Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt
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Читать онлайн книгу Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie Marlitt страница 16
Eine Brücke, in Ketten hängend, schwang sich über den Graben, und drüben, vor ihren schmalen Ausgang quer hingestreckt, lag eine riesige Bulldogge; den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt, beobachtete sie mit wachsamem Auge das jenseitige Ufer.
»Da siehst Du nun Moritzens Tuskulum, Käthe«, sagte Henriette, die an Käthes Arm hing. »Einst Burgverlies mit den üblichen Marterwerkzeugen und Todesseufzern, vor noch vier Monaten unbestrittener Wohnsitz verschiedener Eulen und Fledermäuse und meiner Tauben, und jetzt Salon, Schlafgemach und sogar Schatzkammer des Herrn Kommerzienrat von Römer. … Gelt, schwarz genug sieht das Ding noch aus, und man meint, der nächste Sturmwind müsse das Mauerstück über den Haufen blasen, aber das alles ist niet- und nagelfest, und gerade dort unter den überhängenden Steinen haust Moritzens Diener – der Mensch wohnt beneidenswert.«
Flora war auch mitgekommen. »Wem’s gefällt!« sagte sie trocken und achselzuckend. »Übrigens eine merkwürdig originelle Idee für einen Krämerkopf – meinst Du nicht, Käthe?« Sie schritt an den Schwestern vorbei über die Brücke. Ein Stoß ihres schönen Fußes scheuchte den Hund aus dem Wege, dann stieg sie den Rasenhang hinauf. Schüchtern flohen die Rehe vor der seidenrauschenden Erscheinung; die Tauben flatterten geängstigt von den unteren Fenstersimsen, und der Hund knurrte widerwillig und ging der herrischen Dame um einige Schritte langsam nach. … Wie sie droben stand, die schlanken Hände auf das Schloss der eisenbeschlagenen Turmpforte gelegt und den Kopf mit dem metallisch funkelnden Blondhaar über die Schulter zurückwendend, im hellgrauen, silberflüssig schimmernden Seidenkleid mit Puffärmeln und seitwärts aufgenommener Schleppe, da war sie das leibhaftige Sagenbild der schönen Kaisertochter im Kyffhäuser.
Unwillkürlich glitt Käthes Blick von ihr weg auf Henriette, die sich dicht an ihre Seite schmiegte, und das Herz tat ihr weh. Die hinfällige Gestalt mit ihren eckigen Linien in dem knappanliegenden Überkleid von glänzenden Farben balancierte förmlich auf übermäßig hohen Absätzen. Sie atmete so kurz und hastig und sah so grellbunt, so kokett und dadurch fast lächerlich aus. Aber sie hatte in den letzten zwei Tagen an häufig wiederkehrenden Erstickungsanfällen gelitten, und sie wollte doch nicht krank sein – die Welt sollte nun einmal nicht wissen, dass sie leide. Sie konnte mitleidigen Blicken oder teilnehmenden Bemerkungen gegenüber so zornig und beißend werden. Und doch hatte sie schwerer als sonst gelitten; denn Doktor Bruck, der sie behandelte und ihr stets Linderung zu verschaffen wusste, war verreist, und zwar wenige Stunden nach seinem neulichen Weggange aus der Villa; er sei von einem Freunde telegraphisch nach L…..g berufen worden und werde mehrere Tage ausbleiben, hatte er seiner Braut in einem kurzen Billett mitgeteilt. Der ärztliche Beistand des Medizinalrat von Bär aber war von der Kranken energisch zurückgewiesen worden – »lieber sterben!« hatte sie, mit ihrer Erstickungsangst kämpfend, geflüstert. Käthe hatte die Schwester fast allein gepflegt und hütete sie seitdem mit zärtlicher Sorgfalt. Jetzt legte sie sanft ihren Arm um die gebrechliche Gestalt und führte sie über die Brücke, nach der Ruine.
Wie oft war sie als Kind den Rasenabhang hinabgelaufen und durch das Gestrüpp gekrochen! Wie oft hatte sie durch das weite Schlüsselloch der Turmpforte gelugt! In den Kellern des Turmes sollte noch Pulver aus dem dreißigjährigen Kriege liegen, und an den Wänden herumhänge »lauter grausiges Zeug«, hatten die Dienstleute gesagt. Aber es war immer rabenschwarze Finsternis drin gewesen, und eine dicke, schwere Luft hatte das lauschende Kindergesicht erschreckend angehaucht; hatten nun gar ein Paar Eulenflügel sich von droben geregt, dann war sie, wie von Furien gejagt, den Hügel hinabgesprungen und hatte sich mit beiden Händen, von Grauen geschüttelt, an Suses Schürze angeklammert. … Jetzt stand sie drin, am Fuße einer teppichbelegten schmalen Wendeltreppe, und bestaunte mit großen Augen die Wunder, die das Geld des reichen Kaufmanns bewirkt. Draußen scheinbar zusammensinkendes Trümmerwerk, und innen ein vollkommenes Ritterheimwesen. Der einst mit den Augen nicht zu durchdringende Raum war ein weites Gewölbe, das mit seinen starken Steinbögen die ganze Last der oberen Stockwerke trug. An den Wänden hing noch »das grausige Zeug«, Helme und Waffen, aber es war geschmackvoll geordnet, und die blanken Flächen sprühten den Sonnenschein zurück, der blendend und ungehindert durch die Fenster fiel. Man hatte, um dem Turme von außen den Charakter der Ruine zu belassen, selbst das Fensterkreuz vermieden und ungebrochene Spiegelscheiben in die dicken Mauern eingesetzt – daher das wunderliche Glitzern tief drinnen. … Der Bau war ein sogenannter Bergfried, in Zeit der höchsten Gefahr ein Zufluchtsort für die Burgbewohner gewesen. Als solcher hatte er damals in seinen oberen Gemächern jedenfalls nur die allerprimitivste Einrichtung enthalten, jetzt aber durfte er sich an Prachtentfaltung getrost mit den ehemaligen, nun längst von der Erde verschwundenen Bankettsälen im Haupthause messen.
Als die beiden Schwestern in das erste Zimmer des oberen Stockwerkes traten, da lehnte Flora bereits, eine glimmende Zigarette in der Rechten, graziös nachlässig zwischen den purpurfarbenen Kissen eines Ruhebettes und sah zu, wie der Kommerzienrat in der silbernen Maschine den Nachmittagskaffee braute. Er hatte die drei Schwägerinnen dazu eingeladen.
»Nun, Käthe?« rief er dem jungen Mädchen entgegen und deutete mit dem ausgestreckten Arme bezeichnend rundum über das Neugeschaffene.
Sie stand auf der Schwelle, einen schwarzen Schleier lose über die goldbraunen Flechten geworfen, hellen, lachenden Auges und so hoch und kraftvoll, als entstamme sie selbst dem alten Reckengeschlechte Derer von Baumgarten.
»Hochromantisch, Moritz! Die Täuschung ist vollkommen«, antwortete sie heiter. »Der da unten« – sie zeigte durch das nächste Fenster hinab auf den flimmernden Wassergürtel – »könnte einen durch seine ernsthafte Verteidigungsmiene erschrecken, wüsste man nicht, dass ein Kommerzienrat des neunzehnten Jahrhunderts dahinter sitzt.«
Er zog die feinen Augenbrauen finster zusammen, und sein Blick streifte unsicher ihr Gesicht – sie bemerkte es nicht. »Hübsch und löblich ist es ganz gewiss nicht gewesen, dass sich Kohl und Rüben früher auf seinem Grunde breit machen durften«, fuhr sie fort; »das weiß ich nun, wenn mich auch das kleine Tal in der Erinnerung anheimelt. Aber ist es nicht ein interessantes, wunderliches Spiel des Wechsels, dass der Kaufmann die Schranken erneut, die das alte Rittergeschlecht zuletzt selbst missachtet und als überflüssig entfernt hat?«
»Vergiss nicht, meine liebe Käthe, dass ich nunmehr der Ritterschaft selbst angehöre!« versetzte er gereizt und in sehr pikiertem Ton. »Traurig genug, dass sich die alten Geschlechter dem Zeitgeist anbequemt und ehrwürdige Institutionen achtlos aufgegeben – nicht ein Jota durften sie fallen lassen. Es ist ein unverantwortlicher Raub an uns, die wir die Nachfolgenden sind.«
»Schwachkopf! Er ist katholischer als der Papst«, murmelte Henriette ergrimmt; sie schritt tiefer ins Zimmer, während Käthe mechanisch die Tür hinter sich fester zuzog, ohne den halb erschrockenen, halb nachdenklichen Blick von dem sichtlich erregten Manne am Kredenztisch wegzuwenden. Sie hatte ihn als Kind gerngehabt, wie alle Menschen, die mit ihm verkehrten. Früh verwaist, aus einer braven Handwerkerfamilie stammend, von bestechend schönem Äußern und einschmeichelndem Wesen, war er in das Geschäft des Bankier Mangold als Lehrling gekommen und schließlich dessen Schwiegersohn geworden. Käthe wusste, dass er ihre Schwester Clotilde bis zu deren frühem Tod auf den Händen getragen; sie hatte ihn immer nur fügsam bis zur Unterwürfigkeit ihrem Vater gegenübergesehen, auch war er stets gleichmäßig freundlich und hilfreich selbst gegen die untersten Dienstleute des Hauses gewesen – und jetzt schwebte um den schön geschwungenen Männermund dort ein scharf ausgeprägter Zug von widerwärtigem Hochmut. Der Seilersohn stieß verächtlich die Leiter um, auf der er emporgeklommen; sein Glücksrausch blendete ihn dergestalt, dass er in den Jargon der eingefleischtesten Krautjunker verfiel.
Henriette hatte sich auf einen niedrigen, polsterbelegten Schemel gekauert, und die Arme um die Knie legend, sagte sie beißend: »Liebster Moritz,