Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt

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Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie Marlitt

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»Gott, was für eine vierschrötige Jungfrau neben meiner Elfe!«

      »Ich bin erstaunt über den sicheren Mut, mit welchem Flora fährt«, sagte sie, als er wieder neben ihr ging.

      »Weit mehr zu bewundern ist die Todesverachtung ihres Begleiters. Es war eine Probefahrt, und der Kommerzienrat hat die jungen Pferde gestern erst gekauft.« Er war bitter gereizt. Sie hörte das plötzlich in seiner Stimme und schwieg ganz erschrocken.

      5

      Es fiel kein Wort mehr von beiden Seiten. Sie erreichten bald das Haus und traten durch eine Seitentür ein, während drüben die Equipage vom Portale wegfuhr. Ein Bedienter berichtete ihnen, dass die Damen und »der gnädige Herr« im Wintergarten seien, also in den Appartements der Frau Präsidentin.

      Käthe hatte ihre ganze heitere Ruhe und Sicherheit wiedergefunden. Sie nahm eine Visitenkarte aus der Brieftasche und reichte sie dem Manne hin. »Für den Herrn Kommerzienrat«, sagte sie.

      »So steif?« fragte Doktor Bruck lächelnd, während der Lakai geräuschlos über den dicken persischen Korridor-Teppich hinschlüpfte und hinter einer Tür verschwand.

      »So steif!« bestätigte sie ernsthaft. »Da ist die weiteste Distanz die beste. Ein biederes Hereinpoltern würde mir jedenfalls sehr schlecht bekommen. Ich fürchte nun selbst, ›den gnädigen Herrn‹ mit meiner unzeremoniellen Ankunft sehr in Verlegenheit zu bringen.«

      Sie hatte sich nicht geirrt. Der Kommerzienrat kam im förmlichen Sturmschritte aus den Gemächern, mit dem bestürzten Ausrufe: »Mein Gott, Käthe!« stolperte er über die Schwelle.

      Die Richtung seines Blickes war geradezu lächerlich – er suchte den Kopf der wie vom Himmel fallenden Mündel offenbar um zwei Fuß zu tief – und nun trat sie so hochgewachsen und festen Schrittes auf ihn zu und begrüßte ihn mit einem fast frauenhaft stolzen Kopfneigen:

      »Lieber Moritz, sei nicht böse, dass ich der Abrede zuwiderhandle! Aber um mich abholen zu lassen, dazu bin ich nun doch schon ein wenig zu groß.«

      Er stand wie versteinert vor ihr. »Recht hast Du, Käthe. Die Zeit, wo ich Dich an der Hand führte, ist vorüber«, sagte er langsam, gleichsam in dem Anblicke ihres mit Rosenglut überhauchten Gesichts verloren. »Nun, sei mir tausendmal willkommen!« Jetzt erst reichte er auch Bruck begrüßend die Hand. »Ein Zusammenfinden im Korridor – da muss ich wohl gleich hier vorstellen –«

      »Bemühe Dich nicht, Moritz! Das habe ich bereits selber besorgt«, unterbrach ihn das junge Mädchen. »Der Herr Doktor machte gerade Krankenbesuch bei Suse, als ich in die Mühle kam.«

      Das Gesicht des Kommerzienrats verlängerte sich. »Die Mühle war Dein Absteigequartier?« fragte er betreten. »Aber liebes Kind, die Großmama Urach hat mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit erklärt, sich Deiner anzunehmen; mithin verstand es sich von selbst, dass Du Dich ihr sofort vorstelltest; stattdessen gehst Du zu Deiner alten Flamme, der Jungfer Suse! Ich bitte Dich, sage das drin lieber nicht!« setzte er hastig flüsternd hinzu.

      »Verlangst Du das ernstlich von mir?« Die fest klingende Mädchenstimme stach seltsam ab von seinem scheuen Flüstertone. »Ich kann doch nicht leugnen, wenn die Sache zur Sprache kommen sollte… Auf das Verheimlichen verstehe ich mich wirklich nicht, Moritz« – sie verstummte für einen Moment, erschrocken über die Feuerglut, die ihm in das Gesicht schoss, dann aber sagte sie resolut: »Habe ich einen Fehler begangen, so will ich mich auch dazu bekennen; es wird ja nicht gleich meinen Kopf kosten.«

      »Wenn Du einen gutgemeinten Wink so tragisch nehmen willst, dann habe ich allerdings nichts mehr zu sagen«, entgegnete er verlegen und ärgerlich zugleich. »Den Kopf wird es freilich nicht kosten, aber Deine Stellung in meinem Hause erschwerst Du Dir. Übrigens ganz wie Du willst! Sieh Du selbst, wie Du Dich mit diesem herben ›Geradedurch‹ in unseren hochfeinen Gesellschaftskreisen zurechtfindest!«

      Schon bei den letzten Worten hatte sein Ton mehr scherzhaft als pikiert geklungen. Er ließ sich nun einmal nicht gern die behagliche Stimmung verderben. Er bot ihr galant den Arm und führte sie nach dem ehemaligen Speisezimmer, das neben dem Wintergarten lag und dessen Tür er aufstieß.

      Das war aber nicht mehr der traute Ess-Salon mit seinen altmodischen, behäbigen, roten Saffianmöbeln. Die Wand, die ihn einst vom Wintergarten getrennt, war verschwunden; an ihrer Stelle trugen schlanke, oben in Rundbogen auslaufende Säulen den Plafond, den der köstlichste Farbenschmuck in maurischem Stil bedeckte. Drunten lief ein niedriges, spitzenklares, vergoldetes Bronzegitter von einer Säule zur anderen – es schied den steingetäfelten Fußboden des maurischen Zimmers von dem weißen Wegsand, dem grünen Flaum kleiner Rasenflecke im Wintergarten. Hinter diesem Gitter grünte und blühte es wonnig; da dufteten Maiblumen und köstliche Bouquets von Parmaveilchen zu Füßen der mächtigen Drachenbäume, des dunklen Lorbeer und der prachtvollen Dekoration von silbergestreiften, metallisch glänzenden Blattpflanzen. Dieses herrliche Pflanzenbild wurde umrahmt und gleichsam in einzelne Felder geteilt durch eine Art von Blumenornamentik. Um die Säulen rankte sich die Clematis und behing die schlanken Schäfte bis hinauf in das feingebogene Rund mit weißen und lilablauen Blüten.

      Zwischen den zwei Säulen, die einen Mittelweg in das Zimmer freiließen, stand Flora. Sie war noch in der Straßentoilette und augenscheinlich im Begriff, das Zimmer zu verlassen. Hoch hinter ihrem federgeschmückten Haupt wölbte der Springbrunnen des Wintergartens seine glitzernde Kuppel. Mit der behandschuhten Rechten hob die schöne Dame das schwere kastanienbraune Sammetkleid, dem das schräg hereinfallende Abendlicht schwachgoldige Reflexe entlockte, ein wenig über den Fuß, die unbedeckte Linke aber legte sich anmutig stützend an die Säule, weiß und zart wie die danebenhängende Clematisblüte.

      Beim Eintreten des hochgewachsenen Mädchens öffnete sie zuerst ihre graublauen Augen weit vor Erstaunen, aber auch ebenso rasch kniff sie die Lider zu einem blinzelnd prüfenden Blick zusammen, wobei ein sarkastisches Lächeln um ihre Lippen huschte.

      »Nun rate, Flora, wen ich da bringe!« rief der Kommerzienrat.

      »Da brauche ich mir nicht lange den Kopf zu zerbrechen – das ist Käthe, die sich allein auf den Weg gemacht hat«, versetzte sie in ihrer eigentümlich nachlässigen und doch so überaus bestimmten Art und Weise. »Wer die alte Sommer gekannt hat, der weiß, dass das stämmige Mädchen da mit dem weiß und roten Apfelgesicht ihre Enkelin sein muss, Augen und Haar aber hat sie frappant wie Clotilde, Deine verstorbene Frau, Moritz.«

      Mit einer geschmeidigen Bewegung löste sie sich gleichsam aus dem Blumenrahmen, trat auf die Schwester zu, und den Kopf in den Nacken zurückbiegend, bot sie ihr die Lippen zum Kuss. Ja, das war noch immer die unvergleichlich schöne Flora, aber das langjährige Herrschertum über die Herzen hatte die weibliche Grazie von ihrer Ausdrucksweise genommen. Ebenso nachlässig wie bei dem kühlen Begrüßungskuss nach sechsjähriger Trennung, war ihr Wesen dem mit eingetretenen Doktor gegenüber. »Grüß Gott, Bruck!« sagte sie und reichte ihm die Rechte, aber nicht wie eine Braut, sondern wie ein College dem anderen. Er erfasste die Hand mit leichtem Druck und ließ es ruhig geschehen, dass sie sofort wieder zurückgezogen wurde.

      Diese äußere Zurückhaltung zwischen dem Brautpaar schien sich von selbst zu verstehen. Flora wandte unbefangen den Kopf nach dem Wintergarten zurück. »Großmama«, rief sie mit lächelndem Spott in ihren geistreichen Zügen, »unser Goldfisch macht Dir und Deinen Bekannten die Freude, sich vier Wochen früher anstaunen zu lassen.«

      Die Präsidentin war bereits bei Floras ersten Worten hinter einer Kameliengruppe hervorgetreten. Ohne dass sie es vielleicht selbst wusste, hatte sie die Angekommene mit jener Spannung gemustert, welche die meisten Menschen einem sogenannten

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