Die neue Magdalena. Уилки Коллинз

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Die neue Magdalena - Уилки Коллинз

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soll ich Ihnen sagen können, wo das nächste Geschoss einschlagen wird?« antwortete Mercy ruhig.

      Die standhafte Fassung der Einen schien die Andere geradezu wahnsinnig zu machen. Grace ließ die Wärterin los und blickte wild umher, um einen Weg zur Flucht zu entdecken. Sie wollte nach der Küche eilen, aber das Geschrei und die Verwirrung, welche die Übertragung der leichten Verwundeten in den Krankenwagen begleitete, trieb sie zurück. Ein zweiter Blick zeigte ihr die Tür, die in den Hof führte. Sie stürzte darauf los, mit einem Ausruf der Erleichterung. Eben legte sie die Hand auf das Schloss, als der dritte Donner des Geschützes ertönte.

      Grace sprang einen Schritt zurück und hielt sich mechanisch mit beiden Händen die Ohren zu. Im selben Augenblicke platzte die dritte Granate auf dem Dache des Häuschens, durchschlug Dach und Decke und explodierte im Zimmer gerade an der Tür. Mercy sprang unverletzt von ihrem Platz am Fenster gegen die Mitte zu. Die glühenden Bruchstücke der Granate steckten den hölzernen Fußboden sogleich in Brand, und mitten unter diesen Sprengstücken im Rauch, nur schwach zu erkennen, lag die bewusstlose Gestalt ihrer Gefährtin. Selbst in diesem furchtbaren Augenblick verlor die Krankenwärterin nicht ihre Geistesgegenwart. Sie eilte an die Stelle zurück, wo sie früher gestanden hatte, und in deren unmittelbarer Nähe sie schon vorhin die leeren Mehlsäcke auf einen Haufen zusammengelegt bemerkt hatte, sie erfasste zwei derselben, warf sie auf den rauchenden Boden und trat das Feuer mit den Füßen aus. Hierauf kniete sie bei der bewusstlosen Frau nieder und hob ihren Kopf in die Höhe.

      War sie verwundet oder tot?

      Mercy zog die eine kraftlose Hand empor und legte ihre Finger an das Gelenk. Während sie noch erfolglos nach dem Puls fühlte, eilte Doktor Surville, in Besorgnis für die Damen, herein, um zu sehen, ob etwas geschehen sei.

      Mercy rief ihn an. »Ich fürchte, die Granate hat sie gestreift«, sagte sie und überließ ihm ihren Platz. »Sehen Sie doch nach, ob sie schwer verwundet ist?«

      Die Besorgnis des Arztes für seine reizende Patientin drückte sich in einer kurzen Verwünschung aus, wobei er jedoch mit besonderer Emphase den Buchstaben R schnarren ließ. »Ziehen Sie ihr de Mantel aus«, rief er, indem er seine Hand unter ihren Kopf schob. »Der arme Engel! Sie hat sich im Fallen umgedreht; die Schnur ist um ihren Hals gewickelt.«

      Mercy entfernte den Mantel. Er fiel auf den Boden, als der Arzt Grace in seinen Armen aufrichtete.

      »Bringen Sie Licht«, sagte er ungeduldig; »Sie werden in der Küche eines bekommen.« Er versuchte den Puls zu fühlen; seine Hand zitterte, der Lärm und die Verwirrung in der Küche machten ihn bestürzt. »Gerechter Gott!« rief er aus, »meine Erregung übermannt mich.« Mercy näherte sich ihm mit dem Lichte.

      Sein Schein fiel auf die grässliche Verletzung, die der Engländerin am Kopfe durch einen Granatsplitter beigebracht worden war. Im Nu veränderte sich das Benehmen des Arztes. Der Ausdruck von Besorgnis verschwand aus seinem Gesichte; seine handwerksmäßige Fassung legte sich plötzlich wie eine Maske darüber. Was war jetzt der Gegenstand seiner Bewunderung? Eine schwerfällige Last in seinen Armen – nichts weiter. Mercy entging die Veränderung in seinem Gesichte nicht. Ihre großen, grauen Augen beobachteten ihn aufmerksam.

      »Ist die Dame schwer verwundet?« fragte sie.

      »Bemühen Sie sich nicht länger das Licht zu halten«, war die kühle Antwort. »Es ist vorbei – ich kann nichts mehr für sie tun.«

      »Tot?«

      Doktor Surville nickte mit dem Kopfe und schüttelte seine geballte Faust in der Richtung der Vorposten. »Verfluchte Deutsche«, rief er; er sah auf das tote Gesicht auf seinem Arm und zuckte resigniert die Achseln. »Dies ist das Schicksal im Kriege«, sagte er; dabei hob er die Gestalt empor und legte sie auf das Bett in der einen Ecke des Zimmers. »Ein nächstes Mal, Wärterin, trifft es vielleicht Sie oder mich. Wer weiß? Pah! Das Problem des Geschickes der Menschen widert mich an.« Er wendete sich vom Bett weg und gab seinen Abscheu dadurch noch deutlicher zu erkennen, dass er die Bruchstücke der zerplatzten Granate anspuckte. »Wir müssen sie hier zurücklassen«, nahm er das Gespräch wieder auf. »Sie war im Leben ein reizendes Geschöpf – jetzt ist sie nichts. Kommen Sie fort, Miss Merrick, bevor es zu spät ist.«

      Er bot der Wärterin seinen Arm; das Knarren der abfahrenden Bagagewagen wurde draußen gehört und der schrille Trommelwirbel ward in der Entfernung von neuem laut. Der Rückzug hatte begonnen.

      Mercy schob den Vorhang auf die Seite und sah die Schwerverwundeten hilflos, der Gnade oder Ungnade des Feindes überlassen, auf ihrem Strohlager hingestreckt. Sie wies den dargebotenen Arm Monsieur Survilles zurück.

      »Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich hier bleiben werde«, antwortete sie.

      Monsieur Surville erhob seine Hände als höfliches Zeichen eines feingebildeten Mannes, dass er eine Einwendung machen müsse. Mercy hielt den Vorhang zurück und deutete nach der Tür des Häuschens.

      »Gehen Sie«, sagte sie. »Ich bin entschlossen.«

      Selbst in diesem letzten Augenblick hielt sich der Franzose gut. Er verschwand vom Schauplatz mit ungeschmälerter Grazie und Würde. »Madame«, sagte er, »Sie sind erhaben!« Bei diesen schmeichelhaften Abschiedsworten verbeugte sich der Meister der Galanterie – bis ans Ende seiner Bewunderung des schönen Geschlechtes treu – und verließ, die Hand auf der Brust, das Häuschen.

      Mercy ließ den Vorhang in der Tür ganz fallen. Sie war allein mit der Toten.

      Das letzte Geräusch der Tritte, das letzte Rasseln der Wagen erstarb in der Entfernung. Kein erneuertes Schießen aus der feindlichen Stellung störte die darauffolgende Stille. Die Deutschen wussten, dass die Franzosen auf dem Rückzug waren. In einigen Minuten konnten sie das verlassene Dorf besetzen. Der Lärm ihres Anzuges musste im Häuschen hörbar werden. Inzwischen war die lautlose Stille fürchterlich. Selbst die armen Verwundeten, die in der Küche zurückgelassen waren, erwarteten schweigend ihr Schicksal.

      Allein im Zimmer, wendete sich Mercys erster Blick nach dem Bette.

      Die zwei Frauen waren bei einbrechender Nacht in der Verwirrung des ersten Gefechtes zusammengetroffen. Bei der Ankunft im Häuschen trennten sie sich, als die Wärterin von ihrer Pflicht abgerufen wurde, dann waren sie erst wieder im Zimmer des Kapitäns zusammengekommen. Ihre Bekanntschaft war von kurzer Dauer gewesen; sie hatte auch nicht versprochen, zur Freundschaft zu gedeihen. Aber der unglückliche Zufall hatte Mercys tiefere Teilnahme für die Fremde erweckt. Sie nahm das Licht und näherte sich dem Leichnam der Frau, die buchstäblich an ihrer Seite getötet worden war.

      Sie stand am Bett und blickte in der Stille der Nacht auf das regungslose, tote Gesicht herab.

      Es war ein interessantes Gesicht – das einmal gesehen, lebend oder tot, für immer unvergesslich blieb. Die Stirn war ungewöhnlich nieder und breit, die Augen ungewöhnlich weit auf der Seite; Mund und Kinn auffallend klein. Mit zarter Hand glättete Mercy das aufgelöste Haar und ordnete die zerdrückten Kleider. »Vor kaum fünf Minuten«, dachte sie bei sich selbst, »wünschte ich sehnlichst, mit dir tauschen zu können!« Sie wendete sich seufzend vom Bett ab. »Ich wollte, ich könnte jetzt tauschen!«

      Die Stille fing an, ihr drückend zu werden. Sie schritt langsam an das andere Ende des Zimmers.

      Der Mantel auf dem Boden – ihr eigener Mantel, den sie Miss Roseberry geliehen hatte, erregte ihre Aufmerksamkeit, als sie daran vorbeischritt. Sie hob ihn auf, bürstete den Staub davon ab und hing ihn über den Stuhl. Dann setzte sie das Licht wieder auf den Tisch und ging an das Fenster, um auf die ersten Laute zu horchen, die das Heranrücken der Deutschen verkünden würden. Der Wind strich leise durch

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