Überfahren . Блейк Пирс
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Und doch… Riley konnte nicht anders, als sich vor Augen zu führen…
Ich bin auf dem Weg zu einem enthaupteten Körper.
Ihre gesamte Karriere war eine lange Aneinanderreihung von Grausamkeiten. War das wirklich das Leben, dass sie sich für April wünschte?
Es ist nicht meine Entscheidung, dachte Riley. Es ist ihre.
Riley fühlte sich auch komisch wegen des schwierigen Gesprächs, dass sie vorhin mit Jenn gehalten hatte. So vieles war unausgesprochen geblieben und Riley hatte keine Ahnung, was gerade möglicherweise zwischen Jenn und Tante Cora vorgehen könnte. Jetzt war aber natürlich auch nicht der richtige Zeitpunkt das alles anzusprechen –– nicht jetzt in Bills Gegenwart.
Riley konnte nicht anders, als sich zu fragen…
Hat Jenn Recht? Sollte sie vielleicht doch ihre Dienstmarke ablegen?
Machte Riley alles vielleicht schlimmer für die junge Agentin, indem sie sie ermutigte weiterhin beim FBI zu bleiben?
Und war Jenn gerade in der richtigen Verfassung um einen neuen Fall anzufangen?
Riley schaute zu Jenn hinüber, die in ihrem Sitz versunken angestrengt auf ihren Computer starrte.
Jenn schien gerade voll und ganz bei der Sache zu sein –– sehr viel mehr als Riley, jedenfalls.
Rileys Gedanken wurden von Bills Stimme unterbrochen.
„An die Bahngleise gefesselt. Das klingt fast wie…“
Riley sah, dass auch Bill auf seinen Bildschirm schaute.
Er hielt inne, aber Jenn führte seinen Satz zu Ende.
„Wie einer dieser alten Stummfilme, oder? Ja, das dachte ich mir auch.“
Bill schüttelte den Kopf.
„Ich will mich natürlich nicht darüber lustig machen, aber… ich muss andauernd an einen schnurrbärtigen Bösewicht im Zylinderhut denken, der ein junges Fräulein an die Gleise fesselt bis irgendein flotter Held eintrifft um sie zu retten. War das nicht das Standardszenario all dieser Stummfilme?“
Jenn zeigte auf ihren Bildschirm.
„Naja, eigentlich nicht wirklich. Ich habe das mal recherchiert. Es ist ein Motiv, ein Klischee. Und jeder meint es irgendwann mal so gesehen zu haben. Aber es ist nie tatsächlich so in irgendeinem Stummfilm verfilmt worden. Jedenfalls nicht als ernsthafte Geschichte.“
Jenn drehte ihren Bildschirm zu Bill und Riley, sodass sie ihn sehen konnten.
Sie führte aus: „Das erste fiktionale Beispiel eines Bösewichts, der jemanden an Bahngleise fesselt scheint lange vor dem Film erschaffen geworden zu sein. Es handelt sich um das 1867 erschienene Theaterstück „Unter dem Gaslicht“. Aber –– passt auf! –– der Bösewicht fesselte einen Mann an die Gleise und es war die Protagonistin, die ihn befreien musste. Dasselbe Motiv kommt in einer Kurzgeschichte und einigen anderen Theaterstücken dieser Zeit vor.“
Riley sah, dass Jenn ziemlich vereinnahmt war von dem, was sie herausgefunden hatte.
Jenn fuhr fort: „Was alte Filme angeht, es gab da grad mal zwei Stummkomödien, in denen genau das passierte –– eine kreischende, hilflose junge Dame wurde von einem heimtückischen Schurken an die Bahngleise gefesselt und wurde dann von einem schönen Helden wieder befreit. Aber die waren der Lacher halber, so wie Zeichentrickfilme am Samstagmorgen.“
Bills Augen weiteten sich vor Interesse.
„Parodien auf etwas, was nie wirklich existiert hatte“, sagte er.
„Genau“, sagte Jenn.
Bill schüttelte den Kopf.
Er sagte: “Aber Dampflokomotiven waren zu diesen Zeiten eine alltägliche Sache –– in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts, meine ich. Gab es keine Stummfilme, die jemanden darstellten, der in Gefahr war von einem Zug überfahren zu werden?“
„Doch, klar“, sagte Jenn. „Manchmal fielen Figuren auf die Gleise oder wurden geschubst und durch den Fall K.O. geschlagen. Aber das ist nicht dasselbe Szenario, oder? Außerdem waren die Filmfiguren meistens Männer, wie in dem Theaterstück, und mussten von der weiblichen Heldin gerettet werden.“
Riley war nun ganz Ohr. Sie wusste genau, dass Jenn nicht ihre Zeit vergeudete, wenn sie solche Dinge recherchierte. Sie mussten alles wissen, was einen Killer womöglich antreiben könnte. Es könnte sich als nützlich erweisen die kulturellen Vorläufer der Szenarien, mit denen sie zu tun hatten, zu kennen und zu verstehen–– selbst, wenn diese womöglich fiktional waren.
Oder in diesem Fall, nichtexistent, dachte Riley.
Alles, was den Killer möglicherweise beeinflusst hatte, könnte relevant werden.
Sie dachte einen Moment lang nach, fragte dann Jenn: „Bedeutet das, dass es keine realen Fälle gab, in denen Menschen umgebracht wurden, indem sie an Bahngleise gefesselt wurden?“
„Nein, es ist tatsächlich auch mal passiert“, antwortete Jenn, auf den Bildschirm zeigend. „Zwischen 1874 und 1910 sind mindestens 6 Menschen so umgekommen. Ich kann gerade keine anderen Beispiele seit dieser Zeit ausfindig machen, außer dieses eine, das erst vor Kurzem passiert ist. Es ging um ein entfremdetes Ehepaar in Frankreich. Der Mann hatte damals seine Frau an ihrem Geburtstag an die Gleise gefesselt und warf sich gleichzeitig selber vor den Zug um mit ihr zu sterben –– ein erweiterter Selbstmord also. Ansonsten scheint das eine ziemlich unübliche Art um jemanden umzubringen. Und in keinem dieser Fälle handelte es sich um eine Mordserie.“
Jenn drehte ihren Computerbildschirm wieder zu sich und schwieg.
Riley ließ sich eine Phrase, die Jenn benutzt hatte, durch den Kopf gehen …
„…eine ziemlich unübliche Art jemanden umzubringen.“
Riley dachte sich…
Unüblich, aber nicht unerhört.
Jetzt fragte sie sich, ob die Mordfälle zwischen 1874 und 1910 alle von diesen alten Theaterstücken inspiriert waren, in denen die Figuren an Gleise gefesselt wurden. Riley konnte sich in der jüngsten Vergangenheit auch an andere grauenhafte Umsetzungen von Kunst ins eigentliche Leben erinnern –– dort waren Mörder von Büchern oder Filmen oder Videospielen inspiriert worden.
Vielleicht hatten sich die Dinge gar nicht so sehr verändert.
Vielleicht hatten sich die Menschen gar nicht so sehr verändert.
Und was war mit dem Killer, nach dem sie sich bald auf die Suche machen würden?
Es schien lächerlich anzunehmen, dass sie nach einem Psychopaten suchten, der einen heimtückischen, melodramatischen, Schnurrbart-zwirbelnden Bösewicht nachahmte, welcher nie wirklich existiert hatte –– nicht einmal im Film.
Aber was könnte dann diesen