Matisse / Матисс. Книга для чтения на немецком языке. Александр Иличевский

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Matisse / Матисс. Книга для чтения на немецком языке - Александр Иличевский Russische moderne Prosa

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die Straße hinaus und schlug, ohne sich umzusehen, den Weg zum Fluss ein, zur Trjochgorka.

      Die hohe klare Luft, das langsame, zerstreute Licht, voll silbriger Schwebeteilchen, floss andächtig über Moskau hinweg.

      Immer wieder schossen laut heulende Rettungsautos unter der Brücke hervor auf die Uferstraße.

      Menschen kamen aus dem Weißen Haus gerannt, sie liefen mit erhobenen Armen. Krankentragen wurden gebracht. An der Treppe hinab zum Fluss durchsuchten Soldaten die sich Ergebenden. Nach mehreren Schlägen auf den Hals und den Hintern, in die Rippen und den Magen stießen sie sie die Stufen zur Uferstraße hinunter.

      Nadja hatte sich an die Tauben gewöhnt. Sie landeten auf ihr, schliefen auf ihr wie kleine Schiffchen, die Füße eingezogen. Als die Tauben unruhig wurden, schreckte sie hoch.

      Die Luke öffnete sich ein wenig, ein Kopf tauchte auf. Die Tauben stoben auf, segelten herunter. Eine Taube landete auf der Luke, ließ Dreck herabplumpsen. Und flog wieder auf.

      Eine Frau steckte ihren Oberkörper durch die Luke, stellte lautlos einen kleinen Koffer ab und stemmte sich hoch.

      Ein kurzer Bob, Jeans, Lederjacke. Unter den Haaren war das weiße Spiralkabel eines Kopfhörers zu sehen.

      Das von den Ritzen und schiefen Dachbalken gespaltene Licht zerlegte den Raum des Dachbodens in einzelne Scheiben.

      Ein Lichtstreifen lief quer über Nadjas Brust, über ihre gekreuzten Arme.

      Vorsichtig, jede Bewegung vermeidend, ließ sie den Blick an sich hinabwandern, legte die Arme neben sich, reckte das Kinn in die Höhe.

      Und schaute mit weit aufgesperrten Augen an die Decke, nach oben. Wie tot.

      Die Frau setzte ihr Gewehr zusammen, prüfte die Visiereinstellung, entsicherte die Waffe. Dann bemerkte sie Nadja.

      Nach kurzem Nachdenken legte sie den Finger an die Lippen und öffnete mit dem Gewehrlauf die Fensterklappe.

      XVI

      Wadja bekam zunächst einen Schreck und lief auf der anderen Straßenseite am Haus vorbei, ging dann aber wieder zurück. Vor der Tür drängelte sich eine Gruppe Soldaten. Ein schnauzbärtiger Zwergmajor rüstete eifrig einen Elitesoldatenriesen aus. Sorgfältig, wie man ein Kind zum Winterspaziergang rüstet. Er zurrte ihm die Schutzweste fest, zerrte am Helmriemen, prüfte Granaten und Messer, nahm die Pistole aus dem Holster, öffnete das Magazin, schob es wieder hinein und reichte dem Soldaten die Waffe, der sie sich in die Hosentasche steckte. Der Major besah sich noch einmal alles. Dann schlug er ihm von unten gegen die Brust.

      Der Elitesoldat salutierte und ging ins Haus.

      Wadja kam näher, brummelte leise etwas zu den Soldaten, stürzte dann die Treppe rauf, wurde zurückgerissen, runtergetreten.

      Er setzte sich auf die Bordsteinkante, griff sich mit den Händen an den Kopf, stand auf, lief eine Runde. Setzte sich wieder, schlug sich auf den Hals, stand auf, boxte mit der Faust in die Luft. Rannte los, stürzte ins Haus, sie stellten ihm ein Bein und schmissen ihn mit aufgeschlagenem Gesicht wieder hinaus. Oben knallte ein Schuss.

      Und noch einer.

      Ein Soldat mit einer MP vor der Brust kam mit großen Schritten auf Wadja zu, verjagte ihn von der Haustür, jagte ihn bis ans Ende des Häuserblocks, Wadja sah sich immer wieder um und lief weiter, wenn er ihm zu nah kam. Ringsum stand ein Haufen Gaffer.

      An der Brücke schwenkten drei Panzer herum, änderten die Feuerstellung und stießen dabei kleine Rauchwolken aus. Sie stellten sich mit großem Abstand auf, eröffneten das Feuer. Dem scharfen Dröhnen des Schusses folgte das Klirren der auf den Asphalt geschleuderten Hülse.

      Die Menge sirrte, ächzte, stürzte immer wieder los. Dem Weißen Haus schienen die Schüsse nichts anhaben zu können.

      Irgendwann wurde Wadja von der Menge übermannt, fortgetragen, er musste mit, musste laufen, um nicht über den Haufen gerannt, nicht totgetrampelt zu werden. Das irrsinnige Gerenne und die alarmierten Gesichter verbreiteten in der Menge Angst.

      Wieder donnerte ein Schuss, wieder klirrte eine Hülse und hüpfte blitzend auf der Brücke.

      Die Angst hinderte Wadja daran, an Nadja zu denken. An der Auffahrt zum Weißen Haus spülte es ihn vor eine Hofeinfahrt, die von einem Sprengwagen verstellt war. Ein Soldat mit verängstigtem, schweißnassem Gesicht, das sich beinahe im Helm verlor, half den Menschen über die Rampe an der hinteren Stoßstange.

      Wadja ging durch die Hinterhöfe zurück.

      Eine Bahre wurde aus dem Haus getragen.

      Sie stellten sie ab. Legten ein Gewehr und einen kleinen Koffer daneben.

      Wadja kam näher. Die Soldaten rauchten. Der verschwitzte Elitesoldatenhüne hockte sich mit aufgeknöpfter Schutzweste neben die Bahre. Er zog an der Zigarette und schob das Wachstuch ein wenig zurück. Blies den Rauch aus. Spuckte seitlich aus. Zog das Tuch wieder hoch.

      Der Zwergmajor hielt seinen Helm im Arm wie eine Schüssel. Er kurbelte an seinem Funkgerät, betätigte den Kippschalter. Hielt es ans Ohr.

      Wadja hörte:

      »Flieder, bitte kommen. Hier Weide. Mache Meldung. Einen haben wir erwischt. Einen Weißstrumpf*. Ja, eine Frau. Jawohl, keine Verluste. Ja. Ja. Im Gluboki Pereulok*, Tscherednitschenko … Jawohl.«

      Ein Soldat führte Nadja die Treppe herunter und aus dem Haus.

      Sie erkannte Wadja nicht. Langsam, wie im Schlaf, die Hand an den Hals gelegt, ließ sie den Blick über die Soldaten schweifen und stakste davon.

      Wadja rannte ihr nach. Ging neben ihr her, rauchte in die hohle Faust.

      Die Passanten drehten sich um, wenn sie Nadjas rundes, totes Gesicht sahen, die Schlichtheit ihres Leides.

      Am Abend kehrten sie zurück. Betrunkene Soldaten wankten durch die Straßen. Von der tödlichen Gefahr erregt, zerstörten sie alles, was ihnen in den Weg kam. So ließen sie ihre Wut aus, die Wut auf sich selbst, über die eigene tierische Angst in diesen Tagen.

      In der Nähe, am Filmmuseum, plünderten OMON-Soldaten* eine Trinkbude.

      Einer von ihnen stellte ein paar Flaschen Wodka der Marke Wildes Tier auf dem Gehweg ab und fiel trunken taumelnd über sie her. Zwei andere pfiffen und schrien, er solle damit aufhören.

      Nadja bekam eine Ohrfeige ab.

      Wadja wehrte sich kaum, er duckte sich, wich den Schlägen halbherzig aus, murmelte:

      »Schlagt drauf, Jungs, schlagt nur, aber erschlagt mich nicht, sachte, seid so gut.«

      Der OMON-Soldat kämpfte wie eine Mühle – langsam, weit ausholend schwang er seine Fäuste und Beine. Es tat nicht weh. Irgendwann plumpste er auf Wadja wie ein schwerer Sack und fing an, ihn zu würgen. Seine weißen, leeren Augen sahen nichts.

      Außer Atem gekommen[33] ließ er von Wadja ab, griff sich die klirrenden Wodkaflaschen und wankte seinen Leuten hinterher.

      Nadja, die Unterlippe eifrig vorgereckt, half Wadja auf, führte ihn auf den Dachboden. Sie legte ihn hin, schmierte Taubendreck auf seine Schürfwunden und Prellungen.

      Dann

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<p>33</p>

außer Atem kommen – запыхаться