Märchen / Сказки. Книга для чтения на немецком языке. Герман Гессе
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Weinend kniete er vor seinem alten Freunde und fühlte schon im Niedersinken, wie die Liebe zu diesem alten Manne in ihm brannte und nach vergessenen Worten und Gebärden rang. Der Pate aber nahm ihn sanft, der kleine Mann, auf seine Arme und trug ihn zum Lager, da legte er ihn nieder und strich ihm die Haare aus der heißen Stirn.
»Es ist gut«, flüsterte er ihm leise zu, »es ist gut, mein Kind, es wird alles gut werden.«
Darüber fühlte Augustus sich von einer schweren Müdigkeit überfallen, als sei er im Augenblick um viele Jahre gealtert, er fiel in einen tiefen Schlaf, und der alte Mann ging still aus dem verlassenen Hause.
Augustus erwachte von einem wilden Lärm, der das hallende Haus erfüllte, und als er sich erhob und die nächste Tür öffnete, fand er den Saal und alle Räume voll von seinen ehemaligen Freunden, die zu dem Fest gekommen waren und das Haus leer gefunden hatten. Sie waren erbost und enttäuscht, und er ging ihnen entgegen, um sie alle wie sonst mit einem Lächeln und einem Scherzwort zurückzugewinnen; aber er fühlte plötzlich, dass diese Macht von ihm gewichen war. Kaum sahen sie ihn, so begannen sie alle zugleich auf ihn einzuschreien, und als er hilflos lächelte und abwehrend die Hände ausstreckte, fielen sie wütend über ihn her.
»Du Gauner«, schrie einer, »wo ist das Geld, das du mir schuldig bist?« Und ein anderer: »Und das Pferd, das ich dir geliehen habe?« Und eine hübsche, zornige Frau: »Alle Welt weiß meine Geheimnisse, die du ausgeplaudert hast. O wie ich dich hasse, du Scheusal!« Und ein hohläugiger junger Mensch schrie mit verzerrtem Gesicht: »Weißt du, was du aus mir gemacht hast, du Satan, du Jugendverderber?«
Und so ging es weiter, und jeder häufte Schmach und Schimpf auf ihn, und jeder hatte recht, und viele schlugen ihn, und als sie gingen und im Gehen die Spiegel zerschlugen und viele von den Kostbarkeiten mitnahmen, erhob sich Augustus vom Boden, geschlagen und verunehrt, und als er in sein Schlafzimmer trat und in den Spiegel blickte, um sich zu waschen, da schaute sein Gesicht ihm welk und hässlich entgegen, die roten Augen tränten, und von der Stirne tropfte Blut.
»Das ist die Vergeltung«, sagte er zu sich selber und wusch das Blut von seinem Gesicht, und kaum hatte er sich ein wenig besonnen, da drang von neuem Lärm ins Haus und Menschen kamen die Treppen heraufgestürmt: Geldleiher, denen er sein Haus verpfändet hatte, und ein Gatte, dessen Frau er verführt hatte, und Väter, deren Söhne durch ihn verlockt ins Laster und Elend gekommen waren, und entlassene Diener und Mägde, Polizei und Advokaten, und eine Stunde später saß er gefesselt in einem Wagen und wurde ins Gefängnis geführt. Hinterher schrie das Volk und sang Spottlieder, und ein Gassenjunge warf durchs Fenster dem Davongeführten eine Handvoll Kot ins Gesicht.
Da war die Stadt voll von den Schandtaten dieses Menschen, den so viele gekannt und geliebt hatten. Kein Laster, dessen er nicht angeklagt war, und keines, das er verleugnete. Menschen, die er lange vergessen hatte, standen vor den Richtern und sagten Dinge aus, die er vor Jahren getan hatte; Diener, die er beschenkt und die ihn bestohlen, erzählten die Geheimnisse seiner Laster, und jedes Gesicht war voll von Abscheu und Hass, und keiner war da, der für ihn sprach, der ihn lobte, der ihn entschuldigte, der sich an Gutes von ihm erinnerte.
Er ließ alles geschehen, ließ sich in die Zelle und aus der Zelle vor die Richter und vor die Zeugen führen, er blickte verwundert und traurig aus kranken Augen in die vielen bösen, entrüsteten, gehässigen Gesichter, und in jedem sah er unter der Rinde von Hass und Entstellung einen heimlichen Liebreiz und Schein des Herzens glimmen. Alle diese hatten ihn einst geliebt, und er keinen von ihnen, nun tat er allen Abbitte[17] und suchte bei jedem sich an etwas Gutes zu erinnern.
Am Ende wurde er in ein Gefängnis gesteckt, und niemand durfte zu ihm kommen, da sprach er in Fieberträumen mit seiner Mutter und mit seiner ersten Geliebten, mit dem Paten Binßwanger und mit der nordischen Dame vom Schiff, und wenn er erwachte und furchtbare Tage einsam und verloren saß, dann litt er alle Pein der Sehnsucht und Verlassenheit und schmachtete nach dem Anblick von Menschen, wie er nie nach irgendeinem Genüsse oder nach irgendeinem Besitz geschmachtet hatte.
Und als er aus dem Gefängnis kam, da war er krank und alt, und niemand kannte ihn mehr. Die Welt ging ihren Gang, man fuhr und ritt und promenierte in den Gassen, Früchte und Blumen, Spielzeug und Zeitungen wurden feilgeboten, nur an Augustus wandte sich niemand. Schöne Frauen, die er einst bei Musik und Champagner in seinen Armen gehalten hatten, fuhren in Equipagen an ihm vorbei, und hinter ihren Wagen schlug der Staub über Augustus zusammen.
Die furchtbare Leere und Einsamkeit aber, in welcher er mitten in seinem prächtigen Leben erstickt war, die hatte ihn ganz verlassen. Wenn er in ein Haustor trat, um sich für Augenblicke vor der Sonnenglut zu schützen, oder wenn er im Hof eines Hinterhauses um einen Schluck Wasser bat, dann wunderte er sich darüber, wie mürrisch und feindselig ihn die Menschen anhörten, dieselben, die ihm früher auf stolze und lieblose Worte dankbar und mit leuchtenden Augen geantwortet hatten. Ihn aber freute und ergriff und rührte jetzt der Anblick jedes Menschen, er liebte die Kinder, die er spielen und zur Schule gehen sah, und er liebte die alten Leute, die vor ihrem Häuschen auf der Bank saßen und die welken Hände an der Sonne wärmten. Wenn er einen jungen Burschen sah, der ein Mädchen mit sehnsüchtigen Blicken verfolgte, oder einen Arbeiter, der heimkehrend am Feierabend seine Kinder auf die Arme nahm, oder einen feinen, klugen Arzt, der still und eilig im Wagen dahinfuhr und an seine Kranken dachte, oder auch eine arme, schlechtgekleidete Dirne, die am Abend in der Vorstadt bei einer Laterne wartete und sogar ihm, dem Verstoßenen, ihre Liebe anbot, dann waren alle diese seine Brüder und Schwestern, und jeder trug die Erinnerung an eine geliebte Mutter und an eine bessere Herkunft oder das heimliche Zeichen einer schöneren und edleren Bestimmung an sich und jeder war ihm lieb und merkwürdig und gab ihm Anlass zum Nachdenken, und keiner war schlechter, als er selbst sich fühlte. Augustus beschloss, durch die Welt zu wandern und einen Ort zu suchen, wo es ihm möglich wäre, den Menschen irgendwie zu nützen und ihnen seine Liebe zu zeigen. Er musste sich daran gewöhnen, dass sein Anblick niemanden mehr froh machte; sein Gesicht war eingefallen, seine Kleider und Schuhe waren die eines Bettlers, auch seine Stimme und sein Gang hatten nichts mehr von dem, was einst die Leute erfreut und bezaubert hatte. Die Kinder fürchteten ihn, weil sein struppiger grauer Bart lang herunterhing, die Wohlgekleideten scheuten seine Nähe, in der sie sich unwohl und beschmutzt fühlten, und die Armen misstrauten ihm als einem Fremden, der ihnen ihre paar Bissen wegschnappen wollte. So hatte er Mühe, den Menschen zu dienen. Aber er lernte und ließ sich nichts verdrießen. Er sah ein kleines Kind sich nach der Türklinke des Bäckerladens strecken und sie mit dem Händchen nicht erreichen. Dem konnte er helfen, und manchmal fand sich auch einer, der noch ärmer war als er selbst, ein Blinder oder Gelähmter, dem er ein wenig auf seinem Wege helfen und wohltun konnte. Und wo er das nicht konnte, da gab er doch freudig das wenige, was er hatte, einen hellen, gütigen Blick und einen brüderlichen Gruß, eine Gebärde des Verstehens und des Mitleidens. Er lernte es auf seinen Wegen den Leuten ansehen, was sie von ihm erwarteten, woran sie Freudehaben würden: der eine an einem lauten, frischen Gruß, der andere an einem stillen Blick und wieder einer daran, dass man ihm auswich und ihn nicht störte. Er wunderte sich täglich, wieviel Elend es auf der Welt gäbe, und wie vergnügt doch die Menschen sein können, und er fand es herrlich und begeisternd, immer wieder zu sehen, wie neben jedem Leid ein frohes Lachen, neben jedem Totengeläut ein Kindergesang, neben jeder Not und Gemeinheit eine Artigkeit, ein Witz, ein Trost, ein Lächeln zu finden war.
Das Menschenleben schien ihm vorzüglich eingerichtet. Wenn er um die Ecke bog, und es kam ihm eine Horde Schulbuben entgegengesprungen, wie blitzte da Mut und Lebenslust und junge Schönheit aus allen Augen, und wenn sie ihn ein wenig hänselten und plagten, so war das nicht so schlimm: es war sogar zu begreifen, er fand sich selber, wenn er sich in einem Schaufenster oder beim Trinken im Brunnen gespiegelt sah, recht welk und dürftig von Ansehen. Nein, für ihn konnte es sich nicht mehr darum handeln, den Leuten zu gefallen oder Macht auszuüben,
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nun tat er allen Abbitte – теперь он просил у всех прощения