Bewußtsein der Slawen das eigentliche Sein und wurde belebt von einem allgemeinen Geiste, der in den einzelnen äußeren Individuen als individueller Geist erschien. Doch war dieser Geist nichts anderes als eine Personifikation des Lebensprozesses, den man der Analogie nach zum Unbelebten hinzudachte.“ Das klingt fast wie im Geiste des Animismus gesprochen. Und hierher gehört auch das Zugeständnis von irdischen (und unterirdischen) Gottheiten neben oberirdischen und das der Anthropomorphisierung der Gottheiten (der Sonne, des Mondes, der Gestirne, des Wetters usf.), welche letztere in unzähligen Sagen und Liedern eine oft recht anmutende Rolle spielt. Das Ganze kommt auf einen Naturdienst heraus, mit mehr oder weniger wuchtigen Naturgewalten und mit einem unübersehbaren Heer von guten und bösen Geistern, dem sich ein Dienst von Schutzgeistern für alle Verhältnisse und Tätigkeiten des Lebens anschließt. Aber das alles liegt doch weit ab von dem Seelen- und Ahnenglauben, den Lippert den Slawen allein zugestehen will. Seelen Verstorbener als Gespenster und Dämonen kannten die Slawen auch nach Hanusch. Auch behandelten sie die Seelen mitunter wie die eigentlichen Naturvölker, gaben ihnen Grüße an früher Verstorbene mit, empfahlen ihnen geselliges Betragen gegeneinander usf. Ihre Gottheiten aber sind weder Seelen noch Ahnen. Ich weiß den Widerspruch nicht zu lösen; wieviel Unzutreffendes und gewaltsam Hineininterpretiertes auch in den Bearbeitungen der slawischen Mythologie durch slawische Schriftsteller vorhanden sein mag, alles kann unmöglich erfunden sein. Dagegen spricht schon, daß gegen den Dualismus Belboh-Czernyboh sich nichts einwenden läßt, er ist zu gut durch Schriftsteller und noch vorhandene Sagen und Lieder bezeugt. Hanusch hat zu wenig vom Kult (und den Gebräuchen), Lippert zu wenig von der Mythologie gesprochen. Bei Berücksichtigung beider, des Kultes und der Mythologie, wird man wohl den heidnischen Slawen und Littauern mehr die Anschauungen der Naturvölker zuschreiben, jedoch mit nicht wenigen höheren Ideen. Ob die letzteren ein Überrest der früheren Verbindung mit Indiern und Eraniern sind, wie Hanusch will, oder ob sie sich später ausgebildet haben, läßt sich nicht sagen.

      Noch schwieriger ist es natürlich mit den Germanen. Cäsar hat im 21. Kapitel des VI. Buches seines „Bellum Gallicum“ eine sehr wegwerfende Bemerkung über ihre Religionsanschauung gemacht. „Deorum numero eos solos ducunt quos cernunt et quorum aperte opibus juvantur, Solem Vulcanum et Lunam, reliquos ne fama quidem acceperunt.“ Also nur was sie sehen: Sonne, Feuer, Mond, und aus dessen Macht sie offensichtlich Nutzen ziehen, verehren sie. Das wäre freilich rein der Standpunkt des Naturmenschen, der auch alles nur körperlich auffaßt und es nur beschenkt, wenn ihm eine größere Gegengabe geleistet wird. Tacitus denkt aber über die Germanen erheblich besser. Er schreibt freilich 150 Jahre später, als die Germanen schon vieles an Kultur angenommen hatten. Allein er bringt auch sehr altes und einheimisches Material bei, da er wenigstens einigemal germanische Bezeichnungen benutzt. Er sagt nun im zweiten Kapitel seiner „Germania“, die Germanen feierten in alten Liedern „Deum Tuisconem, terra editum, et filium Mannum originem gentis conditoresque“, und erzählt nun wie Mannus drei Söhne hatte, aus denen die bekannten drei deutschen Hauptstämme seiner Zeit hervorgingen. Also jedenfalls sind die Germanen Nachkommen von Tuisco und Mannus. Von Mannus meint Jakob Grimm: „Kein Name kann deutscher klingen“. Aber was er ideell bedeutet, darüber besteht schon Streit. Der große Mythologe schreibt ihm einen tieferen Sinn zu: als „ein denkendes, seiner bewußtes Wesen“ bezeichnend. „Mannus aber ist der erste Helde, der Gottessohn und aller Menschen Vater“, und er parallelisiert ihn mit dem indischen Manus, der nach einer Version, auf Brahmas Geheiß, alle Geschöpfe, Götter, Asuren und Menschen schaffen sollte und alle Welten, Bewegliches und Unbewegliches. Dann wäre also der germanische Mannus etwas sehr Hohes. Aber wie paßt der Vater Tuisco dazu, der selbst aus der Erde hervorgegangen, also eine Art Erdgeist ist? Der Name ist nicht sicher, es bestehen infolgedessen auch viele Deutungen für den Gott. Die höchste geht auf den Himmel und setzt den Gott, dem Sinn und der Stellung nach, dem Uranos, dem Namen nach (Tivisco, Tuisco) dem Zeus an die Seite. Die Erde spielt dann die Rolle der Gaia, die auch Uranos und Pontos geboren haben soll. Die niedrigste wählt natürlich Lippert. Eine mögliche Lesart ist nämlich auch Tiusco. Grimm stellt sie mit Tivisco zusammen, was eben jene höchste Bedeutung ergibt. Lippert findet etymologisch als Bedeutung „Geist“ angemessener. Und indem Mannus einfach als „Mann“ erklärt wird, ist Tiu sein Schutzgeist, und somit der aller Germanen, und Tiusco bedeutet ein „Geistwesen“, wie Mannisco ein „Mannwesen“, ein „Mensch“. Damit wären wir wieder auf den Ahnen und dessen Seele gekommen.

      Tacitus sagt ferner: „Deorum maxime Mercurium colunt.“ Es wäre eine ganz anmutende Hypothese des genannten Forschers, daß dieser Merkur ein Viehschutzgeist ist, da ein Teil der Germanen noch nomadische Viehzucht betrieb, und dieser Deutung von seiten der griechischen und römischen älteren Mythologie keine Schwierigkeiten entgegenstehen. Aber Cäsar erzählt auch von den Kelten, daß ihr höchster Gott Merkur gewesen sei, und die Kelten waren keine nomadischen Viehzüchter. Herodot teilt mit, daß die Thrakerkönige am meisten Hermes verehren und von ihm abzustammen behaupten. Auch hier wird man Viehzucht als Motiv nicht annehmen können. Indessen gibt vielleicht Cäsar selbst die Erklärung: „Hunc omnium inventorem artium ferunt, hunc viarum atque itinerum ducem, hunc ad quaestus pecuniae mercaturasque habere vim maximam arbitrantur“. Und da Tacitus zur Einführung Merkurs bei den Germanen genau derselben Formel sich bedient wie Cäsar zu der bei den Kelten (nur deorum statt deum), so wird er wohl auch an Cäsars Erklärung gedacht haben. Bekanntlich wird seit Paulus Diaconus Wotan für Merkur genommen, und auf diesen paßt Cäsars Erklärung einigermaßen, die sich auf einen Erfindungs-, Wege- und Handelsgott bezieht. Tacitus mag auch noch gewußt haben, daß Wotan auch Tote (erschlagene Helden) in sein Reich geleitet, also als Psychopompos wirkt, und weiter, daß er auch Sturmgott ist, wie Hermes bei den Griechen ursprünglich einen Windgott bedeutete. Und daß Wotan der größte Gott war, würde auch stimmen; dem Merkur namentlich sollen Menschenopfer gebracht worden sein, wie Tacitus erzählt. Gleichwohl braucht darum Lipperts Ansicht noch nicht unrichtig zu sein, daß es sich um einen Ahnengott handelt, denn alles was aufgezählt ist, als in das Bereich dieses Merkur fallend, übertrifft nicht, was auch ein Naturmensch einem höchsten Fetisch zuschreibt. Ja, wenn wir sehen, wie Jakob Grimm mit so vielen Beispielen belegt hat, daß die Deutschen noch im Mittelalter die Neigung hatten, den „Wunsch“, in der umfassendsten Bedeutung, zu personifizieren, und daß Wotan auch Wunschgott ist, so wird man noch mehr auf die Seite Lipperts zu treten geneigt sein. Es kommt also darauf an, ob die Germanen dem Wotan-Merkur noch andere Eigenschaften zugeschrieben haben, die in das Hohe gehen und aus dem einfachen Seelen- und Ahnenglauben nicht mehr erklärt werden können.

      Einmal bemerkt nun Tacitus, die Germanen „schlössen weder die Götter zwischen Wände ein, noch stellten sie sie in menschlicher Gestalt dar, wegen der Größe der Himmlischen; Lichtungen und Haine heiligen sie ihnen. Und mit der Götter Namen nennen sie jenes Geheime, das sie nur mit Ehrfurcht (oder Scheu) sehen“. Ist das gesperrt Gedruckte aus dem Sinne der Germanen gesprochen, so muß der Streit als entschieden gelten. Allein es ist schon von vielen vermutet worden, daß Tacitus, was er hier von den Göttern sagt, aus seinen Ansichten geholt hat. Was wir sonst von den germanischen Götteranschauungen kennen, spricht nicht immer für so hohe Begriffe. Auch wissen wir, daß mindestens später die Germanen sehr wohl Bildnisse ihrer Gottheiten von Holz, Stein oder Metall besaßen; dafür sind sehr viele Zeugnisse vorhanden. Interessant ist, was Tacitus selbst von der Göttin Nerthus, die er als Mutter Erde bezeichnet, erzählt. Ihr Kultort (er wird in der Nähe von Rügen gesucht) ist ein jungfräulicher Hain, den niemand betreten darf außer dem Priester. Dort sei ein Wagen ganz mit einem Gewande (veste!) bedeckt. Der Priester glaubt, daß die Göttin sich darin befände. An ihrem Feste wird der Wagen von Kühen in Prozession herumgeführt, dann herrscht Freude und Friede ringsum, wohin die Göttin gelangt. Zuletzt führt der Priester die „vom Verkehr mit den Sterblichen gesättigte“ Göttin nach ihrem Tempel zurück. Dort werden alsbald „der Wagen, die Gewänder (vestes!) und, wenn du es glauben willst, die Gottheit selbst in einem geheimen See abgewaschen. Diener bedienen, die sofort der See verschlingt“. Hiernach muß der Wagen ein Kultobjekt enthalten, in dem die Göttin selbst weilt, da sie mit den Sterblichen verkehrt (konversiert, sagt sogar Tacitus)

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