Märchen / Сказки. Книга для чтения на немецком языке. Герман Гессе
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Читать онлайн книгу Märchen / Сказки. Книга для чтения на немецком языке - Герман Гессе страница 11
Han Fook wusste nicht mehr, wie viele Jahre er bei dem Meister an der Quelle des großen Flusses verweilt habe; oft schien es ihm, als sei er erst gestern abend in dieses Tal getreten und vom Saitenspiel des Alten empfangen worden, oft auch war ihm, als seien hinter ihm alle Menschenalter und Zeiten hinabgefallen und wesenlos geworden.
Da erwachte er eines Morgens allein in der Hütte, und wo er auch suchte und rief, der Meister war verschwunden. Über Nacht schien plötzlich der Herbst gekommen, ein rauher Winter rüttelte an der alten Hütte[21], und über den Grat des Gebirges flogen große Scharen von Zugvögeln, obwohl es noch nicht ihre Zeit war.
Da nahm Han Fook die kleine Laute mit sich und stieg in das Land seiner Heimat hinab, und wo er zu Menschen kam, begrüßten sie ihn mit dem Gruß, der den Alten und Vornehmen zukommt, und als er in seine Vaterstadt kam, da waren sein Vater und seine Braut und seine Verwandtschaft gestorben, und andere Menschen wohnten in ihren Häusern. Am Abend aber wurde das Lampenfest auf dem Flusse gefeiert, und der Dichter Han Fook stand jenseits auf dem dunkleren Ufer, an den Stamm eines alten Baumes gelehnt, und als er auf seiner kleinen Laute zu spielen begann, da seufzten die Frauen und blickten entzückt und beklommen in die Nacht, und die jungen Mädchen riefen nach dem Lautenspieler, den sie nirgends finden konnten, und riefen laut, dass noch keiner von ihnen jemals solche Töne einer Laute gehört habe. Han Fook aber lächelte. Er schaute in den Fluss, wo die Spiegelbilder der tausend Lampen schwammen; und wie er die Spiegelbilder nicht mehr von den wirklichen zu unterscheiden wusste, so fand er in seiner Seele keinen Unterschied zwischen diesem Feste und jenem ersten, da er hier als ein Jüngling gestanden war und die Worte des fremden Meisters vernommen hatte.
1. Was war der Hauptwunsch des Dichters?
2. Was war für ihm in der Musik des Meisters?
3. Warum hat er das Haus seines Vaters verlassen?
4. Warum kehrte er nicht zurück?
Merkwürdige Nachricht von Einem Andern Stern
In einer der Südprovinzen unseres schönen Sterns war ein grässliches Unglück geschehen. Ein von furchtbaren Gewitterstürmen und Überschwemmungen begleitetes Erdbeben hatte drei große Dörfer und alle ihre Gärten, Felder, Wälder und Pflanzungen beschädigt. Eine Menge von Menschen und Tieren war umgekommen, und, was am meisten traurig war, es fehlte durchaus an der notwendigen Menge von Blumen, um die Toten einzuhüllen und ihre Ruhestätten geziemend zu schmücken.
Für alles andere war natürlich sofort gesorgt worden. Boten mit dem großen Liebesruf hatten alsbald nach der schrecklichen Stunde die benachbarten Gegenden durcheilt, und von allen Türmen der ganzen Provinz hörte man die Vorsänger jenen rührenden und herzbewegenden Vers singen, der seit alters als der Gruß an die Göttin des Mitleids bekannt ist und dessen Tönen niemand widerstehen konnte. Es kamen aus allen Städten und Gemeinden her alsbald Züge von Mitleidigen und Hilfsbereiten herbei, und die Unglücklichen, welche das Dach über dem Haupte verloren hatten, wurden mit freundlichen Einladungen und Bitten überhäuft, hier und dort bei Verwandten, bei Freunden, bei Fremden Wohnung zu nehmen. Speise und Kleider, Wagen und Pferde, Werkzeuge, Steine und Holz und viele andere Dinge wurden von allen Seiten her zu Hilfe gebracht, und während die Greise, Weiber und Kinder noch von mildtätigen Händen tröstlich und gastlich hinweggeführt wurden, während man die Verletzten sorgfältig wusch und verband und unter den Trümmern nach den Toten suchte, da waren andere schon darangegangen, eingestürzte Dächer abzuräumen, wankende Mauern mit Balken abzustützen und alles Notwendige für den raschen Neubau vorzubereiten. Und obwohl von dem Unglück her noch ein Hauch von Grauen in den Lüften hing und von allen den Toten eine Mahnung zu Trauer und ehrerbietigem Schweigen ausging, war dennoch in allen Gesichtern und Stimmen eine freudige Bereitschaft und eine gewisse zarte Festlichkeit zu verspüren; denn die Gemeinsamkeit eines fleißigen Tuns und die erquickende Gewissheit, etwas so ungemein Notwendiges, etwas so Schönes und Dankenswertes zu tun, strömte in alle Herzen über. Anfangs war alles noch in Scheu und Schweigen geschehen, bald aber wurde da und dort eine fröhliche Stimme, ein leise zur gemeinsamen Arbeit gesungenes Lied hörbar, und wie man sich denken kann, waren unter allem, was gesungen wurde, obenan die beiden alten Spruchverse: »Selig, Hilfe zu bringen dem frisch von der Not Überfallenen; trinkt nicht sein Herz die Wohltat wie ein dürrer Garten den ersten Regen, und gibt Antwort in Blumen der Dankbarkeit?« Und jener andere: »Heiterkeit Gottes strömt aus gemeinsamem Handeln.«
Aber nun entstand ebenjener beklagenswerte Mangel an Blumen. Die Toten zwar, die man zuerst gefunden hatte, waren mit den Blumen und Zweigen geschmückt worden, welche man noch aus den zerstörten Gärten gesammelt hatte. Dann hatte man begonnen, aus den benachbarten Orten alle erreichbaren Blumen zu holen. Aber dies war eben das besondere Unglück, dass gerade die drei zerstörten Gemeinden die größten und schönsten Gärten für die Blumen dieser Jahreszeit besessen hatten. Hierher war man in jedem Jahre gekommen, um die Narzissen und die Krokus zu sehen, deren es nirgends sonst solche unabsehbare Mengen gab und so gepflegte, wunderbar gefärbte Arten; und das alles war nun zerstört und verdorben. So stand man bald ratlos und wusste nicht, wie man an allen diesen Toten das Gebot der Sitte[22]
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