Die Nacht von Lissabon / Ночь в Лиссабоне. Книга для чтения на немецком языке. Эрих Мария Ремарк
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„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es war auch nur eine dumme Redensart. Ich nehme es selbst wichtig genug.“
Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach zwei. Das Orchester spielte Tanzmusik; einen Tango, in dem kurze, gedämpfte Hornstöße mich an die fernen Sirenen eines abfahrenden Schiffes erinnerten. Nur noch ein paar Stunden, dachte ich, bis zur Dämmerung, dann kann ich gehen. Ich fühlte nach den Fahrscheinen in meiner Tasche. Sie waren da. Fast hätte ich es nicht mehr geglaubt; die ungewohnte Musik, der Wein, die verhängten Räume und die Stimme von Schwarz hatten etwas Einschläferndes und Unwirkliches.
„Ich stand noch immer in der Tür zum Wohnzimmer“, fuhr Schwarz fort. „Helen sah mich an und fragte: „Ist dir deine Wohnung so fremd geworden?“
Ich schüttelte den Kopf und machte ein paar Schritte vorwärts. Eine merkwürdige Verlegenheit hatte mich erfasst. Die Dinge schienen nach mir greifen zu wollen; aber ich gehörte nicht mehr zu ihnen. Ein Schreck durchzuckte mich: dass ich vielleicht auch nicht mehr zu Helen gehöre. „Es ist alles, wie es war“, sagte ich rasch und heiß und verzweifelt. „Alles, wie es war, Helen.“
„Nein“, erwiderte sie. „Nichts ist mehr so. Weshalb bist du zurückgekommen? Deshalb? Damit alles so sei, wie es war?“
„Nein“, sagte ich. „Ich weiß, dass es das nicht gibt. Aber haben wir nicht hier gelebt? Wo ist das geblieben?“
„Nicht hier. Es ist auch nicht in den alten Kleidern geblieben, die wir weggeworfen haben. Meinst du das?“
„Nein. Ich frage nicht für mich. Aber du warst immer hier. Ich frage für dich.“
Helen sah mich seltsam an. „Warum hast du nie früh er gefragt?“ sagte sie dann.
„Früher?“ erwiderte ich verständnislos. „Warum früher? Ich konnte nicht kommen.“
„Früher. Bevor du weggingst.“
Ich begriff sie nicht. „Was hätte ich fragen sollen, Helen?“
Sie schwieg eine Weile. „Warum hast du mich nicht gefragt, mitzugehen?“ sagte sie dann.
Ich starrte sie an. „Mitzugehen? Weg von hier? Von deiner Familie? Von allem, was du liebtest?“
„Ich hasse meine Familie.“
Ich war völlig verwirrt. „Du weißt nicht, was es heißt, draußen zu sein“, murmelte ich schließlich.
„Du wusstest es damals auch nicht.“
Das war wahr. „Ich wollte dich hier nicht wegnehmen“, sagte ich lahm.
„Ich hasse es“, erwiderte sie. „Alles hier! Weshalb bist du zurückgekommen?“
„Du hast es damals nicht gehasst.“
„Weshalb bist du zurückgekommen?“ wiederholte sie.
Sie stand auf der anderen Seite des Zimmers, getrennt von mir durch mehr als die gelben Sessel und durch mehr als fünf Jahre Zeit. Feindseligkeit und eine wache Enttäuschung schlugen mir plötzlich entgegen, und ich fühlte dumpf, dass ich in meinem mir selbstverständlich erscheinenden Wunsch, sie keinen Schwierigkeiten auszusetzen, sie vielleicht schwer gekränkt hatte, als ich flüchtete und sie zurückließ.
„Weshalb bist du zurückgekommen. Josef?“ fragte Helen.
Ich hätte gern geantwortet, dass ich ihretwegen zurückgekommen sei; aber ich konnte es im Augenblick nicht. Es war nicht so einfach. Ich erkannte plötzlich – und ich erkannte es erst in diesem Augenblick —, dass es eine ruhige, klare Verzweiflung gewesen war, die mich zurückgetrieben hatte. Alle meine Reserven waren aufgebraucht und der nackte Wille zu überleben nicht stark genug gewesen, dem Frost der Einsamkeit länger standhalten zu können. Ich war nicht fähig gewesen, mir ein neues Leben aufzubauen. Ich hatte es im Grunde auch wohl nie wirklich gewollt. Ich war mit meinem früheren Leben längst nicht fertig geworden; ich hatte es weder verlassen noch überwinden können; Gangräne hatte eingesetzt, und ich hatte die Wahl gehabt, im Gestank der Gangräne zu krepieren oder zurückzugehen und zu versuchen, sie zu heilen. Ich hatte das alles nie genau überlegt, und es war mir auch jetzt nur in Umrissen klar; aber ich war wie erlöst, wenigstens das zu wissen. Die Schwere und Verlegenheit wich. Ich wusste jetzt, weshalb ich hier war. Ich hatte nichts aus den fünf Jahren Exil mitgebracht als meine geschärften Sinne, die Bereitschaft zu leben und die Vorsicht und Erfahrung eines flüchtigen Verbrechers. Das andere hatte Bankrott gemacht. Die vielen Nächte zwischen den Grenzen, die grauenhafte Langeweile des Daseins, das nur um etwas Essen und ein paar Stunden Schlaf kämpfen darf; die Maulwurfsexistenz unter Grund – sie versanken ohne Spur, während ich hier auf der Schwelle meiner Wohnung stand. Ich halte zwar Bankrott gemacht, aber ich brauchte keine Schulden zu übernehmen. Ich war frei. Das Ich dieser Jahre hatte Selbstmord begangen, als ich die Grenze überschritt. Es war keine Rückkehr. Ich war tot, ein anderes Ich lebte, und es lebte von geschenkter Zeit. Keine Verantwortung war mehr da. Die Gewichte fielen ab.“ Schwarz wandte sich mir zu. „Verstehen Sie, was ich meine? Ich wiederhole mich und rede in Gegensätzen.“
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