Vineta. Oskar Loerke

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Vineta - Oskar Loerke

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das Dämmerlicht! Und o! die vielen weichen Kissen im schmalen Zimmer! Die hatte sie gern. Sie fühlte sich ohne Sträuben müder und heimatlicher. Einen Augenblick hätte sie in ein Kissen zurücksinken mögen mit der Geste des Absterbens. Wie im Halbschlaf erzählte sie nun ihr großes Erlebnis, und die Silben trugen eine herbe Süße. Sie schienen ein langer Gesang und waren doch nur ein Satz.

      Die Eltern atmeten froh auf, sie so ruhig zu finden. Hermine bebte darüber.

      Die Eltern trösteten sie, bedauerten die Tote und sagten etwas zu deren Lob in mehr kümmerlichen als bekümmerten Worten.

      Da begannen Hermines müde Schmerzen ein wildes Toben und Branden. Ihr war, als müsse eine weiße Kapelle um sie werden, und sie müsse knien und beten: ich bin klein, mein Herz ist rein, niemand darf drin wohnen als mein liebes Jesulein. Sie schüttelte wiederholt zu dem Preise ihrer Freundin den Kopf. Wenn nicht alles getreu und wahr gewesen wäre, hätte sie nein! gerufen. So schüttelte sie nur den Kopf.

      Das taten die beiden anderen zum Ausdruck ihrer Überraschung auch mehr als einmal. Sie wußten nicht, wie es in Hermine aussah.

      Hermine befand sich in einem hilflosen Zustand, als träte sie in dieses Haus und zu diesen Leuten zum erstenmal, und doch stand sie mit mildem Stolz und Scham wie eine Königin, die als Sklavin mit Eisenketten und Kugeln um die Hand und den weißen Fuß belastet ist.

      Dagott sagte nach einer Weile des Schweigens: „Dann wird es ja morgen aus unserem Jagdvergnügen nichts werden. Herr Pfeiffer wird doch nicht kommen. Die anderen werde ich als Freund des Ärmsten natürlich zurückschicken.“ Er schüttelte wieder mit dem Kopf.

      Hermine drückte krampfhaft ihre kalten Zehen gegen die Schuhsohlen, blähte die Nasenflügel und konnte nicht anders als alle Verachtung gegen ihn in den Wunsch sammeln: Möchte er sich doch hinlegen! Das hat er verdient! Zu bitterem Lächeln hob und senkte sich ihre Brust ganz schnell, und durch den halb offenen Mund kam es: h! – h!

      Dagott warf einen Blick durchs Fenster, zog sich etwas am Bart und sagte beruhigt: „Es bewölkt sich. Vielleicht regnet’s.“ Dann legte er sich wirklich hin.

      Hermine stöhnte kurz.

      Die Mutter forderte sie auf, sich zu setzen. Sie ging in die größere Stube hinüber, deren Tür der Bequemlichkeit und des besseren Lichtes wegen ausgehoben war, schüttete die Schiffe gehäuft an einen Sessel und setzte sich in den Sammt. Manchmal strich sie mit den Füßen langsam über das leisen Lauts sich verrückende Spielzeug hin. Sie saß lauschend im Dunkeln, als wartete sie auf etwas.

      Nach einer Ewigkeit hatte ihre Mutter die Arbeit vollendet und sagte halblaut zu ihrem Manne, sie müsse die Kuchen noch zum Ofen besorgen; er möge Ruth, falls sie erwache, ein wenig wiegen. Es war Hermine unangenehm, daß die Mutter ging, aber sie atmete auf.

      Dann brütete sie lange. Erst durch das Geschrei Ruths wurde sie aufgescheucht. Sie hörte minutenlang unbewegt zu, wie ein Ton sägte und noch einer und noch einer. Nun vernahm sie auch lautes Schnarchen. Dagott schlief! Sie erinnerte sich, daß es schon lange so gerauscht hätte. Darüber ergriff sie eine unsägliche Furcht. Sie wollte schreien: „Wach’ doch auf! Tot! – Tot! – Tot!“ Sie zitterte, die Stimme versagte, und verstärkt kam die Furcht. Erst jetzt beweinte sie die Freundin. Sie preßte die Hände auf das Gesicht. Die Zwischenräume der Finger näßten sich, so daß sie noch am nächsten Morgen vertrocknete Rinnsale bemerkte und die Erinnerung daran nie mehr vergaß, solange sie auf die Hände schauen konnte. – Sie beruhigte sich, Ruth schrie noch. Sie ging aber nicht zur Wiege. Durfte sie? Sie mußte hier doch in die Nacht hinaus sitzen. Es war etwas als notwendig Erwartetes ausgeblieben; sie fragte danach ohne Sinn und Wort und weinte leise weiter.

      Die Mutter kam wieder und beruhigte das schreiende Kind, nachdem sie, von der Trauerbotschaft noch mild bewegt, auf ihren Mann einen liebevoll Verzeihenden Blick geworfen hatte, der im Kerzenscheine leuchtete wie Gold. Hermine wurde durch diesen Blick ganz aus ihrem Weinen gebracht. Die Luft, die sie eben einsog, mußte auf ihrem Wege noch dreimal schluchzen; dann war sie still.

      Sie ließ sich willig die Treppe hinan geleiten und aß, sobald sie allein war, was ihr die Mutter vorher in das Zimmer getragen. Das Kindermädchen schlief. Sie trat an das Bett der Schlummernden. Den Hirschleuchter, den die Mutter auf den Tisch gesetzt, sollte sie löschen. Aber sie wartete im Hemd, bis die Flamme an ihrem nackten Dochte zu zucken begann und ihn immer wieder wie in Furcht vor dem Hungertode beleckte. Noch einmal – noch einmal. Ha, die Schatten schwebten schon dicht und breit auf und ab. Nun wurde Hermine auf die Morgensterne, Schwerter, Hakenbüchsen und Keulen an den Wänden aufmerksam. – Zwei Mädchen hatten daraus prächtige Pyramiden errichtet und waren im Ringelreihen herum getanzt, jetzt drohten sie so grausig. Die Flamme ging aus, der Hirsch spie lautlos einen weißen Rauch steil in die Höhe. Auch die Waffen blieben im Nachglimmen des Dochtes noch sichtbar: durch sie wurde Hermines heiße Trauer noch einmal eisig angetastet.

      Zwei verlassene, kalte, kleine Kinderhände krallten sich in das Bett und zogen es auf den frierenden Körper.

      Es waren doch noch Kinderhände.

      Drittes Kapitel

      Als die ersten blauen Lichter in das Zimmer sinterten, war Hermine wach. Die Wände traten deutlich auseinander. Schon wurde die hellgrüne Farbe der Tapete sichtbar mit den schwarzen Ranken, und auch die hinein gezeichneten feuerroten Quadrate tanzten noch immer mit einer ihrer Ecken gleichsam auf der Nase, eine Reihe über der anderen. Zwei Fenster schauten blöde nach der Straße hinaus, zwei nach dem Garten. Unbehaglich waren die Dielen anzusehen, deren unendlich lange Ritzen unter den Bettstellen hervorgelaufen kamen und an der gegenüberliegenden Wand verschwanden. Der Hausrat genügte nicht, die breite Leere zu füllen.

      Hermine wußte nicht, was sie beginnen sollte. Das Kindermädchen zu ihren Füßen schlief noch. Sollte sie aufstehen? Wohin dann? Sie sprang aus dem Bette und bekam eine Gänsehaut. Sie trat ans Fenster und legte sich wieder sogleich.

      Der bläuliche Schimmer hier drinnen war eine Täuschung gewesen und nun verschwunden. Draußen zogen fahle Wolken vorüber, in deren zerrissenen Klunkern ihren verklebten Augen hin und wieder Sterne zu sitzen schienen gleich kleinen silbernen Kletten.

      Wohl eine Stunde verging. Das Kindermädchen wurde wach und kleidete sich an. Hermine suchte immer den Atem anzuhalten, bis es hinaus war. Dann wartete sie noch lange auf die steigende Helle, doch blieb das Licht mottenfarb. Ein Regentropfen klopfte ans Glas, und binnen kurzem schlängelte es sich auf den Scheiben wie von dünnen weißen Aalen.

      Hermine hob auf einem Beine das Deckbett hoch in die Schwebe, bekam wiederum eine Gänsehaut, drückte die Arme dicht an den warmen Körper und warf das Bett ganz hinaus. Das Regnen hörte auf, noch unfreundlichere Helle trat ein. Grelerts Tauben flogen wohl an den Fenstern vorüber, denn ein paar schwarze Blitze huschten über ihr Hemd. „Ja, ja, Totengräber, nun komme ich doch,“ sagte sie gedankenlos und zog mit dem Finger auf dem Laken Kreise und Halbmonde, wie sie die Mutter gestern abend ausgeschnitten hatte.

      Die Kirchturmuhr schlug zehn. Das Blut schoß Hermine in den Kopf darüber, daß sie nicht aufhören wollte zu schlagen. Möchte doch nur die Mutter nicht herauf kommen, dachte sie, stellte sich die Jagdgesellschaft vor, die gewiß jetzt unten beisammen wäre und praßte, und wurde glühend aufgeregt trotz unbestimmter Leere in sich, blieb aber dennoch im Bette. Als es dann wieder regnete und zwar noch heftiger als vorhin, kleidete sie sich an.

      Sollte sie in das Schlafzimmer oder in das große zu den vielen Leuten treten? Sie war schon ganz ruhig und wollte nur ihr Frühstück verzehren. Ein unbestimmtes Suchen, etwas wie die Witterung nach Modergeruch zog sie in die Gesellschaft hinein.

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