Die Nacht von Lissabon / Ночь в Лиссабоне. Книга для чтения на немецком языке. Эрих Мария Ремарк

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Die Nacht von Lissabon / Ночь в Лиссабоне. Книга для чтения на немецком языке - Эрих Мария Ремарк Moderne Prosa

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und die gedämpften Stimmen der Wäscherinnen hinter den Fenstern. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten. Was ich hörte, schienen nur menschliche Laute zu sein, die noch nicht zu Worten geworden waren. Sie waren nur Zeichen, dass Menschen nahe waren – aber noch nicht Zeichen der Lüge, des Betrugs, der Dummheit und der höllischen Einsamkeit, die sie als fertige Worte wie hässliche Obertöne einer rein geplanten Melodie gehabt hätten.

      Ich atmete, und mir war, als atme ich im selben Rhythmus wie das Wasser. Für einen Augenblick, der ohne Zeit war, war mir sogar, als wäre ich ein Teil der Brücke und das Wasser flösse wie mein Atem und mit ihm durch mich hindurch. Es schien mir selbstverständlich, und ich wunderte mich nicht. Ich dachte nicht; auch meine Gedanken waren so unbewusst geworden wie mein Atem und das Wasser.

      Ein abgeschirmtes Licht wanderte rasch durch die schwarze Allee der Linden zu meiner Linken. Meine Augen folgten ihm, und dann hörte ich die Stimmen der Wäscherinnen wieder. Es kam mir zum Bewusstsein, dass ich sie eine Zeitlang nicht gehört hatte. Auch den Geruch der Linden spürte ich jetzt wieder. Ein schwacher Wind trieb ihn über das Wasser.

      Das wandernde Licht erlosch, und gleichzeitig wurden die Fenster hinter mir dunkel. Das Wasser lag eine Minute schwarz und teerig da, dann tauchten die schmalen Reflexe des Mondes auf, die vorher durch das stärkere Licht der Wäscherei verdeckt gewesen waren. Sie begannen jetzt, da nur sie allein noch da waren, zarter und vielfältiger zu spielen als das grobe, gelbe Licht vorher. Ich dachte an mein Leben, in dem auch vor Jahren ein Licht ausgelöscht worden war, und ich wunderte mich, ob viele sanfte Lichter, die ich vorher nie gesehen hatte, nicht auch in ihm wieder auftauchen könnten, so wie jetzt der Widerschein des Mondes im Fluss. Bisher war mir immer nur der Verlust fühlbar gewesen – nicht, ob ich nicht auch etwas dadurch gewonnen hätte.

      Ich verließ die Brücke und ging in der dunklen Allee der Bäume auf dem Wall auf und ab, bis die halbe Stunde vorbei war, die ich warten musste. Der Geruch der Linden wurde stärker in der wachsenden Nacht, und der Mond überschüttete die Dächer und die Türme mit Silber. Es war, als wolle die Stadt alles tun, um mir zu zeigen, dass ich mir eine Lüge aufgebaut habe; dass nirgendwo eine Gefahr auf mich lauere; dass ich heimkehren könne, getrost, nach einem langen Irrweg, um wieder ich selbst zu sein.

      Es war nicht nötig, mich dagegen zu wehren. Etwas in mir wachte automatisch und sicherte nach allen Seiten. Ich war zu oft gerade so in Paris, in Rom und in anderen Städten verhaftet worden – hingegeben an die Schönheit und in Sicherheit gewiegt durch ihre betrügerische Illusion der Liebe, des Verstehens und des Vergessens. Polizisten vergaßen nicht. Und Denunzianten wurden nicht durch Mondlicht und Lindenduft zu Heiligen.

      Ich ging zum Hitler-Platz, vorsichtig, meine Sinne ausgespannt wie Fledermausflügel. Das Haus stand an einer Ecke, wo eine Straße in den Platz mündete. Die Straße hatte noch den alten Namen.

      Das Fenster war offen. Mir fiel die Geschichte von Hero und Leander* ein und das Märchen von den Königskindern, wo eine Nonne das Licht auslöschte und der Königssohn ertrank – ich war kein Königssohn, dachte ich, und die Deutschen hatten viele sehr schöne Märchen und trotzdem, oder deshalb vielleicht, auch die grausamsten Konzentrationslager der Welt. Ruhig überschritt ich die Straße, und es war nicht der Hellespont* und nicht die nordische See.

      Im Hausflur kam mir jemand entgegen. Ich konnte nicht mehr zurück und ging weiter auf die Treppe zu, als wüsste ich, wohin ich wollte. Es war eine ältere Frau, die ich nicht von früher kannte. Das Herz krampfte sich mir zusammen…“ Schwarz lächelte – „da ist wieder so ein Klischee, an das man erst glaubt, wenn man es erfahren hat. Ich sah mich nicht um, ich hörte die Haustür zuklinken und lief rasch die Treppen hinauf. Die Tür war einen Zentimeter offen. Ich stieß sie auf und stand Helen gegenüber. „Hat dich jemand gesehen?“ fragte sie. „Ja. Eine ältere Frau.“ „Ohne Hut?“ „Ja, ohne Hut.“

      „Es muss das Mädchen gewesen sein. Sie hat ihr Zimmer unter dem Dach. Ich habe ihr gesagt, sie könne bis Montag nachmittag frei haben; da muss sie herumge trödelt haben. Diese Mädchen glauben, jeder Mensch habe nichts weiter im Kopf, als ihre Kleider zu kritisieren, wenn sie auf der Straße sind.“

      „Zum Teufel mit dem Mädchen“, sagte ich. „Sie hat mich nicht erkannt, ob sie es war oder nicht. Ich weiß, wenn jemand mich erkennt.“

      Helen nahm mir den Regenmantel und den Hut aus den Händen und wollte beides weghängen. „Nicht hierher“, sagte ich. „In einen Schrank. Wenn jemand käme, könnte er sie sehen.“

      „Niemand kommt“, sagte Helen und ging mir voran.

      Ich wandte mich um und drehte den Schlüssel in der Tür um. Dann folgte ich ihr.

      Ich hatte in den ersten Jahren meines Exils oft an meine Wohnung gedacht; dann hatte ich sie zu vergessen gesucht. Jetzt, als ich in ihr war, fühlte ich wenig. Sie war da wie ein Bild, das ich einmal besessen hatte und das mich an eine bestimmte Zeit meines Lebens erinnerte. Ich stand in der Tür und blickte mich um. Fast nichts war geändert worden. Das Sofa und die Sessel waren neu bezogen.

      „Waren sie nicht früher grün?“ fragte ich.

      „Blau“, sagte Helen.

      Schwarz wendete sich mir zu. „Dinge haben ihr eigenes Leben, und es wird entsetzlich, wenn man sie mit dem eigenen vergleicht.“

      „Wozu vergleichen?“ fragte ich.

      „Tun Sie das nicht?“

      „Ja, aber nicht auf verschiedenen Ebenen. Ich beschränke mich auf mich selbst. Wenn ich hungrig am Hafen stehe, vergleiche ich mich mit einem imaginären Ich, das außerdem noch an Krebs leidet. Das macht mich dann für eine Minute glücklich, weil ich keinen

      Krebs habe und nur hungrig bin.“

      „Krebs, sagte Schwarz und starrte mich an. „Wie kommen Sie darauf?“

      „Ich könnte auch Syphilis sagen. Oder Tuberkulose. Krebs ist das nächste.“

      „Das nächste?“ Schwarz starrte mich immer noch an. „Ich sage Ihnen, es ist das fernste! Das fernste!“ wiederholte er.

      „Gut“, erwiderte ich nachgiebig. „Das fernste. Ich habe es nur so als Beispiel gebraucht.“

      „Es ist so fern, dass es unbegreiflich ist.“

      „Das ist jede tödliche Krankheit, Herr Schwarz. Immer.“

      Er nickte und schwieg. „Haben Sie noch Hunger?“ fragte er dann.

      „Nein. Warum?“

      „Sie sagten etwas davon.“

      „Das war auch nur ein Beispiel. Ich habe heute bei Ihnen schon zweimal zu Abend gegessen.“

      Er blickte auf. „Wie das klingt! Zu Abend essen! Wie tröstlich! Wie unerreichbar, wenn alles vorbei ist!“

      Ich schwieg. Nach einer Weile sagte er ruhiger: „Die gelben Sessel. Sie waren neu bezogen worden, das war alles, in den fünf Jahren, in denen mein Dasein ein Dutzend Saltos der Ironie geschlagen hatte. Es scheint manchmal nicht zusammenzupassen, das war es, was ich meinte.“

      „Ja. Der Mensch stirbt, aber das Bett bleibt. Das Haus bleibt. Die Dinge bleiben. Man möchte sie auch zerstören.“

      „Nicht, wenn sie einem gleichgültig sind.“

      „Man soll sie nicht zerstören“, sagte ich. „Man ist nicht so wichtig.“

      „Nein?“

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