Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt
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Читать онлайн книгу Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie Marlitt страница 13
Sie ging mit gehobenen Händen auf Käthe zu, als beabsichtige sie eine Umarmung; allein diese verbeugte sich so tief und zeremoniell, als stehe sie zum ersten Mal in ihrem Leben vor der stolzen Schwiegermutter ihres Vaters. Ein scharfer Blick hätte in dieser einen Gebärde leicht das scheue Zurückweichen vor jeglicher Berührung erkannt, die Präsidentin aber sah darin offenbar nur das Anzeichen eines tiefen Respektes. Sie zog die Hände zurück und hauchte einen Kuss auf die Stirn des jungen Mädchens. »Bist Du wirklich allein gekommen?« fragte sie, ihre Augen suchten unruhig forschend die Tür, als müsse noch irgendeine nicht gerade willkommene Reisebegleitung eintreten.
»Ganz allein. Ich wollte auch einmal selbstständig meine Flügel probieren, und das hat meine Doktorin gern erlaubt.« Sie strich noch einmal wie unbewusst mit den schlanken Fingern über die Stelle, welche die alte Dame mit ihren kalten Lippen berührt hatte.
»Ei, das glaube ich Dir gern; das ist ja ganz im Sinne der alten Lukas«, sagte die Präsidentin mit einem ganz leisen, ironischen Lächeln. »Sie war ja auch stets sehr selbstständig … Dein guter Papa hatte sie ein ganz klein wenig verzogen, mein Kind. Sie tat, was ihr gefiel; selbstverständlich immer nur das Rechte –«
»Und das Verständige; aus dem Grunde mag ihr wohl auch der Papa seine jüngste wilde Hummel anvertraut haben«, setzte Käthe mit jener heiteren Unbefangenheit hinzu, die ihr ganzes Wesen charakterisierte. Aber gerade dieser Freimut, diese Leichtigkeit und Sicherheit schienen unangenehm zu berühren.
Die Präsidentin zog die Schultern leicht empor. »Dein Papa hat sicher Dein Bestes gewollt, liebe Käthe, und meine Sache ist es nie gewesen, irgendeine seiner Maßregeln zu bemäkeln. Aber er war eine vornehme Natur und hielt streng auf das Dekorum – ob es ihn nun doch nicht einigermaßen in Verlegenheit gebracht hätte, wenn ihm sein heiteres Töchterchen plötzlich so sans gêne, so frank und frei in das Haus geflattert wäre?«
»Wer weiß?« versetzte Käthe. »Der Papa würde doch wissen, wes Geistes Kind diese Tochter ist« – ein mutwilliger Strahl blitzte aus ihren braunen Augen – »Müllerblut, das schlägt sich tapfer und wohlgemut durch die Welt, Frau Präsidentin.«
Der Kommerzienrat räusperte sich und strich eifrig seinen schönen Lippenbart, während die Präsidentin so betreten aussah, als habe unvermutet ein allzu kräftiger Luftzug ihr vornehmes Gesicht angeblasen, Flora aber brach in ein helles Gelächter aus. »Kind Gottes, Du bist kostbar naiv«, rief sie, die Hände zusammenschlagend. »Ja, ja: ›Das Wandern ist des Müllers Lust, das Wandern,‹« rezitierte sie. »Mit einer solchen Äußerung müsste unser Jüngstes nächstens in Moritzens großer Soiree debütieren, Großmama; da würden sie die Ohren spitzen!« Sie blinzelte die alte Dame schadenfroh an, die jedoch ihr Gleichgewicht schon wiedergefunden hatte.
»Ich vertraue dem angeborenen Takt Deiner Schwester, mein Kind«, sagte sie, ihre Hand nebenbei nun auch dem Doktor zur Begrüßung hinstreckend. Dazu lächelte sie mit jenem feinen Zusammenziehen der Lippen, das nur einen Schein der Zahnspitzen sehen ließ und von welchem man nie wusste, ob es süß oder sauer war.
»Takt, Takt – der wird viel helfen«, wiederholte Flora, den Kopf spöttisch wiegend. »Die Müllerreminiszenz ist ihr genau ebenso angeboren. Die gute Lukas hat es eben nicht verstanden, ihr ein wenig Weltklugheit einzupauken – da fehlt’s. Übrigens bin ich wirklich froh, dass Du allein gekommen bist, Käthe; ich hoffe, es wird sich so besser mit Dir leben lassen, als wenn Du am Rock Deiner alten hausbackenen Gouvernante hängst.«
Käthe hatte das Barett abgenommen; die schwüle Blumenluft trieb ihr das Blut heiß in die Wangen. Jetzt, mit der dicken, goldbraunen Haarflechte über der Stirn, sah sie noch größer aus.
»Hausbacken? Meine Doktorin?« rief sie lebhaft. »Eine poesievollere Frau lässt sich nicht denken.«
»Ei, was Du sagst! Sie schwärmt wohl den Mond an, schreibt empfindsame Verse ab, etc. Oder dichtet sie gar selbst? Wie?«
Das junge Mädchen richtete die glänzenden Augen mit klugem Blicke auf das Gesicht der Spötterin. »Verse nicht, aber die Manuskripte ihres Mannes schreibt sie ab, weil die Setzer der medizinischen Zeitschrift seine wunderlichen Krakelfüße absolut nicht entziffern können«, sagte sie nach einem kurzen Moment schweigender Prüfung. »Sie schreibt auch keine eigenen Verse oder Novellen – dazu fehlt ihr die Zeit, und doch dichtet sie. … Ach, Du lächelst noch genau so wie früher, Flora, so tief und so scharf in den Mundwinkeln, aber das Spottlächeln scheucht mich nicht mehr in die Ecken; ich habe eine streitbare Ader und behaupte weiter: Sie dichtet doch in der Art und Weise, wie sie das Leben nimmt und ihm stets eine Seite abzugewinnen weiß, von der ein verklärendes Licht ausgeht, wie sie ihr einfaches Heim ausschmückt – aus jedem Eckchen guckt ein schöner Gedanke – und wie sie es unsäglich gemütlich und doch ästhetisch anregend für ihren braven Mann und mich alten Kindskopf und die wenigen auserwählten Freunde des Hauses zu erhalten versteht.«
In diesem Augenblicke flog ein ganzer Regen von frischen Veilchen gegen die Brust des jungen Mädchens und rieselte auf den Fußboden nieder,
»Bravo, Käthe!« rief Henriette. Sie stand im Wintergarten, dicht am Gitter, und presste die bleichen Hände auf ihre heftig atmende Brust. »Ich möchte Dir gleich um den Hals fliegen, aber – sieh mich doch an! – müsste das nicht zum Totlachen sein? Du, so kerngesund an Leib und Seele, und ich –« ihre Stimme versagte.
Käthe warf das Barett, das sie noch in der Linken hielt, von sich und flog zu ihr. Sie umschlang zärtlich die schwache Gestalt, aber die Tränen des Erbarmens und die Betroffenheit darüber, dass das Gesicht der Schwester »so entsetzlich abgemagert«, wurden weislich unterdrückt.
Flora biss sich auf die Lippen. »Das Jüngste« war nicht nur imposant an Leibesgestalt geworden, es hatte auch in den hellen Augen und auf den Lippen den seltenen Freimut innerer Unabhängigkeit, der manchmal so unbequem werden kann. Ihr kam plötzlich die dunkle Ahnung, als trete mit dem kraftvollen Mädchen dort eine schattenwerfende Gestalt in ihr Leben. … Sie nahm hastig den Hut ab und fuhr mit beiden Händen auflockernd durch die zerdrückten Scheitellöckchen. »Hast Du das poetische Reisebündelchen da wirklich von Dresden mitgebracht?« fragte sie trocken, mit einem blinzelnden Seitenblicke nach dem zusammengeknüpften weißen Tuche am Arme der Angekommenen.
Das junge Mädchen löste die verschlungenen Enden und reichte Henriette die Taube hin. »Ein kleiner Patient, der Dir gehört«, sagte sie. »Das arme Ding ist flügellahm geschossen. Es fiel im Schlossmühlenhofe auf das Pflaster.«
Da war bereits die Einkehr in der Mühle verraten, allein die Präsidentin schien die letzten Worte ganz zu überhören; sie zeigte tief empört auf das verwundete Tierchen und sagte, nach dem Kommerzienrate zurückgewendet, mit strafendem Vorwurfe: »Das ist nun die vierte, Moritz.«
»Und noch dazu mein Liebling, mein Silberköpfchen!« rief Henriette und wischte sich eine Träne des Schmerzes und der Erbitterung von den Wimpern.
Der Kommerzienrat war ganz blass vor Schreck und Ärger. »Liebe Großmama, ich bitte Sie dringend, machen Sie mir daraus keinen Vorwurf mehr!« rief er fast heftig. »Ich tue, was möglich ist, um diesen bodenlosen Nichtswürdigkeiten auf die Spur zu kommen und sie zu verhindern, aber der Täter versteckt sich hinter der Phalanx von zweihundert erbitterten Menschen« – er zuckte die Achseln – »da lässt sich gar nichts tun. Ich habe auch deshalb Henriette wiederholt gebeten, ihre Tauben einzuschließen, bis die Aufregung vorüber ist.«
»Also wir werden in der