Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt
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Читать онлайн книгу Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie Marlitt страница 17
Flora veränderte ihre Stellung nicht um eine Linie; sie nahm nur langsam die Zigarre aus dem spöttisch lächelnden Munde. »Geniert es Dich, Schätzchen?« fragte sie in verstellt phlegmatischem Ton und stäubte mit dem Ringfinger die Asche ab.
»Mich?« – Henriette lachte hart auf. »Du weißt, dass ich mich durch Dein genialisches Tun und Treiben nicht genieren lasse – die Welt ist weit, Flora; man kann sich aus dem Wege gehen und –«
»Pst, nicht so bissig, Kleine! Ich fragte aus purem Mitleid, weil Du brustkrank bist.«
Ein fliegendes Rot erschien und verschwand in jähem Wechsel auf den schmalen Wangen der Kranken, und in ihren Augen funkelten Tränen – sie bezwang sich mühsam. »Danke schön, aber sorge Du zuerst für Dich selber, Flora! Ich weiß, es zuckt Dir in allen Fingern, das qualmende Ding da zum Fenster hinauszuwerfen, denn es beräuchert Deine Perlenzähne wie Meerschaum und jagt Dir einen Schauder des Abscheues nach dem anderen über die Haut – trotz alledem diese heroische Selbstüberwindung! Aus Emanzipationssucht? Bah, Du hast zu viel guten Geschmack, Flora, um zu den allerordinärsten Requisiten des Blaustrumpfes zu greifen; auch bringst Du dieser Neigung, die ja schließlich doch nur auf öffentliche Verherrlichung ausgeht, kein Opfer, das verhässlicht –«
»Schau, was sie für eine hohe Meinung von mir hat, die liebe Seele!« sagte Flora, unter ironischem Auflachen den Kopf schüttelnd, zu dem Kommerzienrat.
»Du übst Dich im Rauchen und wirst das vielleicht drei bis vier Wochen konsequent durchführen«, fuhr Henriette unbeirrt, aber mit sichtlicher Erbitterung fort; »weil es Leute gibt, die den Tabaksrauch im Frauenmunde verabscheuen wie Pesthauch. Du suchst Händel, willst erzürnen, es ist der letzte Hebel, den Du ansetzest –«
Flora richtete sich aus ihrer halbliegenden Stellung auf. »Nun, und wenn, mein Fräulein?« fragte sie stolz zurückweisend. »Ist es nicht meine Sache, ob ich gefallen oder abstoßen will?«
»Weit entfernt! In Deinem Falle bleibt Dir nur noch die Aufgabe, zu beglücken«, brauste Henriette empört auf.
»Lächerlich! Trage ich hier vielleicht den Ehering?« – Sie zeigte auf den elfenbeinweißen Goldfinger der Rechten. »Gott sei Dank, nein! … Übrigens hast Du am allerwenigsten Ursache, Dich zu echauffieren und eine Lanze einzulegen – Du bist krank, armes Ding, und mehr als je auf Deinen Arzt angewiesen, aber er zieht es vor, eine Vergnügungsreise zu machen und auf die unmotivierteste Weise wochenlang fortzubleiben.«
Jetzt mischte sich auch der Kommerzienrat in den Wortwechsel der erbitterten Schwestern. »Unmotiviert, Flora, weil er Dir den Grund seiner Reise nicht des Langen und Breiten mitgeteilt hat?« rief er ärgerlich. »Bruck spricht nie über seinen Beruf und die damit verknüpften Vorkommnisse, das weißt Du. Er ist ohne Zweifel an ein Krankenbett gerufen worden –«
»Nach L…..g, wo man berühmte Universitätsprofessoren haben kann? Ha, ha, ha! Eine kostbare Idee! Mache Dich doch nicht lächerlich mit dergleichen Illusionen, Moritz! Übrigens ist das ein Punkt, über den ich grundsätzlich nicht mehr mit Euch streite – basta!« Sie streckte ihre Rechte nach der Kaffeetasse aus und schlürfte den köstlich duftenden Trank. Henriette aber schob grollend die gebotene Labung zurück; sie stand auf und trat an die Glastür, die auf die anstoßende Ruine hinausführte. Das Mauerstück war der Rest einer Kolonnade, die einst von dem ersten Stockwerk des Haupthauses in den Turm geführt hatte; die zwei schön gewölbten, auf schlanken Säulchen ruhenden Bögen bildeten jetzt eine Art Söller mit prachtvoller Fernsicht.
Henriette riss den Türflügel auf, und die krampfhaft geballten Hände gegen die Brust drückend, sog sie angstvoll gierig die frische Luft ein, aber eine augenblickliche Erstickungsnot machte sich doch geltend. Käthe und der Kommerzienrat eilten, die Leidende zu unterstützen; auch Flora erhob sich. Sie warf unwillig die Zigarre in den Aschenbecher. »Nun werden wohl die harmlosen Dampfwölkchen schuld sein müssen an dem Anfall«, sagte sie geärgert, »aber ich weiß es besser. Du gehörtest von Rechtswegen ins Bett, Henriette, und nicht in die trockene Frühlingsluft hinaus, die für Leute Deines Schlages wahres Gift ist – ich habe Dich gleich gewarnt, aber Du hast ja nie Ohren für einen wohlgemeinten Rat und möchtest einem am liebsten weismachen, Du strotzest von Gesundheit wie Posaunenengel. Ebenso obstinat bist Du bezüglich der ärztlichen Hilfe –«
»Weil ich meine kranke Lunge nicht dem ersten besten Giftmischer anvertraue«, ergänzte Henriette in mattem, aber sehr entschiedenem Tone.
»O weh, das geht meinem armen, alten Medizinalrate an die Ehre«, rief Flora lächelnd. Sie zog die Schultern empor. »Immerhin, Kind, wenn es Dir Vergnügen macht! Ich kann ja auch nicht wissen, wie er seine Mixturen mischt, soviel aber darf ich behaupten, dass er noch nie einem Patienten ungeschickter Weise nahezu – den Hals abgeschnitten hat.«
Der Kommerzienrat fuhr mit bleichem Gesichte herum und hob unwillkürlich die Hand, als wolle er sie auf den impertinenten, lästernden Frauenmund pressen; er schien sprachlos – sein Blick streifte scheu Käthes Gesicht.
»Du Herzlose!« stieß Henriette hervor.
»Herzlos bin ich nicht, aber unerschrocken genug, böse Dinge beim Namen zu nennen, selbst wenn die harten Worte auf eigene Wunden zurückschlagen sollten. Wo bliebe dann auch das Verdienst der strengen Wahrhaftigkeit? … Denke an jenen schlimmen Abend und frage Dich, wer Recht behalten hat! Ich wusste, dass ein tiefer Sturz aus den Höhen fälschlich erträumter Berühmtheit erfolgen musste – er ist erfolgt, zermalmender, rettungsloser, als ich selbst gefürchtet, oder wollt Ihr auch die einstimmige Verurteilung von Seiten des Publikums wegdisputieren? Dass ich aber nicht mit stürzen will, wird jeder begreifen, der mich kennt. … Ich kann nicht beschönigen und vertuschen, wie es z. B. die Großmama aus dem Fundament versteht; ich will es auch gar nicht. Keine Rolle ist lächerlicher als die jener ahnungslosen Frauenseelen, die da noch öffentlich anbeten, wo, wie die Welt sich zuzischelt, längst nichts mehr zu verehren ist.«
Sie schlug auch den andern Türflügel zurück und trat hinaus auf den Söller. Sie hatte in leidenschaftlicher Steigerung gesprochen; der bleiche Marmorton ihres vom blauen Frühlingshimmel sich scharf abhebenden Römergesichts belebte sich unheimlich; mit den flimmernden Augen voll abweisender Verachtung, mit den nervös bebenden Nasenflügeln war sie die personifizierte brennende Ungeduld.
»Übrigens hat es ja in seiner Hand gelegen, mich zu bekehren – wie hätte ich ihn dann verteidigen wollen mit Mund und Feder!« fuhr sie fort, während sich ihre feinen Finger in das rasselnde Geflecht verdorrter Schlingpflanzen verstrickten. »Aber er hat es vorgezogen, auf meine erste und einzige dahinzielende Frage stolz wie ein Spanier mit einem Eisesblicke zu antworten –«
»Diese Antwort sollte Dir genug sein –«
»Ganz und gar nicht, mein lieber Moritz; ich finde sie sehr bequem und wohlfeil, und in Bezug auf sprechende Blicke und Gesten bin ich skeptisch – ich verlange mehr. … Aber ich will Dir zeigen, dass mir der gute Wille nicht fehlt, indem ich Dir hiermit noch einmal wiederhole, was ich gleich zu Anfang verlangt habe: Beweise mir und der Welt, dass er seine Schuldigkeit getan hat, denn Du warst Zeuge!«
Er trat rasch von der Türschwelle zurück und legte die Hand schützend über die Augen – das Sonnenlicht, das den Balkon grell überströmte, belästigte ihn unerträglich. »Du weißt allzu gut, dass ich das nicht in der Weise kann, wie Du es forderst – ich bin kein Mediziner«, versetzte er mit tief herabgedrückter Stimme; sie verlor sich fast in einer Art von Murmeln.
»Kein Wort mehr, Moritz!« rief Henriette. An ihrem Körper bebte jede Fiber. »Mit jedem Verteidigungsversuch gibst Du zu, dass diese edle Braut einen Anschein von Berechtigung für sich hat, feig und wankelmütig zu sein.« Ihre großen Augen, in denen das innere Fieber