Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein

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Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis - Max Bernhard Weinstein

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werden Seelen in das Jenseits namentlich auch von Vögeln befördert, ein Glaube, der auch den Griechen bekannt war, deren Harpyien und Sirenen Totenvögel (oder Seelenvögel) sind, wie selbst der Hahn bei ihnen Totenvogel sein kann. Die Griechen haben den Totenvogel allmählich zum Teil vermenschlicht, indem sie ihm zuerst menschliche Extremitäten, später umgekehrt einen menschlichen Kopf, mitunter von wunderbarer Schönheit, gaben. Die Naturvölker sind bei der einfachen Vogelgestalt geblieben, indessen doch oft unter Beimischung von etwas Menschlichem. Ist Yelch, der Rabe, ein Totenvogel der Nordwestamerikaner, wie Frobenius meint, so kann es auch ein Mensch in Vogelkleidung sein (S. 62). Andererseits holt Maui die Seelen der Vornehmen in die Sonne. Er wird aber mit Vögeln in Verbindung gebracht, da er sich auf seinen Fahrten so oft in einen Vogel, wie in ein anderes Tier, verwandelt. Ich stelle zwei Abbildungen nebeneinander, eine griechische „Harpyie“ oder „Sirene“ mit einer Seele als εἴδωλον auf dem Arme und einen nordwestindianischen Totenvogel, einen Mann und dessen ihm aus dem Munde entfliehende Seele tragend. Die Seele ist auf letzterer Darstellung als Schlange (S. 45) wiedergegeben, die aus dem Munde des Mannes gleitet. Totenkähne sind auch in Afrika bekannt. Nach der Sage der Ewe an der Nordguineaküste werden die Toten von Fährgeistern über den Fluß Volta gesetzt. Auf Totenvögel dagegen kann man nur aus den Opferungen von Hahn und Henne bei allen Totenfesten und bei manchen Fetischfeiern schließen. Den Australiern ist die Krähe Totenvogel, vom Totenkahn wissen sie gleichfalls einiges. Übrigens bringt Frobenius Totenkahn und Totenvogel in Verbindung, indem er nachweist, daß Totenkähne nicht selten mit Vogelschnäbeln und Vogelattributen versehen sind.

Allein, wo ist das Totenland des Jenseits? Frobenius meint, die Seele zieht der Sonne nach, wie bei den Ägyptern. Demnach wäre das Jenseits im Sonnenuntergangsland. Aber wie erwähnt, ist auch die Sonne selbst Seelenaufenthalt, so nach der Sage der Tahitier und Buschmänner. Barotse sollen Livingstone einen Hof um die Sonne folgendermaßen erklärt haben: „Die Bavimo (Seelen) halten ein Pitscho (Versammlung) ab; siehst du nicht den Herrn (die Sonne) in der Mitte?“ „Wenn Sonnenschein von Regen begleitet wird, sagen die Dahomeer, die Seelen zögen zu Markte.“ Nach den Ewe soll das Totenland eine Sandebene am Flusse Volta sein. Manche Indianerstämme setzen das Totenland weit im Westen an. Jede Seele wird an der Grenze von ihren Verwandten und Stammesgenossen erwartet und findet im Lande reichlich Wild zum Jagen und Flüsse zum Fischen. Andere wieder lassen die Seelen als Vögel die Milchstraße entlang ziehen, und nehmen ihren Aufenthalt über dem Himmel an. Die Melanesier nennen das Totenland Mbulu und beschreiben die Schicksale der Seele auf ihrer Wanderung dahin. Die Damen wird es interessieren, daß die Seelen Unverheirateter es ganz besonders schlecht dabei haben; ein Totengeist Nangga-Nangga hebt sie hoch und schleudert sie gegen einen Felsen, daß sie zerschellen. Aber weniger angenehm wird es sie berühren, daß darum auf den Fidschiinseln die Witwe erdrosselt wurde, damit sie sogleich mit ihrem Manne gehen konnte. Der Mann, wenn seine Frau starb, gab ihr als Beweis der Frauenschaft einen Teil seines Bartes unter die Achselhöhle mit. In das eigentliche Jenseits gelangt die Seele durch Schwimmen oder in einem unsichtbaren Kahn. Doch gelingt dieses fast nur den Seelen der Vornehmen, die der misera plebs gehen auf dem langen gefahrvollen Wege unter oder kehren zurück zur Erde, um hier planlos herum zu irren. Auch bei germanischen Stämmen geht es ins Jenseits über ein Wasser. Jakob Grimm führt mehrere Beispiele dafür in seiner „Deutschen Mythologie“ an. Eine schwedische Volkssage weiß von einem goldenen Schiff, das in Runemad beim Schlüsselberge versenkt liege, und auf dem Odhin die Erschlagenen von Bravalla nach Walhall geführt haben soll. Ein Unbekannter nimmt Sinfiöltis, Siegmunds Sohn, Leiche in einen Kahn und fährt davon. Franken glauben, daß das Totenland im (jetzigen) Britannien liegt, wohin die Seelen der Verstorbenen von den Uferanwohnern übergefahren werden, die dafür von allen Abgaben befreit sind. Die Fährleute sehen niemand, merken nur ihre Kähne voll, wenn sie um Mitternacht abstoßen. Angekommen fühlen sie die Kähne allmählich entlastet und hören eine Stimme jedem einzelnen Namen und Vaterland abfragen. Derartige Sagen müssen auch bei den Kelten bekannt gewesen sein, da noch gegenwärtig anklingende Erzählungen in der Bretagne in Umlauf sind. Aus dem keltischen Artuskreise bittet im Lanzelot vom See die Demoiselle d’Escalot „que son corps fût mis en une nef, richement équippée, que l’on laisserait aller au gré du vent sans conduite.“ Ich habe dieses gleich hier angeführt, weil ich mich später darauf berufen will. Die griechische Sage von der Überfahrt auf Charons Nachen gehört, glaube ich, nicht ganz in diesen Kreis, da die Überfahrt schon in der Unterwelt, wenn auch noch vor dem Seelenaufenthalt, geschieht.

      Ganz abweichend davon, aber wiederum mit anderen weitverbreiteten Anschauungen über den Seelenaufenthalt in den großen Zügen in Einklang stehend, ist was Bastian von dem Jenseits der Maori erzählt, und was sich fast wie eine abgekürzte Dantische Höllenbeschreibung liest. Die Erde besteht, wie schon bemerkt, aus zehn Schichten. Die oberste Schicht ist die Erde selbst. Die folgende Schicht gehört dem Reiche der Wurzeln und Knollen. Mit der dritten Schicht, Reinga, wo auch die Nachtgöttin Hine-nui-te-po weilt, hebt das eigentliche Totenreich an. Bis dahin sind die Seelen noch lebens- und empfindungsfähig und können zur Erde zurück und dort noch viel Unheil anrichten. Aber nun beginnen die Kräfte mehr und mehr zu schwinden. In der fünften schon kann die Seele zu einem bleichen Schatten geworden sein, alsdann fällt sie der rachsüchtigen Göttin Rohe, ursprünglich Mauis Gemahlin, zur Beute und wird getötet. Kann sie noch entkommen, so gelangt die Seele mit immer weiter abnehmenden Kräften in die sechste, siebente Schicht. Wenige taumeln in die achte Schicht, wo sie zum Teil vom Gotte Meru vernichtet werden, noch weniger in die neunte, um von da in die letzte Schicht Meto = Verwesungsgestank zu stürzen, wo alles endet. „Das waren die Aussichten nach dem Tode, also noch trauriger als sie Odysseus bei seinen Waffengefährten im Hades fand“, sagt Bastian. Der Eingang zu dieser Unterwelt befand sich auf der Nordinsel von Neuseeland, im Nordkap, der Weg soll wieder westwärts führen. Freundlicher sehen selbst die Australier das Jenseits an, die Guten ziehen zu den guten Geistern, die Bösen zu den bösen. Oder die Seelen sitzen auf Bäumen oder weilen in einer Höhle. Bei den unkultivierten Malayen führt der Weg in das Jenseits über oder unter Meer, und sie müssen mit Waffen und Gefolge und mit Bestechungsmitteln ausgerüstet sein, um die Gefahren von Geistern und Höllenhunden besiegen zu können, ehe sie in das Paradies gelangen. Oder, die eines natürlichen Todes sterben, gehen nach Norden und bleiben dort in einem Walde, „dessen Bäume sich beim Einbruch der Dunkelheit in Hütten verwandeln.“ Dort leben sie „aus den unsichtbaren Bestandteilen der Tiere, aus Reis und den Opfergaben der Verwandten“, letzteres wie überall. Die eines unnatürlichen Todes, im Kampfe oder während der Entbindung Gestorbenen kommen zu den Göttern.

      Fassen wir die Frage vom Schicksal der Seele nach dem Tode ethisch auf, so muß es auffallen, wie verschieden die Antworten sind. Dem absolut Hoffnungs- und Freudlosen der Maori steht das fast Vergnügliche der Indianer gegenüber. „Soviel scheint festzustehen,“ sagt Spieß in seinem umfangreichen Werke „Vorstellungen vom Zustande nach dem Tode“, „daß alle Elemente von Schrecken oder Furcht vor der anderen Welt der ursprünglichen Religion der Indianer fremd waren. Nur einzelne Spuren einer notwendigen oder vermutlichen Reinigung und Vergeltung finden sich. Meist aber besteht der Unterschied zwischen Guten und Bösen nur darin, daß jene ohne alle Schwierigkeit über den See oder Fluß gelangen, welchen man vor dem Betreten der anderen Welt passieren muß, diese entweder in dem Wasser untergehen oder bis zum Kinn in das Wasser sinken, wo sie in alle Ewigkeit vergeblich das nahe lockende Gestade zu erreichen sich abquälen, oder aber, daß sie erst nach schwerem Ringen an das Gestade kommen.“ Also das Ausbleiben des Gewinnes ist die Strafe (Tantalusqual!). Im übrigen hat schon Schiller in Nadowessiers Totenlied treffend das indianische Jenseits geschildert. Dazwischen liegen vermittelnde Ansichten, wie bei den Eskimo, daß die Seelen der Guten in die warme Erde, die der Bösen in den eisigen Himmel gelangen. Eine höchst interessante Umkehrung unserer Ansichten, die aus der Natur des Landes sich erklärt, das die Eskimo bewohnen, und Carus Sternes (Ernst Krauses) Warnung durchaus bestätigt, Mythen ohne Rücksicht auf die Lebensverhältnisse zu erklären. Eine entsprechende Umkehrung hat man bei den früheren Negersklaven in Amerika beobachtet. Während der freie Neger in Afrika

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