Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt
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Читать онлайн книгу Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie Marlitt страница 8
Die junge Dame reichte ihm die Hand und trat sofort in das Haus. Die schwere Bohlentür fiel rasselnd, mit gellendem Geklingel hinter ihr zu, und der Lärm hallte von allen vier Wänden des weiten Flurs zurück. … Unter den Füßen der Eingetretenen schütterte der Boden sehr stark. Das Tosen und Stampfen des Mahlwerkes dröhnte dumpf durch die kleine, klaffende Tür im gewölbten Steinbogen, und der Duft des frisch zermalmten Kornes füllte kräftig durchdringend die Luft. In tiefen Zügen sog ihn das junge Mädchen ein – eine ganze Flut von Erinnerungen überwältigte sie; sie wurde blass vor innerer Bewegung und blieb mit gefalteten Händen einen Augenblick stehen. Ja, sie war um alles gern in der alten Mühle »herumgekrochen«, wie die Präsidentin von ihr sagte, und der Papa hatte ihr oft genug den Mehlstaub von Zöpfen und Kleidern geklopft – er hatte sie lächelnd »sein weißes Müllermäuschen« genannt. Der finstere Mann, ihr Großvater, der meist von dort oben, über das Treppengeländer hinweg, mürrisch, mit herrisch polternder Stimme seine Befehle herabgerufen, er hatte sie nie geliebt. Sie war fast immer vor seinem feindseligen Blicke in Susens blanke Küche oder zu Franz geflüchtet, und doch dachte sie mit bitterer Wehmut seiner und wünschte, er möge wieder da herabsteigen mit den wuchtigen Tritten, unter denen die Treppenstufen geächzt; vielleicht fürchtete sie sich nicht mehr vor dem Gesichte, das, wie sie nun wusste, hauptsächlich Geldstolz und Protzentum so abstoßend gemacht hatten; vielleicht wäre er jetzt auch milder und zugänglicher, weil sie der Großmutter ähnlich geworden.
Sie fand die Tür der Eckstube droben verschlossen, aber aus dem schmalen Gange, der das Hintergebäude mit dem Vorderhause verband, scholl Susens weinerlich klagende Stimme. Ach ja, dort war die Schlafkammer der alten Jungfer, das dunkle Stübchen mit den runden, in Blei gefassten Fensterscheiben und der Aussicht auf das graue Schindeldach eines Holzschuppens und das niemals trocknende Pflaster des Seitenhöfchens. Sie schüttelte unwillig den Kopf und betrat den Gang.
Eine heiße, dumpfe, mit Rauch erfüllte Krankenluft schlug ihr beim Öffnen der Tür entgegen, und dort in dem hässlichen Zwielicht, welches das erblindete, fahlgrüne Fensterglas verbreitete, stand ein Mann, mit dem Rücken ihr zugewandt. Er war sehr groß – er überragte sie offenbar um ein Bedeutendes – und breit von Schultern. Jedenfalls war er im Begriffe, zu gehen, denn er hielt Hut und Stock in der Hand… Ah, das war also Doktor Bruck, von welchem Schwager Moritz vor acht Monaten, bei Gelegenheit der Verlobungsanzeige geschrieben hatte, dass er ihre schöne Schwester Flora schon als Gymnasiast heimlich geliebt, selbstverständlich aber damals nicht gewagt habe, zu dem geistreichen, hochgefeierten Mädchen emporzusehen, und nun sei er doch am schwererkämpften und errungenen Ziel – das war er also. Sie hatte seitdem die Verlobung eigentlich wieder vergessen, und auch während ihrer Herreise war ihr nicht ein einziges Mal eingefallen, dass sie ja ein Glied der Familie mehr vorfinden würde.
Hatte das Seidenkleid der jungen Dame gerauscht – die angelehnte Tür hatte sich vollkommen geräuschlos in ihren Angeln gedreht – oder wehte ein reinerer Luftstrom mit ihr herein, die in der Tat so frühlingsfrisch auf die Schwelle trat, als gehe der Veilchenhauch, den man bereits in den letzten Märztagen zu spüren meint, von ihr aus – der Arzt drehte sich rasch um.
»Doktor Bruck? Ich bin Käthe Mangold«, sagte sie, sich kurz und flüchtig vorstellend; dabei ging sie rasch an ihm vorüber und streckte Suse, die, in Bettkissen gepackt, zusammengekrümmt auf einem Lehnstuhle hockte, beide Hände entgegen.
Die Alte starrte sie mit blöden Augen an.
»Ich komme da herein, wie vom Himmel geschneit, nicht wahr, Suse? Aber gerade zur rechten Zeit, wie ich sehe«, sagte sie und strich der Kranken die unordentlich um die Stirn hängenden greisen Haare unter die Nachthaube. »Wie kömmt es, dass ich Dich hier finde, in dieser elenden Hinterstube? Der Ofen raucht, und bei aller Glut, die er ausströmt, sitzen die Moderspuren an den Wänden. Hat man Dir nicht gesagt, dass Du in der Eckstube wohnen und im Alkoven schlafen sollst?«
»Ja wohl, das hat der Herr Kommerzienrat gesagt, aber es müsste doch da bei mir rappeln«, sie tippte mit dem Zeigefinger auf die Stirn, »wenn ich mich mutterseelenallein in die gute Eckstube setzen wollte, wie eine Gnädige, oder gar wie die selige Schlossmüllern selber.«
Die junge Dame verbiss ein schalkhaftes Lächeln. »Aber, Suse, hattest Du nicht auch beim Großpapa das Recht, Dich in der Wohnstube aufzuhalten? Im Fenster stand Dein Spinnrad – ich habe Dir’s oft genug in Unordnung gebracht – und auf der Kommode Dein Nähkästchen… Ist ein Zimmerwechsel zulässig, Herr Doktor?« wandte sie sich ohne Weiteres an den Arzt.
»Dringend nötig sogar, aber ich bin bisher auf einen entschiedenen Widerstand der Kranken gestoßen«, versetzte er achselzuckend. Er hatte eine sonore und doch sanfte Stimme, die in diesem Augenblicke jenen moderierten Klang nicht verkennen ließ, den man dem Leiden gegenüber so leicht annimmt.
»Nun, dann wollen wir aber auch keinen Augenblick verlieren«, sagte Käthe. Sie nahm das Pelzbarett ab, legte es auf Susens Bett und zog die Handschuhe aus.
»Nicht um die Welt bringen Sie mich ’nüber«, protestierte die Haushälterin. »Fräulein Käthchen, tun Sie mir das nicht an!« bat sie weinerlich. »Die Stube ist mein Augapfel; ich putze und blinke alle Tage drin auf, seit mir der Herr Kommerzienrat gesagt hat, dass Sie kommen wollten. Erst vorgestern habe ich neue Vorhänge drin aufstecken lassen.«
»Nun gut, so bleibe! Ich hatte mir vorgenommen, wie in meiner Kindheit, nachmittags den Kaffee in der Mühle zu trinken. Wenn Du aber so eigensinnig bist, dann komme ich gar nicht; darauf kannst Du Dich verlassen. Ich bleibe ohnehin nur vier Wochen in M. – und dann magst Du Deine ›aufgeblinkte‹ Stube mit den geschonten Gardinen präsentieren, wem Du Lust hast.«
Das half. In Gesicht und Haltung des jungen Mädchens lag so viel strafender Ernst, so viel Entschiedenheit, dass man sofort sah, sie habe nicht zum ersten Mal mit einer widerspenstigen Kranken zu tun.
Suse zog aufseufzend den Stubenschlüssel unter ihrem Kopfkissen hervor und reichte ihn der jungen Dame hin, die nun auch rasch ihre Sammetjacke abstreifte. »Die Eckstube ist jedenfalls nicht geheizt«, sagte sie und griff nach dem Holzkorbe, der neben dem Ofen stand.
»Nein, das können Sie unmöglich«, sagte Doktor Bruck mit einem Blick auf ihren eleganten Anzug. Er legte rasch Hut und Stock auf den Tisch.
»Es wäre sehr beschämend für mich, wenn ich das nicht könnte«, versetzte sie ernsthaft, aber mit tieferröteten Wangen – sie hatte seinen zweifelhaften Blick wohl bemerkt.
Sie ging hinaus, und wenige Minuten darauf prasselte ein tüchtiges Feuer im Ofen, während Doktor Bruck die Fenster der Eckstube öffnete, um den lauen Märzodem erst noch einmal durch den mit dumpfer Scheuerluft erfüllten Raum strömen zu lassen.
Käthe trat ein. »Ich bitte, sich zu überzeugen, dass ich salonfähig geblieben bin, Herr Doktor«, sagte sie, nicht ohne einen Anflug von Spott ihm ihre schlanken, rosigen Hände mit dem tadellos weißen Leinwandstreifen am Armgelenk hinstreckend.
Ein ausdrucksvolles Lächeln ging über sein ernstes Gesicht, aber er schwieg und war bemüht, das südliche Eckfenster wieder zu schließen, durch welches der Zugwind die Eingetretene so derb anblies, dass das braune Lockengeringel von ihrer Stirn wegwehte. Auch der Vorhang blähte sich auf und flog in die Stube herein; Käthe griff mit flinken Händen zu und suchte den steifen Faltenwurf wieder zu ordnen.
»Die gute Suse – wenn sie nur wüsste, welchen Streich sie mir spielt mit diesen Gardinen!« sagte sie halb lächelnd, halb verdrießlich. »Ich muss das Zeug nun wohl oder übel hängen lassen, denn sie hat es sicher vom Vormund für mich erpresst. Gemusterte Mullgardinen