Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein
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Die Tiere erachtet der Naturmensch als von sich nicht verschieden, er verleiht ihnen Seelen, der seinigen gleich. Sprechen doch manche afrikanische Stämme davon, daß gewisse Menschen beliebig als Menschen oder als wilde Tiere leben können. Und wenn Polynesier von Leuten erzählen, die sich beliebig in Raubtiere, Vögel, Fische oder Schlangen verwandeln, so meinen sie das nicht nach Art unserer Sagen und Fabeln, sondern rein reell. So hat sich neben einem Menschenseelenglauben auch ein Tierseelenglaube ausgebildet und daran ein Tierseelenkult angeschlossen, der Totemismus. Und wunderlich berührt es, wenn als Ahnenseelen auch Tierseelen angenommen werden, wie das namentlich bei den Indianern der Fall ist, wo nicht bloß Familien, sondern auch ganze Stämme irgendein Tier: Bär, Rabe, Schlange, Schildkröte, Spinne usf. als Urahnen bezeichnen. Wenn ich Lippert recht verstehe, will er freilich nicht die Tierseele als die Ahnenseele anerkennen, sondern eine Menschenahnenseele annehmen, die in das Tier gefahren ist, in ihm ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat. Damit würde übereinstimmen, daß Ahnentiere in der Regel nicht getötet und nicht gegessen werden dürfen, aber wiederum nicht dazu passen, daß bei gewissen Festen gerade solche Tiere verzehrt werden müssen. Indessen besteht über den Totemismus überhaupt keine rechte Sicherheit. Manche wollen in den Ahnentieren nichts weiter als Wappenbilder sehen, und zweifellos machen solche auch vielfach diesen Eindruck. Oder sie erklären sie lediglich durch Tiernamen menschlicher Ahnen, die durch Mißverstand zur Annahme von Tieren als Ahnen geführt haben. Das eine oder das andere wird in vielen Fällen zutreffen. Sicher aber ist, daß Tierseelen mitunter nicht mindere Bedeutung haben wie Menschenseelen und gleichfalls Verehrung genießen. Familie und Stamm halten ihr Totem (der Name stammt von den Algonkinindianern her, „Dodaim“) hoch und nennen sich nach ihm Bär, Wolf, Hirsch usf.
11. Geister- und Dämonenglaube, Götzendienst
Ein unmittelbares Kind des Seelenglaubens ist der Geister– und Dämonenglaube. Geister und Dämonen sind die Seelen abgeschiedener Menschen oder Tiere. Ist es gelungen, diese Seelen an Gegenstände, tote oder Lebewesen, zu bannen, so hat man die Fetische, die um so wichtiger sind, je bedeutender die Seele. Häuptlinge und Priester können erklären, in den und den Gegenstand sei eine besonders wichtige Seele gefahren oder gebannt. Der Gegenstand ist dann Tabu, unberührbar und unnahbar, die bekannte Plage der ozeanischen Stämme. Gegenstände, namentlich menschliche Figuren, aber auch Tiere und tierische Figuren, werden besonders gerne zum Sitz einer Seele genommen, und ist die Seele von einiger Bedeutung, so haben wir ein Götzenbild als Fetisch. Götzenbilder sind räumlich und zeitlich außerordentlich verbreitet und finden sich selbst gegenwärtig sogar bei den Kulturnationen. Sie entstammen aber der menschlichen Eigenheit, alles materiell zu fassen. Und es mag noch so oft gesagt werden, Männer und Frauen in katholischen Ländern sollen durch bekleidete und gekrönte Marien- und Heiligenbilder nur an die hohe Gottesmutter und an Menschen frommsten Lebenswandels erinnert werden, so faßt das einfache Volk die Sache doch anders auf, wenn auch nicht so wie der Neger oder der Gesellschaftsinsulaner, der sein Götzenbild absolut sich dienstbar erachtet und es mit einer rohen Seele versieht, die unter Umständen gezwungen werden muß, Dienste zu leisten, aber doch immerhin beseelt. Wie sollten sonst die Wunderbilder, die als solche Wunder tun oder die gar Lebensäußerungen von sich geben, wie Weinen, Zunicken, Blutschwitzen zu erklären sein, von den Hostien, deren Lebensäußerungen so unendlich vielen unschuldigen Menschen den qualvollsten Tod gebracht haben, zu schweigen, die nicht einmal menschliche Figur nachahmen. Es kann kaum anderes angenommen werden, als daß für den Unaufgeklärten in allen diesen Dingen sich mindestens die Kraft der Gottheit oder des Heiligen kundgibt, zumal es sich ja immer um besondere solche Dinge handelt, nicht um alle. Anhänger der Lehre, daß alle Religion aus dem Seelenkult in Verbindung mit Fetischglaube hervorgegangen ist, würden sogar sagen, daß angenommen wird, die Kraft stecke in den betreffenden Dingen. Das geht sicher zu weit, selbst für das Mittelalter; es handelt sich nur um eine Manifestation, nicht um Götzendienst im Sinne des Naturmenschen. Ob aber der Molochdienst der Phönizier und Karthager, der Çiva- und Kalidienst der Indier, der ursprüngliche Götterdienst der Griechen und Römer, der Tierdienst der alten Ägypter, der Baum- und Bilderdienst der alten Germanen, Kelten, Littauer, Preußen, Slawen von jenem Götzendienst sehr weit entfernt gewesen ist, darf mit Recht bezweifelt werden. Tylor macht darauf aufmerksam, wie trotz der allgemeinen Verbreitung der Götzendienst doch manchen Völkern fehlt, während die ganze Umgebung ihm huldigt. Das bekannteste Beispiel ist das der Hebräer, denen ja selbst die Anfertigung eines Götzenbildes verboten war. Aber wie sehr Fetischgötzendienst im Blute des Menschen liegt, sehen wir ja gerade an den Hebräern. Was haben die gewaltigen Seher und Propheten predigen und eifern müssen, um das Volk vom Götzendienst abzuhalten, und wie viele Rückfälle in diesen Dienst sind zu verzeichnen! Die lebhafteste Schilderung haben wir im Buch der Richter vom Götzendienst im Hause des Micha, der sogar einen Leviten zum Priester der Götzenbilder anstellt, sodann in der Anbetung des goldenen Kalbes mit ihrem so verhängnisvollen Ergebnis für das Volk. Aber nach dem Exil finden wir keine Spur von Götzendienst mehr vor, und wie zuwider und verhaßt dieser Dienst dem Volke war, sehen wir an der Heldenzeit der Makkabäer in der Empörung selbst gegen den veredelten Bilderdienst der Griechen. Und unmittelbar neben diesem Hebräervolk sitzt das ihm doch verschwisterte und dabei götzendienerischeste Volk der Phönizier und im Süden hausen die tatsächlich Fetische anbetenden Araber und im Osten die, trotz unserer Babylonier, götzendienerischen Mesopotamier. Als zweites Beispiel werden die Götzendiener der Gesellschaftsinseln und die vom Götzendienst freien Bewohner der Tonga- und Fidschiinseln genannt. Selbst Religionen, die überhaupt nicht auf Götterverehrung basieren, wie der Buddhismus, haben zuletzt doch zu Idolatrie und Fetischismus geführt, sobald sie zu Völkern gelangten, die die hohen Lehren nicht begriffen und nur das aufnahmen, was ihrem, ich möchte fast sagen, Wildeninstinkt entsprach. So ist die edle Lehre Gotamas bei Tibetanern und Mongolen zu einem elenden Götzendienst herabgesunken, mit Geister- und Hexenwesen und allem möglichen Beschwörungsunfug. In China ist ein Götze nach einem Prozeß gegen ihn aus einer Provinz ausgetrieben worden, weil er einem Mädchen durch seinen Priester Heilung versprach und das arme Wesen dennoch starb. Mir fällt ein amüsantes Histörchen aus Herodot ein. Der joviale Vater der Geschichte erzählt, die Männer von Kaunos, der Vaterstadt des großen Malers Protogenes, hätten von ihren Göttern manches erfleht, aber es nicht erhalten. Da seien sie mit Lanzen und Schwertern in den Tempel gestürzt und hätten mit Schreien und Herumstechen in der Luft die Götter aus dem Tempel gejagt, seien in gleicher Weise hinter ihnen her gerannt, bis sie sie über ihre Grenze gescheucht hätten. Dann hätten sie neue Götter in den Tempel geladen. Als es aber unter diesen nicht besser wurde, hätten sie auch diese hinausgetrieben und ihre alten Götter zurückgeholt. Völlig negermäßig! Und ähnliche Beispiele gibt es in großer Zahl bei Griechen, Römern und anderen Völkern, wenn auch nicht so ganz naturnaiv. Sehr lehrreich ist, was Curtis in seinem lesenswerten Buche „Ursemitische Religion“ von den mohammedanischen Stämmen in Syrien und den angrenzenden Gebieten erzählt. Bei vielen dient Mohammeds Lehre kaum als Deckmantel für einen Heiligen-Fetischglauben. Die Heiligen, Weli, können in Gräbern – die große Zahl solcher in allen mohammedanischen Ländern ist ja bekannt – leben, aber auch in Bäumen, Felsen, Steinen, Quellen, Wassern usf. „Theoretisch,“ sagt der genannte Verfasser – und er beruft sich auch auf den bekannten Palästinaforscher Conder – „werden sie in Verbindung mit Gott verehrt; tatsächlich jedoch kennen viele Leute keinen anderen Gott als sie. Sie sind die Gottheiten, welche das Volk fürchtet, liebt, verehrt und anbetet.“ Ein frommer Moslem erzählte, sein Schutzpatron sei in einen in Asâl befindlichen Stein gefahren. Und Steine als Aufenthalt scheinen überhaupt bei den Weli nicht unbeliebt zu sein, namentlich irgend bemerkenswerte, wie Pfeiler, Denksteine usf. Curtis erinnert daran, daß auch im Alten Testament Steine mitunter eine besondere