Indiana. Жорж Санд
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Nein, man wird ihm recht geben müssen, daß das nicht möglich, daß es nicht edel gewesen wäre, daß er einen solchen Kampf gegen die Gesellschaft nicht aufnehmen konnte.
Als Herr von Ramière alles dies erwogen hatte, sah er ein, daß es besser sei, dieses unglückliche Band zu lösen. Seiner Mutter, die nach Paris zurückgekehrt war, um den Winter dort zuzubringen, konnte dieser kleine Skandal nicht lange verborgen bleiben. Schon wunderte sie sich über seine häufigen Reisen nach Cercy, ihrem Landhause, und es fiel ihr auf, daß er ganze Wochen daselbst zubrachte. Unmöglich konnte er eine so gute Mutter noch länger täuschen und seiner Gegenwart berauben. Er verließ Cercy und kam nicht mehr zurück.
Noun weinte, wartete, und wagte endlich, an ihn zu schreiben. Armes Mädchen! Das war der letzte Todesstoß. Der Brief eines Kammermädchens! Die Zeilen diktierte ihr Herz … aber die Ausdrucksweise, die Orthographie! Ach, das arme, halb wild aufgewachsene Kind der Insel Bourbon wußte nicht einmal, daß es Sprachregeln gebe.
Raymon konnte es nicht über sich gewinnen, den Brief bis zu Ende zu lesen. Er warf ihn schnell ins Feuer, um nicht über sich selbst erröten zu müssen.
In der vornehmen Gesellschaft hatte man die Abwesenheit des Herrn von Ramière bemerkt; das will in jenen Kreisen, wo sich alle gleichen, sehr viel sagen. Raymon war hier gesucht, für ihn hatte diese Menge von gleichgültigen oder spöttischen Larven aufmerksame Blicke und teilnehmendes Lächeln. Er war dankbar für die geringsten Zeichen der Anhänglichkeit, begierig nach der Achtung aller, stolz auf eine große Menge von Freundschaften.
In dieser Welt, deren Vorurteile so unerbittlich sind, hatte ihm alles, selbst seine Fehler, zum Glück gereicht, und wenn er nach der Ursache dieser allgemeinen Veliebtheit forschte, so fand er sie in sich selbst. Er verdankte sie aber auch seiner Mutter, deren ausgezeichneter Geist und fleckenloser Wandel ihr eine große Bedeutung gaben. Von ihr hatte er die trefflichen Grundsätze ererbt, welche ihn stets zum Guten zurückführten und ihn trotz des Ungestüms seiner fünfundzwanzig Jahre in der öffentlichen Achtung erhielten. Man war auch viel nachsichtiger gegen ihn, als gegen andere, weil seine Mutter die Kunst verstand, ihn zu entschuldigen, während sie ihn tadelte, und ihm Nachsicht zu erzwingen, indem sie sich den Schein gab, darum zu bitten.
Bei einem Ball des spanischen Gesandten erschien Raymon zuerst wieder in der Pariser Welt.
»Herr von Ramière, wenn ich nicht irre?« sagte eine hübsche junge Frau zu ihrer Nachbarin.
»Es ist ein Komet, der in ungleichen Zwischenräumen erscheint. Schon lange hat man von diesem jungen Manne nichts gehört.«
Die Dame, welche so sprach, war eine bejahrte Sizilianerin.
»Eine sehr liebenswürdige Erscheinung,« sagte die andere, »nicht wahr, gnädige Frau?«
»Reizend, auf Ehre,« stimmte die alte Sizilianerin bei.
»Ich wette,« bemerkte ein schneidiger Gardeoberst, »Sie sprechen von dem Liebling der auserlesenen Salons, dem braunen Raymon?«
»Es ist ein schöner Studienkopf,« erwiderte die junge Frau.
»Und was Ihnen noch angenehmer sein wird, ein unruhiger Kopf,« erwiderte der Oberst.
Die junge Frau war seine Gattin.
»Warum ein unruhiger Kopf?« fragte die Sizilianerin.
»Ganz südliche Leidenschaften, der schönen Sonne von Palermo würdig, gnädige Frau.«
Zwei oder drei junge Damen bogen ihre liebreizenden, mit Blumen geschmückten Köpfe vor, um die Worte des Oberst zu hören.
»In der Garnison hat er dieses Jahr eine wahrhafte Verheerung angerichtet,« fuhr dieser fort. »Wir werden gezwungen sein, mit ihm Streit zu suchen, um ihn los zu werden.«
»Wenn er den Frauen so gefährlich ist, um so schlimmer,« sagte ein junges Mädchen, dem man die Spottlust ansah, »ich kann die Menschen nicht leiden, die alle Welt liebt.«
»Sprechen Sie nicht so,« erwiderte die Sizilianerin, indem sie dem Fräulein von Nangy mit ihrem Fächer einen leichten Schlag auf die Hand gab. »Sie wissen nicht, was ein Mann, welcher geliebt sein will, hier zu bedeuten hat.«
»Sie glauben also, daß es nur auf das Wollen ankommt?« entgegnete das junge Mädchen mit den großen spöttisch blickenden Augen.
»Mein Fräulein,« sagte der Oberst, der sich ihr näherte, um sie zum Tanz aufzufordern, »sehen Sie sich vor, daß der schöne Raymon Sie nicht hört.«
Fräulein von Nangy lachte; aber den ganzen Abend wagte die liebliche Mädchengruppe, der sie angehörte, nicht mehr von Herrn von Ramière zu sprechen.
Fünftes Kapitel
Herr von Ramière irrte in dem wogenden Gedränge der geschmückten Menge herum.
Beim Wiedereintritt in diese ihm heimische Welt schämte er sich fast über die tolle unziemliche Leidenschaft, die ihn diesen Kreisen so lange entfremdet hatte. Er sah auf die im Glanz der Lichter so reizenden Damen, und alle diese wundervollen Schönheiten, diese fast königlichen Toiletten, diese zierlichen Tournüren schienen ihm über die Herabwürdigung, durch die er sich erniedrigt hatte, stumme Vorwürfe zu machen. Doch wie verhärtet er auch war, die Tränen eines armen betrogenen Mädchens schmerzten ihn.
Die Ehre dieses Abends gehörte einer jungen Dame, deren Namen niemand kannte und die durch die Neuheit ihrer Erscheinung in der großen Welt das Vorrecht genoß, die allgemeine Aufmerksamkeit zu fesseln. Schon die Einfachheit ihres Anzuges hätte hingereicht, sie inmitten der Diamanten, Federn und Blumen, welche die anderen Damen schmückten, hervorzuheben. Perlenreihen in ihr schwarzes Haar geflochten, machten ihren ganzen Schmuck aus. Das matte Weiß ihres Halsbandes, ihr weißes Kreppkleid und ihre bloßen Schultern schienen, von fern gesehen, völlig ineinander zu verschmelzen und kaum hatte die Wärme der Gemächer auf ihre Wangen jenen zarten Hauch von Rot hervorzubringen vermocht, den die mitten im Schnee erblühte bengalische Rose trägt. Sie war sehr klein, sehr zierlich und schlank. Beim Tanz war sie so leicht, daß man glaubte, ein Luftzug müsse hinreichen, sie emporzuheben. Wenn sie saß, sank sie in sich zusammen, als fehle ihrem allzu biegsamen Körper die Kraft, sich aufrechtzuerhalten; und wenn sie sprach, lächelte sie, aber mit einem schwermütigen Blick. Man verglich diese junge Frau mit einem durch Zauberkraft hervorgerufenen entzückenden Phantom, welches mit dem Licht des jungen Morgens wie ein Traumbild zerrinnen müsse.
Während man sie umdrängte, um sie zum Tanz aufzufordern, bemerkte eine Dame, welche in den Gesellschaften die Rolle eines Almanachs spielte: »Diese junge Frau ist die Tochter jenes alten Narrn Carvajal, der in Spanien der Partei Josephs anhing und später auf der Insel Bourbon in zerrütteten Vermögensumständen gestorben ist. Diese schöne exotische Blume ist sehr unglücklich verheiratet worden, aber ihre Tante steht bei Hofe gut angeschrieben.«
Raymon hatte sich der schönen Indierin genähert. Eine seltsame Bewegung bemächtigte sich seiner bei ihrem Anblick; dieses bleiche, schwermütige Antlitz hatte er schon irgendwo gesehen, vielleicht in einem seiner Träume; seine Blicke hefteten sich mit der süßen Wonne auf sie, die man beim Wiedererscheinen eines schmeichelnden Traumgesichtes empfindet, welches man für immer verloren zu haben fürchtete. Er erfuhr endlich, daß diese Dame sich Frau Delmare nannte, und nahte sich