Akte. Александр Дюма
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Akte
I
Es war am 7. Mai (der bei den Griechen Thargelion heißt) im Jahre 57 n. Chr. und 810 nach der Gründung Roms, als ein junges Mädchen von fünfzehn bis sechzehn Jahren zu dem westlichen Stadttor von Korinth heraustrat. Schlank, schön und hurtig wie die jagende Diana lief sie zur Meeresküste hinab. Bei einer kleinen Wiese, die auf der einen Seite von einem Olivenwäldchen, auf der andern von einem Bach begrenzt war, der im Schatten von Orangen- und Oleanderbäumen dahinfloß, hielt sie inne und fing an, Blumen zu suchen. Einen Augenblick schwankte sie, ob sie Veilchen und Anemonen wählen sollte, die im Schatten von Minervas Bäumen hier erblühten, oder Narzissen und Seerosen, die am Rande des Wassers standen und auf seiner Oberfläche schwammen. Bald entschied sie sich für die letzteren und lief in fröhlichen Sprüngen wie ein junger Faun zum Flusse hinab.
An seinem Ufer blieb sie stehen; ihre langen Haare hatten sich bei dem raschen Laufe gelöst. Sie kniete am Rande des Wassers nieder, neigte sich über dessen Spiegel und lächelte dem schönen Bilde zu, das ihr daraus entgegenstrahlte. Mit ihren herrlichen dunklen Augen, der jonischen Nase und den frischen Korallenlippen war sie gewiß eines der entzückendsten Mädchen Griechenlands. Stark, wie aus Marmor gemeißelt, und doch zugleich biegsam wie ein Schilf, erschien ihr Körper wie eine Statue des Phidias, der Prometheus Leben eingeflößt hatte. Nur die Füße wollten nicht ganz zu der kraftvollen Gestalt passen, sie waren anscheinend zu klein, um die Last des Körpers zu tragen. Das war das einzige, worin man einen Schönheitsfehler hätte finden können, wenn man überhaupt daran denken dürfte, einem jungen Mädchen aus solcher Unvollkommenheit einen Vorwurf zu machen. So schön war die jugendfrische Erscheinung, daß auch die Nymphe Pyrene, in deren zum Quell gewordenen Tränen sie sich jetzt spiegelte, (obwohl sie doch auch ein Weib war) nicht umhin konnte, das Bild in seiner ganzen Anmut und Reinheit wiederzugeben. Einen Augenblick blieb das Mädchen in stilles Betrachten versunken, dann ordnete sie ihr Haar in drei Strähnen, flocht aus den an den Schläfen herabhängenden zwei Zöpfe und befestigte sie auf dem Scheitel mit einem Kranz von Oleander- und Orangenblüten, den sie soeben gewunden hatte; die übrigen Haare ließ sie frei nach rückwärts herabwallen wie die Mähne auf dem Helme der Pallas. Dann beugte sie sich über das Wasser, um den Durst zu löschen, der sie zu diesem Wiesengrunde hingezogen hatte. Aber so fühlbar er auch gewesen war, galt es doch zunächst ein dringenderes Bedürfnis zu stillen. Vor allem mußte sie sich überzeugen, ob sie noch immer das schönste Mädchen von Korinth sei. – Die schöne Wirklichkeit und ihr Bild kamen sich unmerklich näher. Man hätte sie zwei Schwestern nennen können, eine Nymphe und eine Najade, die sich in süßem Kuß vereinten. Ihre Lippen berührten sich, das Wasser erzitterte, ein sanfter Wind ging wie ein wollüstiger Hauch durch die Lüfte und schüttete einen rosigen, duftenden Blütenregen auf den Fluß herab, der ihn zum Meere hintrug.
Als sich das junge Mädchen wieder aufgerichtet hatte, blickte sie nach dem Golf hin und blieb einen Augenblick unbeweglich vor Verwunderung. Eine Galeere mit zwei Ruderreihen, mit vergoldetem Kiel und purpurnen Segeln wurde vom Winde, der aus der Richtung von Delos kam, dem Hafen zugetrieben. Obwohl sie noch eine Viertelmeile vom Ufer entfernt war, hörte sie die Matrosen einen Chor zu Ehren des Neptun singen und erkannte deutlich die phrygische Tonart, die den heiligen Gesängen eigen war. Nur klangen die Töne, die, vom Winde zerstreut und geschwächt, bis zu ihr herüberdrangen, weich und wohlgebildet wie die Gesänge der Apollopriesterinnen, nicht rauh wie die Stimmen kalydonischer und kephalonischer Seeleute. Angelockt von dieser Melodie, erhob sich die junge Korintherin, brach einige Zweige von den Orangen- und Oleanderbäumen, um einen zweiten Kranz daraus zu winden, den sie bei ihrer Rückkehr im Tempel der Maigöttin Flora niederlegen wollte; dann ging sie neugierig und auch wieder furchtsam mit langsamen Schritten dem Strande zu, während sie die duftenden Zweige ordnete, die sie am Ufer des Flusses gepflückt hatte. Inzwischen war das Ruderschiff nähergekommen, so daß das junge Mädchen jetzt nicht nur die Stimmen hören, sondern auch die Züge der Sänger unterscheiden konnte. Es war ein Gebet zu Neptun, was sie sangen, und bestand in einer Strophe, die zuerst von dem Vorsänger allein gesungen, dann vom Chor ausgenommen wurde. Die Melodie ahmte in sanft wiegendem Rhythmus die regelmäßigen Bewegungen der Matrosen nach, die rüstig an ihre Ruder griffen und sie dann ins Meer zurücksinken ließen. Der Chorführer schien auch der Herr des Schiffes zu sein; er stand auf dem Vorderteil und begleitete sich mit einer dreisaitigen Kythara, wie sie die Bildhauer der Euterpe, der Göttin des Wohlklanges, in die Hände geben. Zu seinen Füßen kauerte ein Sklave in einem langen asiatischen Gewande, das von beiden Geschlechtern gleichmäßig getragen wurde, so daß das junge Mädchen nicht zu unterscheiden vermochte, ob es ein Mann sei oder eine Frau. Neben ihren Bänken standen die sangesfreudigen Ruderer und schlugen mit ihren Händen den Takt; so dankten sie Neptun für den günstigen Wind, der ihnen diese Ruhe gestaltete.
Dieses Schauspiel, das die Aufmerksamkeit des jungen Mädchens im höchsten Grade fesselte, würde zwei Jahrhunderte früher kaum die Aufmerksamkeit eines Kindes erregt haben, das im Meersande Muscheln suchte. Allein zu dieser Stunde war Korinth nicht mehr, was es zur Zeit Sullas gewesen: die Rivalin und Schwester Athens. Als es im Jahre 608 nach der Gründung Roms von dem Konsul Mummius im Sturm erobert worden, hatten seine Bürger Spießruten laufen müssen, und ihre Frauen und Kinder waren als Sklaven verkauft worden. Die Häuser wurden niedergebrannt, die Mauern zerstört, die Bildwerke nach Rom geschleppt und die Gemälde, für deren eines Attalus eine Million Sesterzien geboten hatte, mußten als Teppiche für die römischen Soldaten dienen, die Polybius, wie er erzählt, eines Tages auf einem Meisterwerke des Aristides Würfel spielen sah. Achtzig Jahre später ließ Julius Cäsar die Mauern wieder aufbauen und entsandte eine römische Kolonie dahin. So gewann die Stadt neues Leben, wenn sie auch noch lange nicht in ihrem früheren Glanze wieder erblüht war. Um ihre Bedeutung zu heben, hatte der römische Prokonsul für den 10. Mai nemeische, isthmische und Dichterspiele angeordnet, bei denen der stärkste Ringkämpfer, der geschickteste Wagenlenker und der kunstreichste Sänger als Sieger gekrönt werden sollten. Aus diesem Grunde strömten seit einigen Tagen Fremde aus allen Nationen der Hauptstadt Griechenlands zu, entweder von der Neugier oder dem Wunsche angelockt, die Preise zu erringen. Dieses bunte Treiben verlieh der Stadt, die von ihren Verlusten an Menschen und Schätzen noch erschöpft war, wenigstens für den Augenblick den Glanz und das Ansehen der vergangenen Tage. Zu Wagen und zu Pferde waren die Gäste herbeigekommen, viele auf gemieteten oder eigens erbauten Fahrzeugen. Aber keiner von allen war auf einem so reichen Schiff in den Hafen eingelaufen, wie dasjenige war, das in diesem Augenblick die Küste berührte, um die sich einst Apollo und Neptun gestritten hatten.
Die Galeere war kaum ans Land gezogen, als die Matrosen eine mit Silber und Erz verzierte Brücke aus Zitronenholz an das Vorderteil legten, und der Sänger, der seine Kythara über die Schulter zurückwarf, schickte sich an, auszusteigen, gestützt auf den Sklaven, der zu seinen Füßen gelegen hatte. Jener war ein schöner, junger Mann von siebenundzwanzig bis achtundzwanzig Jahren, mit blondem Haar, blauen Augen und goldfarbenem Barte. Er trug eine purpurne Tunika, einen blauen, goldbesternten Mantel, und um den Hals hatte er eine Binde geknüpft, deren flatternde Enden bis zu den Hüften herabfielen. Der andre mochte etwa zehn Jahre jünger sein. Er war noch ein Kind, das kaum das Jünglingsalter erreicht hatte. Mit langsamen Schritten und trauriger, leidender Miene ging er einher. Doch hätte die Frische seiner Wangen eine Frau beschämen und die rosige, durchsichtige Haut sich an Feinheit mit der der üppigsten Töchter Athens messen können. Die weiße, rundliche Hand schien durch ihre Form und Zartheit vielmehr dazu bestimmt, die Spindel zu drehen und die Nadel zu führen, als das Schwert und den Wurfspieß zu handhaben, wie es einem Manne und Krieger zukommt. Sein weißes Gewand war mit goldenen Palmetten bestickt und reichte bis über die Kniee hinab. Das Haar wallte lose um die entblößten Schultern, und an seinem Halse hing an goldener Kette ein kleiner in Perlen gefaßter Spiegel.
In dem Augenblick, wo er das Land betreten wollte, hielt ihn sein Begleiter plötzlich zurück. Der Jüngling erbebte.
Was gibt es, mein Gebieter? fragte er mit sanfter, furchtsamer Stimme.
Du wolltest das Ufer mit dem linken Fuße betreten. Durch diese Unvorsichtigkeit hätte uns leicht der Erfolg aller meiner Berechnungen verloren gehen können, durch die