Indiana. Жорж Санд
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Frau Delmare erbebte.
»Ach ja, mein Herr,« sagte sie lebhaft, »ich erkenne Sie wieder.«
Dann errötete sie und schien zu fürchten, gegen die Schicklichkeit verstoßen zu haben. Sie blickte sich um, ob jemand sie gehört habe. Ihre Schüchternheit erhöhte ihre natürliche Anmut, und Raymon fühlte sich von dem Ton dieser Stimme, die ein wenig verschleiert und so sanft war, daß es schien, sie sei nur zum Gebet geschaffen, aufs innigste gerührt.
»Ich fürchtete schon,« sagte er, »niemals Gelegenheit zu finden, Ihnen zu danken. Wie glücklich bin ich, daß mir dieser Augenblick erlaubt, die Schuld meines Herzens abzutragen! …«
»Es wäre mir noch angenehmer,« entgegnete sie, »wenn Herr Delmare seinen Anteil daran haben könnte; wenn Sie ihn näher kennen lernten, würden Sie finden, daß er ebenso gut wie heftig ist. Sie würden ihm verzeihen, daß er Sie unabsichtlich verletzt hat, denn sein Herz hat gewiß mehr geblutet als Ihre Wunde.«
»Sprechen wir nicht von Herrn Delmare, gnädige Frau. Ich war im Unrecht gegen ihn und er nahm sich selbst sein Recht; ich kann es nur vergessen, aber Ihnen, Madame, die Sie mir Ihre zarte Sorge zu teil werden ließen, werde ich diesen Edelmut Zeit meines Lebens nie vergessen, und noch weniger werden Ihre engelreinen Züge, Ihre himmlische Sanftmut und diese barmherzigen Hände, welche Balsam auf meine Wunde träufelten und die ich nicht küssen konnte, aus meiner Erinnerung weichen.«
Während Raymond dies sagte, hatte er Indianas Hand erfaßt, um mit ihr zum Kontretanz anzutreten. Er drückte diese Hand sanft in der seinigen und alles Blut der jungen Frau strömte nach ihrem Herzen.
Als er sie zu ihrem Sitz zurückführte, begann sich die Ballgesellschaft zu lichten. Raymon setzte sich neben sie. Er besaß jene Unbefangenheit des Benehmens, welche eine gewisse Erfahrung des Herzens gibt. Doch bei dieser einfachen Frau fühlte er sich befangener, als er es je gewesen war. Trotzdem gab die erlangte Übung seinen Worten jene überzeugende Kraft, welcher sich die unerfahrene Indiana hingab, ohne zu wissen, daß das alles nicht erst für sie erfunden worden war.
Im allgemeinen, und die Frauen wissen das recht gut, ist ein Mann, welcher geistreich von Liebe spricht, nur sehr wenig verliebt. Raymon machte in diesem Falle eine Ausnahme; er drückte seine Leidenschaft mit Kunst aus und fühlte sie warm, nur war es nicht Leidenschaft, welche ihn beredt machte, sondern die Beredtsamkeit machte ihn leidenschaftlich. Er kannte Frauen, die scharfblickend genug waren, um solchen heftigen Ergüssen zu mißtrauen; aber Raymon hatte aus Liebe sogenannte Torheiten begangen; er hatte ein junges, wohlerzogenes Mädchen entführt, sehr hochgestellte Frauen kompromittiert und drei aufsehenerregende Duelle gehabt. Ein Mann, der das alles wagen darf, ohne lächerlich oder verabscheut zu werden, steht über jeden Angriff erhaben und ist in der vornehmen Welt ein ziemlich seltenes Wunder, das die Frauen nicht mit Verachtung strafen.
Als Raymon Frau Delmare und ihre Tante, Frau von Carvajal, zu ihrem Wagen führte, gelang es ihm, Indianas kleine Hand an seine Lippen zu drücken. Nie hatte der verstohlene und glühende Kuß eines Mannes die Hand dieser Frau berührt, obgleich sie unter einem heißen Klima geboren und neunzehn Jahre alt war; neunzehn Jahre der Insel Bourbon bedeuten fünfundzwanzig unter unserer milderen Sonne. Der nervösen jungen Frau hätte dieser Kuß fast einen lauten Schrei entlockt. Man mußte sie beim Einsteigen in den Wagen unterstützen. Eine solche Feinheit der Organisation war Raymon noch nicht vorgekommen.
»Wenn ich sie noch einmal sehe,« gestand er sich auf dem Heimwege, »würde ich den Kopf verlieren.«
Am folgenden Tage hatte er Noun vollständig vergessen; alles, was er noch von ihr wußte, war, daß sie Frau Delmare angehöre. Die bleiche Indiana beschäftigte alle seine Gedanken, wenn Raymon fühlte, daß er verliebt wurde, pflegte er sich zu betäuben, nicht um die keimende Leidenschaft zu ersticken, sondern im Gegenteil, um die Vernunft zum Schweigen zu bringen, welche ihn ermahnte, die Folgen zu bedenken.
Schon am folgenden Tage hatte er ausfindig gemacht, daß Herr Delmare in Geschäftsangelegenheiten nach Brüssel gereist war. Bei seiner Abreise hatte er seine Gattin Frau von Carvajal anvertraut, die ihm wenig sympathisch, aber Indianas einzige Verwandte war. Im Glücksspiel des Krieges emporgekommen, entstammte Delmare einer armen unbekannten Familie, deren er sich zu schämen schien, wenigstens fühlte er, daß er seiner Frau nicht zumuten dürfe, mit seinen ungebildeten Verwandten sich auf einen vertrauteren Fuß zu stellen. Trotz seiner Abneigung gegen Frau von Carvajal konnte er nicht umhin, ihr große Achtung zu beweisen.
Frau von Carvajal, einer vornehmen spanischen Familie angehörig, war eine jener Frauen, welche um keinen Preis unbedeutend sein wollen. Zur Zeit, als Napoleon Europa beherrschte, hatte sie den Kaiser vergöttert und mit ihrem Gatten und Schwager die Partei der Josephinos ergriffen, aber ihr Gatte hatte bei dem Fall der kurzlebigen Dynastie des Eroberers sein Leben eingebüßt, und der Vater Indianas war in die französischen Kolonien geflüchtet. Darauf begab sich Frau von Carvajal nach Paris, wo sie durch Börsenspekulationen mit den Trümmern ihres früheren Glanzes sich einen neuen Wohlstand geschaffen hatte. Durch Geist, Intriguen und äußerliche Frömmigkeit hatte sie sich noch überdies in die Gunst des Hofes zu setzen gewußt, so daß ihr Haus eines der angesehensten war.
Als Indiana nach ihres Vaters Tode nach Frankreich kam, als die Gattin des Oberst Delmare, fühlte sich Frau von Carvajal durch eine so wenig glänzende Verbindung nicht sehr geschmeichelt. Doch Delmares Tätigkeit und richtiger Blick in Geschäften wog ein Vermögen auf. Frau von Carvajal erwarb für Indiana das kleine Schloß Lagny und die daranstoßende Fabrik. Dank den speziellen Kenntnissen des Herrn Delmare und den Geldsummen, welche Sir Ralph Brown, der Cousin seiner Frau, vorstreckte, nahmen in zwei Jahren die Geschäfte des Obersten eine glückliche Wendung und Frau von Carvajal, in deren Augen Vermögen die beste Empfehlung war, zeigte ihrer Nichte vielen Anteil und versprach ihr den Rest ihrer Hinterlassenschaft. In Bezug auf Politik bestanden zwischen dem Oberst und Frau von Carvajal große Meinungsverschiedenheiten. Der Ruhm seines großen Kaisers war ihm unantastbar, er verteidigte ihn mit blinder Hartnäckigkeit und mußte sich daher viel Gewalt antun, um in dem Salon der Frau von Carvajal, wo man nur noch die Restauration pries, nicht beständig in Streit zu geraten.
Von allen diesen Verhältnissen hatte sich Herr von Ramière binnen wenigen Tagen Kenntnis verschafft. Auch erfuhr er, daß er Indiana sehen könne, wenn er sich unter die Protektion der Frau von Carvajal begab, und am Abend des dritten Tages stellte er sich bei ihr vor. Indiana füllte geduldig auf dem Stickrahmen ihrer Tante den Grund einer Tapisseriearbeit aus. Sie war in diese mechanische Beschäftigung ganz versunken und überhörte die Stimme des Dieners, welcher einen Besuch anmeldete. Kaum erhob sie die Augen von ihrer Stickerei, als sie sich wie von einem elektrischen Schlage getroffen fühlte, und sich an ihrem Arbeitstische festhalten mußte, um nicht umzusinken.
Sechstes Kapitel
Es waren vier oder fünf ehrwürdig aussehende Damen anwesend, welche Raymon in diesem Salon nicht erwartet hatte. Es war unmöglich, ein Wort zu sprechen, das nicht in allen Winkeln des Gemaches gehört wurde. Diese alten Betschwestern, welche Karten spielten, schienen nur da zu sein, um die Gespräche der jungen Leute unter ihre Zensur zu stellen, und in ihren strengen Zügen glaubte Raymon die geheime Freude des Alters zu lesen, welches eine Genugtuung darin findet, die Jugend in ihrem Vergnügen zu verkümmern. Raymon hatte auf eine vertraulichere Unterhaltung gerechnet, als der Ball erlaubte, und fand das Gegenteil. Diese unverhoffte Schwierigkeit gab jedoch seinen Blicken höheres Feuer, den einzelnen Fragen, die er an Frau Delmare richtete, größere Innigkeit. Das arme Kind war auf einen solchen Angriff gar nicht vorbereitet. Ihre Verlegenheit wurde durch Raymons Kühnheit vermehrt. Frau von Carvajal, welche den Geist des Herrn von Ramière hatte rühmen hören, verließ ihr Spiel, um mit ihm ein lebhaftes Gespräch über die Liebe anzuknüpfen,