Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein

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Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis - Max Bernhard Weinstein

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nach dem Volksglauben heilige Bäume Stätten der Offenbarung von Geistern.“ „In solchen Bäumen wird Fleisch aufgehängt, gleichsam die Nahrung für die darin wohnhaften Geister.“ Besonders seltsam sind die Gewässer, in denen Heilige wohnen. Sie werden namentlich von Frauen aufgesucht, welche unfruchtbar sind und glauben, daß wenn sie sich dem Wassergeist ergaben, sie fruchtbar werden. Sie legen sich darum in den Wasserlauf und lassen die Fluten über ihren Schoß spülen. Daß es sich hier um etwas anderes handelt als Baden, erhellt aus folgender sonderbaren Erzählung Curtis’. Ein reicher Moslem in Damaskus hatte seine Frau im Zorn verstoßen und die dreifache Scheidung ausgesprochen. Bald tat es ihm leid, er konnte sie aber nach dem Gesetz nunmehr nicht wieder heiraten, bevor sie nicht mit einem anderen vermählt gewesen und von ihm geschieden war, oder bevor sie nicht wenigstens einem anderen sich hingegeben hatte. Die mohammedanischen Ulemas wußten ihm nicht zu helfen. Aber der Patriarch (!) gab ihm den Rat, die Frau sollte sich in den Rásadafluß niederlegen, „sich vom Wasser umspülen lassen und so eine Ehe vollziehen; dann könne er sie wieder heimführen. Damit erklärten sich auch die Ulemas einverstanden.“ Einen viel anderen Rat als hier erste Priester zweier hoher Religionen gaben, würde ein Medizinmann Afrikas auch nicht gegeben haben. Selbst die Bestechung fehlt hier nicht, wobei es ganz handelsmäßig zugeht, indem dem Heiligenbild mehr und mehr geboten wird, wenn es anscheinend nicht in der Laune ist, den Wunsch zu gewähren.

      Je bedeutender die Seele, desto höher wertet, wie bemerkt, der Fetischgötze, in dem sie wohnte. Und so konnten Häuptlingsseelen Götzen für ein ganzes Volk abgeben, so daß manche Volksgötzen nach Häuptlingen benannt sind, wie auch umgekehrt Häuptlinge nach Götzen. So müßte die Bevölkerung des Olymps der Naturmenschen ins Ungemessene wachsen, wenn nicht durch Vergessen oder absichtliches Entfernen für Abgang gesorgt würde. Es ist bekannt, daß der Messenier Euemeros zur Zeit Alexanders behauptete – was übrigens andere schon vor ihm angenommen hatten —, die griechischen Götter seien lediglich vergötterte Fürsten und Helden. Er ist wegen dieser öden Ansicht viel angefeindet worden und wird, mit bezug auf die griechischen Götter, die wir kennen, auch im Unrecht sein. Daß aber Götter ursprünglich solche Fetischgötzen von Häuptlingen sein können, wird man kaum bezweifeln dürfen, und die griechischen Sagen tragen selbst viel dazu bei, ihren Göttern Menschenursprung zuzuschreiben. Bei den Naturvölkern aber sind solche Vergötterungen selbstverständlich. Der Häuptling ist der mächtigste im Stamm, er kann zu Lebzeiten Gutes und Übles, und namentlich letzteres, zufügen. Also muß seine Seele der gleichen Art sein, und der Gegenstand, in dem sie wohnt, ein Menschenbild, ein Tierbild oder auch ein lebendes Tier, durch sie besondere Kraft besitzen, gleichfalls Gutes und namentlich Übles anzustiften, und muß durch Opfer, oft sogar Menschenopfer, bei guter Laune erhalten werden. Selbst in Menschen kann die Seele einziehen, dann fallen diese in Raserei. So erzählt Stuhlmann von den Waganda. Er erwähnt auch, daß, wenn ein Priester stirbt, bald sich jemand zu seinem Nachfolger aufwirft, indem er behauptet, jenes Seele sei in ihn gefahren.

      12. Zauberwesen

      Nun können noch Seelen frei in der Luft leben oder in Bergen, Höhlen, Wäldern, Gewässern, Wolken usf. Diese geben das Heer der Geister, Gespenster, Dämonen, von denen es um den Naturmenschen wimmelt. Nichts Unangenehmes kann vorgehen, daran nicht irgendein Geist schuld ist. Deshalb ist dem Naturmenschen der Zauberer so unentbehrlich, der es versteht, die Dämonen auszutreiben und zu bannen und sie auch gegen die Feinde auszusenden. Manaia, so erzählt Grey in seiner Polynesian Mythology, hatte die Schwester des Ngatoro-i-Rangi zur Frau. Diese kochte ihm eines Tages schlechtes Essen. Da verfluchte er ihren Bruder und entsandte so böse Geister gegen ihn und sein Volk. Die Frau schickte sofort ihre Tochter aus, den Bruder zu warnen. Das Mädchen kam hin und erzählte den Vorfall; darauf grub Ngatoro-i-Rangi, nachdem er und seine Angehörigen sich durch Untertauchen in Wasser gereinigt hatten, mit diesen eine Grube, und unter Beschwörungen schaufelte er die gegen ihn ausgesandten bösen Geister in diese Grube hinein, überschüttete sie mit Erde, stampfte diese fest und spannte darüber beschwörte Gewänder und zuletzt ein Geflecht. So hatte er die Dämonen vernichtet. Später zieht er mit seinen Leuten gegen Manaia und gebraucht eine Kriegslist. Sie schlagen sich alle die Nasen wund und legen sich für tot, die Waffen verborgen, auf die Erde. Priester Manaias kommen und finden sie und meinen nicht anders, als ihre Geister hätten sie getötet und hergebracht. Auf ihren Ruf strömt das Volk hinzu. Aber während sie noch über die Verteilung der vermeintlich Toten streiten, springen diese auf, fallen über sie her und erschlagen alle. Dann – fressen sie sie auf. Noch eigenartiger ist eine zweite Erzählung Greys, gleichfalls aus Neuseeland. Zwei Zauberer, Purata und Tautohito, besaßen in einer Festung einen holzgeschnitzten Kopf, der auf Beschwörung Geister über Geister aussandte, die alles, was sich der Festung nahte, töteten, so daß niemand mehr wagte, in die Gegend zu kommen, die einem Leichenfelde glich. Da beschließt ein gewaltiger Zauberer, Hakawau, hinzugehen und jenen Zauber zu vernichten. Zuerst beruft er seine Geister und läßt sich von ihnen im Schlafe sein Schicksal zeigen. Dieses ist günstig, denn er träumt, sein Haupt berühre den Himmel und seine Füße ständen fest auf der Erde. Nun macht er sich auf. Und wie er der Festung sich naht, schickt er mit Beschwörung seinerseits Geister wider die feindseligen Geister. Es entsteht eine förmliche Schlacht zwischen den zwei Geisterscharen. Die Zauberer in der Festung schreien lauter und lauter auf den hölzernen Kopf ein, der mehr und mehr Geister entsendet. Hakawau aber ist kräftiger, und so siegt sein Geisterheer und erschlägt das feindliche. Zuletzt dringt er in die Festung ein, indem er über den Zaun klettert, und vernichtet den tödlichen Zauber vollends.

      Anrufungen, Beschwörungen und Kulte der Geister und Dämonen wechseln ständig miteinander, und so ist der Naturmensch auch der ständige Sklave dieses Glaubens und lebt namentlich in der Nacht in jeglicher Furcht vor den Schöpfungen seiner eigenen Phantasie, richtiger seiner konsequenten, aber von falschen Voraussetzungen ausgehenden Schlüsse. In geringerer Fülle, aber immer ja noch reichlich genug, ist der Geisterglaube auch bei den Kulturnationen vorhanden. Und zuzeiten nimmt er gar gewaltig überhand.

      Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,

      Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll.

      Wenn auch ein Tag uns klar vernünftig lacht,

      In Traumgespinst verwickelt uns die Nacht.

      Wir kehren froh von junger Flur zurück,

      Ein Vogel krächzt; was krächzt er? Mißgeschick.

      Von Aberglauben, früh und spät umgarnt —

      Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt —

      Und so verschüchtert stehen wir allein

      sagt Faust, bevor die Sorge ihn erblinden läßt, wohl mit Rücksicht auf den gerade blühenden Weinsberger Geisterspuk des so bedeutenden Dichters Justinus Kerner. Und was tut der Spiritismus gegenwärtig anderes als eine Geisterwelt errichten, und auf demselben Stamme wie die Naturvölker, nur, bei den ernsten Anhängern, in edlerer und gedankenreicherer Form. Aber der Vampyrglaube der slawischen Völker ist grauenvoll genug, daß er uns selbst in der Oper von Marschner noch erschreckt. Und ähnliche Gespenster- und Dämonengestalten, wo sind sie nicht zu finden? Tote geben überall Anlaß zu Furcht und Wahngebilden, nicht minder tut es das Spiel der Natur an abgelegenem Ort oder zu mitternächtlicher Stunde. Wir verdanken diesen Gebilden so herrliche Dichtungen wie Bürgers „Leonore“ und unzählige Volksballaden. Das sind „Überlebsel“ aus grauer Vorzeit, sagt man. Und in der Tat schwindet bei uns im Volke der Geister- und Gespensterglaube mehr und mehr, wogegen er freilich in der Gesellschaft und in einer ganzen Schule von Psychologen in gleicher oder anderer Form stark anschwillt, trotz der mitunter lächerlichsten Prozesse gegen betrügerische Beschwörer. Der Naturmensch faßt die Sache rein materiell auf, wie die beiden Beispiele, die durch hunderte zu vermehren keinen Zweck hätte, lehren. Die Geister sind für ihn zwar irdisch, sogar vernichtbar. Aber daß sie nicht wahrzunehmen sind, das füllt ihn mit banger Furcht vor stetem und verderblichem Angriff und zwingt ihn zu steter Abwehr. Unfall, Krankheit und Tod sind dem Naturmenschen nicht natürlich, sondern Durchbrechung der Natur und immer auf Rechnung böser Geister zu setzen, die von selbst oder von irgendeinem Feind gesandt, den Menschen befallen. Und so hat er sich ständig zu wahren und zu wehren,

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