I. Man riß den Grafen aus den Armen meiner Mutter und schleppte ihn fort, ohne der armen Frau zu sagen, was man mit ihrem Gatten vornehmen wolle oder wohin man ihn führe. Es vergingen acht Tage, in welchen die Gräfin trotz allen ihren Bemühungen nichts von dem Schicksale ihres Gatten erfahren konnte. Maraviglia war unermeßlich reich, wußte man, seine Frau konnte seine Freiheit mit großen Summen erkaufen. In einer Nacht klopfte ein Mann an die Thür des Palastes meiner Mutter man öffnete ihm und er verlangte, ohne Zeugen mit der Gräfin zu sprechen. Unter den Umständen, in welchen sie sich befand, war alles wichtig. Meine Mutter hatte durch ihre Freunde, die Franzosen, in der Stadt bekannt machen lassen, sie werde dem fünfhundert Ducaten zahlen, welcher ihr mit Bestimmtheit sage, wo ihr Gatte sey. Wahrscheinlich kam also der Mann, der ohne Zeugen mit ihr sprechen wollte, um ihr Nachricht von dem Grafen zu geben, und wollte vor Verrath sicher seyn. Sie irrte sich auch nicht. Der Mann war einer der Gefängnißwärter der Citadelle von Mailand, und er sagte ihr nicht nur, wo mein Vater war, sondern brachte ihr sogar einen Brief von ihm. Als meine Mutter die Handschrift erkannte, zahlte sie dem Manne die fünfhundert Dukaten aus. Der Brief meines Vaters meldete seine Verhaftung, äußerte aber keine besonderen Besorgnisse. Meine Mutter antwortete, mein Vater möge über sie verfügen, ihr Leben und Vermögen stünden bereit. Es vergingen wieder fünf Tage. Da klopfte in der Nacht derselbe Mann; man öffnete ihm und er wurde sogleich zu meiner Mutter, geführt. Die Lage des Gefangenen hatte sich verschlimmert: er war in ein anderes Gefängniß gebracht worden; sein Leben stand in Gefahr, wie der Mann sagte. Wollte er der Gräfin eine hohe Summe ablocken oder sagte er die Wahrheit? Nur Eines von Beiden konnte wahr seyn. Die Furcht siegte in dem Herzen meiner Mutter und der Mann sprach so ehrlich. Sie gab ihm noch einmal die Summe wie das erste Mal und sagte ihm, er möge darüber nachdenken, wie der Graf entfliehen könne. Der Fluchtplan wurde entworfen, der Mann erhielt fünftausend Ducaten baar und sobald der Graf frei sey, sollte er noch zwanzigtausend erhalten. Der Mann versprach über Alles reiflich nachzudenken. Die Gräfin erkundigte sich selbst wie die Sache stünde; sie hatte Freunde in der Umgebung des Herzogs und so erfuhr sie, daß die Umstände noch schlimmer wären, als der Kerkermeister gesagt hatte. Es sollte dem Grafen der Prozeß als Spion gemacht werden. So wartete sie denn ungeduldig auf den Besuch des Mannes aus dem Gefängnisse; sie kannte dessen Namen nicht einmal und würde sie nicht den Mann und sich selbst ins Unglück gestürzt haben, wenn sie seinen Namen gekannt und ihn zu sich beschieden hätte? Etwas beruhigte sie einigermaßen, der Prozeß nemlich, von dem die Rede war. Wessen konnte man meinen Vater anklagend. Des Todes der beiden Mailänder? Das war eine Sache zwischen den Dienern und den Bauern, mit welcher ein Edelmann, ein Gesandter nichts zu schaffen hatte. Einige Stimmen sagten freilich leise, es würde gar nicht zu einem Prozesse kommen und das waren gewiß die beunruhigendsten, denn sie gaben zugleich zu verstehen, daß der Graf trotzdem verurtheilt werden würde. In einer Nacht endlich hörte meine Mutter an die Thür pochen; sie kannte bereits die Art wie der nächtliche Besucher klopfte, und sie erwartete ihn an der Schwelle ihres Schlafzimmers. Er redete sie noch geheimnißvoller als gewöhnlich an; er hatte, wie er sagte, ein Mittel zur Flucht gefunden und schlug es der Gräfin vor. Das Mittel bestand in Folgendem: der Kerker des Gefangenen wurde von der Wohnung des Schließers durch einen andern Kerker getrennt, welcher auf eine eiserne Thür stieß. Der Schließer hatte den Schlüssel zu diesem zweiten Kerker wie zu dem ersten. Er schlug also vor, die Mauer seiner Stube hinter dem Bette zu durchbrechen und zwar an einer Stelle, welche allen Blicken verborgen bleiben könnte. Aus dieser Oeffnung gelange man in den leeren Kerker und aus diesem zu den des Grafen. Nachdem dem Grafen die Ketten abgenommen worden, gehe er aus seinem Kerker in den leeren und aus diesem in die Stube des Schließers. Hier würde er eine Strickleiter finden und auf derselben in den Graben, an der dunkelsten und einsamsten Stelle hinuntersteigen; hundert Schritte von der Mauer erwarte den Grafen ein Wagen und bringe ihn so rasch als möglich aus den Staaten des Herzogs. Der Plan war gut: die Gräfin nahm ihn an, nur fürchtete sie, daß man sich in Bezug auf den Grafen täusche, daß man ihr sage, er sey gerettet und doch in der Gefangenschaft bleibe; sie verlangte deshalb bei der Flucht zugegen seyn zu dürfen. Der Schließer hielt ihr entgegen wie schwierig es sey, sie in die Feste hineinzubringen, aber die Gräfin hob diese Schwierigkeit mit einem Worte. Sie hatte für sich und ihre Tochter die Erlaubniß erlangt, ihren Mann zu besuchen und von derselben noch keinen Gebrauch gemacht. An dem für die Flucht bestimmten Tage also wollte sie gegen Abend in die Feste gehen und den Grafen sehen, dann aber nicht die Feste verlassen, sondern in die Stube des Schließers gehen, hier auf den Augenblick der Flucht warten und dem Schließer, der mit dem Grafen fliehen sollte, den Rest der verabredeten Summe übergeben. Der Wagen, welcher warten sollte, sollte hunderttausend Ducaten enthalten. Der Schließer meinte es mit seinen Anerbietungen ehrlich. Die Flucht sollte in der zweitnächsten Nacht stattfinden. Ehe der Schließer die Gräfin verließ, erhielt er fünftausend Ducaten und bezeichnete die Stelle, wo der Wagen halten sollte. Die Ueberwachung des Wagens übertrug die Gräfin einem Diener, einem Manne von erprobter Treue. Aber verzeiht,« unterbrach sich der Erzählende, »ich vergesse, daß ich mit einem Fremden spreche, und daß diese Einzelheiten für ihn gleichgültig sind.«
»Darin irrt Ihr Euch,« entgegnete Emanuel, »ich wünsche vielmehr, daß Ihr mir Alles so ausführlich erzählt, als es Euch euer Gedächtniß erlaubt.«
Odoardo fuhr fort:
»Die beiden Tage vergingen in der ängstlichen Aufregung, welche der Ausführung eines wichtigen Unternehmens immer vorausgeht; nur etwas beruhigte die Gräfin: das Interesse, welches der Schließer selbst bei dem Gelingen der Flucht hatte. Hundert Jahre Treue gaben dem Manne nicht, was ihm eine Viertelstunde Verrath einbrachte. Zehnmal fragte sich die Gräfin, warum sie so langer gezögert und die Flucht erst auf achtundvierzig Stunden bestimmt habe. Es war ihr als vergingen die letzten vierundzwanzig Stunden nie, als führten sie in ihrem Verlaufe irgend eine Katastrophe herbei, nach welcher der Plan scheitere… Die Zeit verging indessen in dem Laufe, der ihr zugemessen ist, und endlich kam die Stunde, in welcher die Gräfin sich in das Gefängniß begeben sollte. Im Beiseyn der Gräfin wurden alle für die Flucht des Grafen erforderlichen Gegenstände in den Wagen gebracht, so daß derselbe nirgends anzuhalten brauche. Zwei Pferde waren bereits über Pavia gebracht worden, so daß man dreißig Stunden ohne Aufenthalt zurücklegen konnte. Um elf Uhr sollte der Wagen angespannt werden, um zwölf Uhr an der bezeichneten Stelle halten. Nachdem der Flüchtige der Gefahr entgangen, sollte er der Gräfin Anzeige machen, und sie wollte zu ihm kommen. Die Stunde schlug. Die Gräfin nahm ihre kleine Tochter an der Hand und ging nach dem Gefängnisse; unterwegs überfiel sie Angst, sie dachte nemlich erst jetzt daran, ob die Erlaubniß ihren Mann zu besuchen, noch gültig seyn werde, da sie bereits vor acht Tagen ausgestellt worden. Aber man ließ sie, ohne Schwierigkeit zu dem Gefangenen.
»Man hatte ihr nicht zu viel gesagt und nach der Art, wie man einen Mann von seinem Range behandeln, ließ sich nicht zweifeln, welches Schicksal ihn erwarte. Der Gesandte des Königs von Frankreich hatte eine Kette am Fuße wie ein gemeiner Verbrecher. Das Wiedersehen würde ein sehr schmerzliches gewesen seyn, wenn nicht die Flucht so nahe bevorgestanden. In dieser Unterredung wurde alles festgesetzt, was er wußte, was er zu erwarten hatte, denn der Kaiser hatte ganz bestimmt seinen Tod verlangt.«
Emanuel Philibert machte eine Bewegung.
»Wißt Ihr gewiß, was Ihr da sagt?« fragte er streng, »es ist das eine schwere Anklage, die Ihr gegen einen so großen Fürsten, wie der Kaiser Carl V. ist, richtet.«
»Befehlt Ihr, daß ich aufhöre oder weiter fortfahre?«
»Fahrt fort; aber warum antwortet Ihr nicht erst auf meine Frage?«
»Weil der Verlauf meiner Erzählung die Antwort überflüssig machen wird.«
»So erzählt weiter,« sagte Emanuel Philibert.
Zweiter Theil
I.
Was in der Nacht vom 14. zum 15. November 1534 in einem Kerker der Feste von Mailand vorging