Indiana. Жорж Санд
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Noun stieß einen durchdringenden Schrei aus.
Jetzt hörte man im Park Lelièvres Stimme. »Gut gezielt, Herr Oberst!« rief er. »Der Räuber liegt auf der Erde! …«
Sir Ralph begann nun ebenfalls unruhig zu werden. Er folgte Frau Delmare, und einige Augenblicke nachher brachte man einen blutenden Menschen ins Haus, der kein Lebenszeichen gab.
»Nicht so viel Lärm und Geschrei!« rief der Oberst in einem Tone, der fast lustig klang, seinen erschreckten Dienern zu, welche sich um den verwundeten drängten; »meine Flinte war nur mit Salz geladen. Ich glaube sogar, ich habe ihn nicht einmal getroffen; er ist aus Schreck heruntergefallen.«
»Und dieses Blut,« fragte Frau Delmare vorwurfsvoll, »fließt es auch bloß aus Schreck?« Mit einer Entschlossenheit, die ihr niemand zugetraut hätte, trat sie zu dem verwundeten und leuchtete mit einem Lichte in sein Gesicht. Statt eines Strolches, wie man erwartet hatte, erblickte man einen jungen Mann mit edlen Zügen, sorgfältig, wie zur Jagd gekleidet. Eine Hand war nur leicht verwundet, aber seine zerrissenen Kleider und seine Ohnmacht ließen auf einen schweren Fall schließen.
»Kein Wunder!« sagte Lelièvre, »er ist ja zwanzig Fuß hoch heruntergefallen. Er ritt gerade auf der Mauerkante, als der Oberst auf ihn schoß. Infolge des Schmerzes ließ er los. Ich habe ihn selbst herunterfallen sehen.«
»Wenn dieser Mensch tot ist, so ist es meine Schuld nicht,« sagte der Oberst, »untersuche einmal die Hand, Indiana, und wenn du ein einziges Schrotkorn darin findest …«
»Ich glaube dir gern,« antwortete Indiana, welche mit einer Kaltblütigkeit und einer moralischen Kraft, deren niemand sie für fähig gehalten hätte, aufmerk sam den Puls und die Halsadern untersuchte. »Auch ist er nicht tot,« fügte sie hinzu, »sondern bedarf schleuniger Hilfe.«
Darauf ließ sie den Verwundeten in den Billardsaal bringen, welcher zunächst lag. Auf einige Bänke breitete man eine Matratze aus, und, von ihren Frauen unterstützt, verband Indiana die verwundete Hand, während Sir Ralph, welcher chirurgische Kenntnisse besaß, einen reichlichen Aderlaß vornahm.
Der Oberst war unter dem Hauseingang bei seinen Dienern geblieben. Er war jetzt ganz zahm geworden, wie immer, sobald er seinem Zorn genug getan hatte. Jeder der Diener teilte seine Ansicht, daß es doch höchst verdächtig sei, wenn jemand sich des nachts über die Mauern einschleicht. Der Gärtner zog seinen Herrn leise beiseite und flüsterte ihm zu, der Eindringling sehe aufs Haar einem jungen Gutsbesitzer ähnlich, der erst seit kurzem in der Nachbarschaft wohne, und den er drei Tage vorher bei dem ländlichen Feste von Rubelles mit Fräulein Noun habe sprechen sehen.
Diese Mitteilung gab Herrn Delmares Ideen eine andere Richtung; seine breite, glänzende und kahle Stirn wurde von einer starken Ader durchfurcht, deren Anschwellen stets der Vorläufer eines Sturmes war,
»Teufel!« sagte er zu sich selbst, indem er die Fäuste ballte, »meine Frau zeigt für diesen Gelbschnabel, der sich bei mir über die Mauern einschleicht, eine ganz auffallende Teilnahme. Dahinter muß ich kommen!«
Bleich und zitternd vor Zorn trat er in den Billardsaal.
Drittes Kapitel
»Beruhige dich,« sagte Indiana, »der Mann wird sich in einigen Tagen wieder erholen, wenigstens hoffen wir es, obgleich er die Sprache noch nicht wiedergefunden hat …«
»Darum handelt es sich nicht,« sagte der Oberst mit gepreßter Stimme, »für mich handelt es sich darum, den Namen dieses interessanten Kranken zu erfahren, und mir zu erklären, wie er so zerstreut sein konnte, die Parkmauer mit der Haustür zu verwechseln.«
»Er ist mir gänzlich unbekannt,« antwortete Frau Delmare mit einer so stolzen Kälte, daß ihr furchtbarer Gatte einen Augenblick wie betäubt war. Aber bald kam er wieder auf seinen eifersüchtigen Verdacht zurück und sagte mit gedämpfter Stimme:
»Ich werde es erfahren, Indiana, sei versichert, ich werde es erfahren …«
Frau Delmare tat, als bemerke sie seine Wut nicht. Um vor seinen Dienern nicht loszubrechen, ging der Oberst hinaus und rief den Gärtner.
»Wie nennt sich jener Herr, der unserem Spitzbuben ähnelt, wie du sagst?«
»Herr von Ramière; er hat vor kurzem das kleine englische Haus des Herrn von Cercy gekauft.«
»Was ist er für ein Mensch? Ist er ein Edelmann, ist er hübsch?«
»Sehr schön und ein Edelmann, wie ich glaube …«
»Das konnte ich mir denken!« erwiderte der Oberst mit Nachdruck. »Sag' mir, Louis, hast du diesen Geck niemals hier herumschweifen sehen?«
»Herr Oberst … schon vergangene Nacht …« erwiderte Louis verlegen, »habe ich deutlich einen Mann an den Fenstern der Orangerie gesehen.«
»Und du bist nicht über ihn hergefallen?«
»Herr Oberst, ich wollte es tun, aber da sah ich eine weißgekleidete Dame aus der Orangerie heraustreten und ihm entgegengehen. Vielleicht sind es der Herr Oberst und die gnädige Frau, dachte ich, die vor Tagesanbruch einen Spaziergang machen, und legte mich wieder zu Bette. Aber diesen Morgen hörte ich, daß Lelièvre von einem Diebe sprach, dessen Fußspuren er im Park gesehen haben wollte, und ich sagte mir, dahinter steckt etwas.«
»Ich verstehe, du erlaubst dir, Gedanken zu haben. Du bist ein Einfaltspinsel. Wenn du noch einmal einen solchen unverschämten Gedanken äußerst, so schneide ich dir die Ohren ab. Verstanden!«
Der Oberst trat wieder in das Billardzimmer, und ohne darauf zu achten, daß der Verwundete endlich Zeichen des wiederkehrenden Bewußtseins gab, begann er die Taschen des Rockes zu untersuchen, welcher über einen Stuhl gehängt war. Der Verwundete streckte seinen Arm aus und sagte mit schwacher Stimme:
»Sie wünschen zu wissen, wer ich bin, mein Herr. Ich werde es Ihnen sagen, sobald wir allein sind. Bis dahin ersparen Sie mir die Verlegenheit, in der lächerlichen und unangenehmen Lage, in der ich mich befinde, Ihnen meinen Namen zu nennen.«
»Ich gestehe Ihnen,« antwortete der Oberst scharf, »ich habe sehr wenig Mitleid mit Ihrer Lage. Doch da ich hoffe, daß wir uns bald allein gegenüberstehen werden, so will ich mir das Vergnügen Ihrer näheren Bekanntschaft bis dahin aufsparen. Wollten Sie aber wohl mir unterdessen sagen, wohin ich Sie bringen lassen soll?«
»In das Wirtshaus des nächsten Dorfes, wenn Sie so gütig sein wollen.«
»Aber der Herr ist nicht transportabel,« wandte Indiana lebhaft ein. »Nicht wahr, Ralph?«
»Der Zustand des Herrn beschäftigt dich viel zu sehr,« sagte der Oberst. »Geht hinaus,« wandte er sich an die Diener. »Der Herr befindet sich besser und wird mir jetzt seine Gegenwart in meinem Hause erklären können.«
»Ja, mein Herr,« antwortete der Verwundete, »es wäre mir aber lieber, wenn alle Anwesende mein Geständnis hörten, denn es liegt mir sehr daran, nicht für das zu gelten, was ich nicht bin. Erfahren Sie denn, welcher Anlaß mich zu Ihnen führte: ›Mein Herr, Sie haben durch außerordentlich einfache und nur Ihnen bekannte Mittel eine Maschine konstruiert, welche an Leistungsfähigkeit alle anderen Werke dieser Art in hiesiger Gegend übertrifft. Mein Bruder besitzt im südlichen Frankreich ein ziemlich ähnliches Etablissement, das aber ungeheure Summen verschlingt. Daher entschloß ich mich, Sie um einige gute Ratschläge