Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt
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»Aber ich begreife nicht – sind Sie denn nicht die Herrin?«
»O, die kann ich niemals herauskehren, wenn es dergleichen Wünsche gilt – ich kenne mich schon«, versetzte sie fast kleinlaut. »Darin bin ich entsetzlich feig.« Der Kontrast zwischen diesem aufrichtigen Bekenntnis und der äußeren gebietenden Erscheinung der jungen Dame war so groß, dass es in der Tat eines scharfen Blickes in ihre rehbraunen Augen bedurfte, um sich zu überzeugen, dass sie vollkommen wahr spreche. Sie hatte ein nicht sehr großes, aber schöngeschnittenes klares Auge mit einem kühlen Blick; er harmonierte mit der unbefangenen Sicherheit ihres ganzen Wesens. Wie ruhig und praktisch traf sie die Anstalten zur Aufnahme der Kranken! Das Sofa wurde als Bett eingerichtet, der plumpe mit Leder bezogene Lehnstuhl des Schlossmüllers aus der Fensterecke tiefer in das Zimmer gerückt, damit kein Zuglüftchen die Patientin streife; sie holte einen kleinen Tisch aus dem Alkoven und die weißgescheuerte Fußbank unter dem hochbeinigen Kanapee hervor – das geschah so unbefangen und selbstverständlich, als sei sie nie von der Mühle fort gewesen. Sie war aber auch so vertieft in ihre augenblickliche Aufgabe, dass man meinen konnte, sie habe die Anwesenheit des Mannes dort im südlichen Eckfenster ganz vergessen. Nur als sie die obere Schublade der Kommode aufzog und ein weißes Tuch mit rot eingewirkter Kante herausnahm, um es über das Tischchen vor dem Lehnstuhle zu breiten, wandte sie das Gesicht nach ihm und sagte: »Es ist etwas Schönes um diese altbürgerliche Ordnung – alles steht und liegt am altgewohntem Orte. So ist es gewesen, ehe ich geboren wurde, und während meiner sechsjährigen Abwesenheit sind die Einrichtungsgesetze unverrückt geblieben – man ist sofort wieder heimisch.« Sie zeigte auf den Spiegel über der Kommode. »Da hinter dem Rahmen guckt die Ecke des Hauskalenders, in den der Großpapa seine Notizen schrieb, und darüber steckt noch die Rute mit dem verblichenen Bande, die schon der Schrecken meiner Mutter gewesen ist.«
»Auch der Ihrige?«
»Nein, mich kleines Ding beachtete der Großpapa nicht genug, um sich mit meiner Besserung zu befassen.« Sie sagte das durchaus nicht bitter; eher mit einer Art lächelnder Resignation. Dabei wischte sie den leichten Staubanhauch, der sich während Suses Kranksein abgelagert hatte, von den Möbeln und schloss auch die anderen Fenster. »Hier auf dem Steinsims müssen notwendig Blumen stehen; ihr Duft soll meine arme Suse erquicken. Ich werde Schwager Moritz um einige Hyazinthen- und Veilchentöpfe aus dem Wintergarten bitten –«
»Da werden Sie sich an die Frau Präsidentin Urach wenden müssen; sie hat einzig und allein über den Wintergarten zu verfügen; er gehört zu ihrer Wohnung.«
Das junge Mädchen sah ihn groß an. »So streng ist die Etikette drüben? Zu Papas Lebzeiten war der Wintergarten Gemeingut der Familie.« – Sie zuckte die Achseln. – »Damals freilich war die vornehme Schwiegermutter meines Vaters nur dann und wann Gast in der Villa.« Ihre klangreiche Stimme verschärfte sich ein wenig bei diesen Worten, aber sie warf gleich darauf den Kopf in den Nacken, als könne sie damit eine augenblickliche unangenehme Empfindung abschütteln, und setzte heiter lächelnd hinzu: »Nun, dann um so besser, dass ich zuerst in die Mühle ging, um mich zu akklimatisieren!«
Er verließ die Fensternische und trat zu ihr. »Ob man Ihnen aber drüben nicht sehr verargen wird, dass Sie sich nicht sogleich in den Schutz der Familie begeben haben?« fragte er mit ernstem Nachdrucke, aber auch mit jenem Anteile, der zart einen Rat, einen Wink zu geben versucht, ohne zudringlich zu werden.
»Dazu hat man doch wohl nicht das Recht«, versetzte sie rasch und lebhaft, während der leuchtende Karmin auf ihren Wangen sich verdunkelte. »Dieses ›Drüben‹ ist für mich gleichbedeutend mit der Fremde, in der ich den Familienschutz, wie Sie ihn nennen – nämlich das Gefühl der Zusammengehörigkeit – nicht voraussetzen kann, auch nicht bei den Schwestern. Wir kennen uns gar nicht näher; nicht einmal das dürftige Band eines kleinen Briefwechsels existiert zwischen uns – ich habe nur mit Moritz korrespondiert. Als Papa noch lebte, wurde Henriette bei ihrer Großmama erzogen. Wir sahen uns äußerst selten und auch dann nur unter der Aufsicht der Frau Präsidentin. Meine Schwester, die Kommerzienrat Römer, wohnte in der Stadt und starb auch sehr frühe. Und Flora? Sie war sehr schön und sehr gescheit; sie war eine hochgefeierte junge Dame und machte bereits die Honneurs in unserem Hause, als ich noch tief in den Kinderschuhen steckte. Flora muss großartig beanlagt gewesen sein, weil man sich stets so namenlos bedrückt und eingeschüchtert in ihrer Nähe fühlte. Ich habe nie gewagt, sie anzureden, oder auch nur ihre wunderschönen Hände zu berühren, und noch heute fühle ich, dass es sehr unbescheiden von mir sein würde, wollte ich den Umgangston zwischen ihr und mir beanspruchen, wie er sonst zwischen Schwestern üblich ist.«
Sie unterbrach sich und sah ihm erwartungsvoll in das Gesicht, aber sein weggewendeter Blick schweifte über die Gegend draußen. Er ermutigte sie mit keiner Silbe – hatte er doch auch um das seltene Mädchen dienen müssen, wie Jakob um die Rahel. Möglicher Weise war er nicht einmal duldsam gegen die Schwesterliebe in dem Herzen, das sich ihm endlich zugeneigt. … Bei aller Milde und sanften Schlichtheit, die er wohl in Folge seines ärztlichen Berufes äußerlich angenommen, sah er doch aus, als könne er auch sehr ernstlich und entschieden auf seinem Rechte bestehen.
»Wie die Sachen stehen – die Villa ist ja nicht mehr mein Vaterhaus – kann ich dort nur als Gast, als Besuch gelten, wie jeder andere auch«, hob sie nach einer augenblicklichen Pause wieder an. »Hier in der Mühle stehe ich auf meinem eigenen Grund und Boden; da ist Heimatluft und Heimgefühl, und das alte Schieferdach droben und Franz und Suse werden mich und meine unmündigen achtzehn Jahre wohl ebenso treu beschirmen, wie es die Villa mit ihrer strengen Etikette nur immer vermag.« Ein mutwilliges Lächeln schwebte um ihren Mund. »Übrigens wird man über diesen ›Formfehler‹ rascher hinweggehen, als Sie denken, Herr Doktor – man kann es von ›der Müllermaus‹ nicht besser erwarten.«
Der Schmeichelname, mit welchem der Papa sie einst genannt, konnte nun allerdings nicht mehr gelten: Huschen und Schlüpfen und unversehens in einem Verstecke verschwinden – dieses Gesamtbild von zarter Gliedergeschmeidigkeit und furchtsamer Seele passte nicht zu dem Mädchen, das der Welt den fleckenlos weißen Schild der Stirn so ruhig zukehrte, das seine kraftvollen, plastisch ausgeprägten Glieder bei aller jugendfrischen Regsamkeit dennoch mit einer Art von stiller Würde beherrschte.
Allmählich kam eine behagliche Wärme vom Ofen her; Käthe zog ein Flacon aus der Tasche und goss einige Tropfen Eau de Cologne auf die heiße Eisenplatte; ein lieblicher, luftreinigender Duft verbreitete sich. »Suse wird ganz feierlich zumute sein, wenn sie herüberkommt«, sagte sie heiter und ließ ihre Augen noch einmal musternd durch die Stube gleiten; es war alles in Ordnung; nur die Alkoventür stand noch offen, und durch den breiten Spalt sah man gerade auf die bunten Nelkensträuße der Bettstelle, die drinnen in der Nähe des Fensters stand. Jetzt erst fiel der Blick des jungen Mädchens auf die plumpen wohlbekannten Blumengebilde, die einst das Entzücken ihrer Kinderseele gewesen waren – die ganze Rosenfrische wich plötzlich von ihren Wangen, selbst ihr roter Mund war blass geworden.
»Dort ist mein Großpapa gestorben«, flüsterte sie ergriffen.
Doktor Bruck schüttelte den Kopf und zeigte schweigend nach dem südlichen Eckfenster.
»Sie waren bei ihm?« fragte sie hastig und trat ihm näher.
»Ja.«
»Er ist so plötzlich gestorben, und Moritz hat mir den Trauerfall in so wenig eingehender Weise angezeigt, dass ich nicht einmal weiß, was die