Die neue Magdalena. Уилки Коллинз
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Mercy rief sich das Gespräch ins Gedächtnis zurück, das zwischen ihr und ihrer unglücklichen Gefährtin geführt worden war. Miss Roseberry hatte von dem Zweck ihrer Rückkehr nach England gesprochen. Sie hatte einer Dame Erwähnung getan – einer angeheirateten Verwandten, der sie persönlich fremd war – die sie aufnehmen wollte. Jemand, der im Stande wäre, die Art und Weise zu erzählen, wie das arme Geschöpf vom Tode überrascht worden war, sollte doch wohl dieser ihrer einzigen Bekannten deshalb schreiben. Wer konnte dies tun? Niemand anderer, als die einzige zurückgebliebene Zeugin der ganzen Katastrophe – Mercy selbst.
Sie nahm den Mantel vom Stuhle, auf den sie ihn vorhin gelegt hatte, und zog aus der Tasche die lederne Brieftasche, welche Grace ihr gezeigt hatte. Das einzige Mittel, um die Adresse zu erfahren, an die sie in England schreiben sollte, war, die Brieftasche zu öffnen und die darin befindlichen Papiere durchzusehen. Mercy öffnete die Tasche – und hielt inne, denn sie fühlte ein sonderbares Widerstreben, die Nachforschung noch weiter fortzusetzen.
Nach kurzem Überlegen sah sie beruhigt ein, dass ihre Bedenken hier nicht am Platze waren. Wenn sie auch die Brieftasche unverletzt bewahrte, die Deutschen würden sicherlich nicht zaudern, sie zu durchsuchen, und die Deutschen würden sich dann wohl schwerlich die Mühe nehmen, nach England zu schreiben. Welche Augen waren somit berufener, die Papiere der verstorbenen Dame zu prüfen – die Augen von Männern und dazu fremden, oder die Augen ihrer eigenen Landsmännin? Mercy zauderte nicht mehr. Sie leerte den Inhalt der Brieftasche auf den Tisch.
Diese nichtssagende Handlung wurde jedoch entscheidend für den ganzen, weiteren Verlauf ihres Lebens.
4.
Eine Versuchung
Einige Briefe, mit einem Band zusammengebunden, fesselten zunächst Mercys Aufmerksamkeit. Die Tinte, mit der die Adressen geschrieben waren, zeigte sich vor Alter verblichen. Die Briefe waren abwechselnd an den Oberst Roseberry und an die wohlgeborene Mistress Roseberry gerichtet und erwiesen sich sonach als eine Korrespondenz zwischen den beiden Gatten aus einer Zeit, als der Oberst durch seine militärischen Verpflichtungen genötigt war, vom Hause abwesend zu sein. Mercy band die Briefe wieder zusammen und wendete sich zu den ihrer Hand zunächstliegenden Papieren.
Diese bestanden aus einigen zusammengesteckten Blättern, überschrieben in einer Frauenschrift: »Mein Tagebuch in Rom.« Eine kurze Prüfung zeigte ihr, dass das Tagebuch von Miss Roseberry geschrieben worden, und dass es hauptsächlich der Erinnerung an die letzten Lebenstage ihres Vaters geweiht war.
Nachdem Mercy das Tagebuch und den Briefwechsel wieder in die Tasche gesteckt hatte, blieb nur ein Papier noch auf dem Tische, und dies war ein Brief. Der Umschlag, der nicht zugeklebt war, trug die folgende Adresse: »Lady Janet Roy, Mablethorpe-House, Kensington, London.« Mercy nahm aus dem offenen Umschlag die Einlage heraus. Gleich die ersten Zeilen, die sie las, belehrten sie, dass sie den Empfehlungsbrief des Obersten gefunden habe, durch welchen dieser seine Tochter bei ihrer Ankunft in England ihrer Beschützerin empfiehlt.
Mercy las den Brief durch. Der Schreiber nannte ihn die letzte Anstrengung eines Sterbenden. Oberst Roseberry schrieb liebevoll über die Vorzüge seiner Tochter und mit wahrem Kummer über ihre vernachlässigte Erziehung, welch letztere er hauptsächlich den pekuniären Verlusten zur Last legte, die ihn gezwungen hatten, als ein armer Mann nach Kanada auszuwandern. Dann folgten warme Ausdrücke der Dankbarkeit für die Person Lady Janets. »Ich verdanke es Ihnen nur«, so schloss der Brief, »dass ich hinsichtlich der Zukunft meines geliebten Kindes mit leichtem Herzen sterben kann. Ihrem edlen Schutz empfehle ich den einzigen Schatz, den ich auf Erden zurücklasse. Ihr ganzes Leben hindurch haben Sie in edelster Weise Ihren hohen Rang und Ihr großes Vermögen nur dazu benutzt, um Gutes zu tun. Ich hoffe, es wird demnach nicht die geringste ihrer guten Taten sein, die letzten Stunden eines alten Soldaten dadurch verklärt zu haben, dass Sie Herz und Haus seinem einsam stehenden Kinde geöffnet haben.«
So endete der Brief. Mercy legte ihn mit schwerem Herzen nieder.
Welches Glück hätte das arme Mädchen erwartet! Eine Frau vom hohen Rang und Vermögen war bereit, sie aufzunehmen, eine so wohlwollende, so hochherzige Frau, dass das Vaterherz auf dem Totenbett über das Schicksal seines Kindes beruhigt sein konnte – und nun lag das Kind da, der Güte Lady Janets für immer entrückt, ihres Schutzes nicht mehr bedürfend.
Das Schreibzeug des französischen Kapitäns war auf dem Tische zurückgeblieben. Mercy wendete den Brief um, und dachte auf die reine Seite am Ende desselben die Nachricht von Miss Roseberrys Tod zu schreiben. Sie überlegte eben noch, mit welchen Worten sie dies tun wollte, als aus dem anstoßenden Raum Geräusch von murrenden Stimmen an ihre Ohren drang. Die zurückgelassenen Verwundeten ächzten nach Hilfe, den verlassenen Soldaten sank zuletzt der Mut.
Sie trat in die Küche. Ein Ausruf des Entzückens empfing sie von allen Seiten; ihr bloßes Erscheinen beruhigte die Kranken. Sie trat von einem Strohlager zum anderen, sprach zu jedem einige tröstende Worte, die ihre Hoffnung von neuem erweckten und linderte mit zarter, geübter Hand ihre Schmerzen. Sie küssten den Saum ihres schwarzen Kleides, und nannten sie ihren Schutzengel, wenn die schöne Gestalt sich unter ihnen bewegte und ihr sanftes, mitleidvolles Gesicht sich über ihre harten Kissen herabbeugte. »Ich bin bei euch, wenn die Deutschen kommen«, sagte sie, als sie sich anschickte, zu ihrem ungeschriebenen Briefe zurückzukehren. »Fasst Mut, meine lieben Freunde! Eure Pflegerin verlässt euch nicht.«
»Ja, Mut, Madame!« erwiderten die Männer. »und Gott segne sie!«
Wenn in diesem Augenblicke das Beschießen vom neuen begonnen hätte, wenn eine Kugel sie zu Tode getroffen hätte, wie sie eben den Kranken und Betrübten ihren Beistand lieh, hätte da wohl irgend ein christliches Gericht gezögert, dies Weib für des Himmels würdig zu erklären? Aber, wenn der Krieg zu Ende war, und sie blieb am Leben, wo war dann ihr Platz auf Erden? Wo war ihre Zukunft? Wo war ihre Heimat?
Sie kehrte zum Briefe zurück. Jedoch, anstatt sich niederzusetzen, um zu schreiben, stand sie beim Tisch und sah geistesabwesend auf das Stück Papier.
Ein merkwürdiger Gedanke hatte sich bei ihrem Wiedereintritt in das Zimmer in ihr geregt; sie selbst musste über seine Tollheit lächeln. Wie wäre es, wenn sie Lady Janet Roy darum bäte, sie an Miss Roseberrys Stelle treten zu lassen? Sie war mit Miss Roseberry unter kritischen Umständen zusammengetroffen, und sie hatte alles für sie getan, womit ein Mensch dem anderen helfen konnte. In diesem Umstand lag etwas wie ein Anspruch, wenn vielleicht Lady Janet keine andere Gesellschafterin und Vorleserin im Auge hätte. Angenommen, sie wagte es, so ihre eigene Sache zu führen – was würde die edle und gütige Dame tun? Sie würde zurückschreiben und sagen: »Senden Sie mir Zeugnisse über Ihren Charakter und ich will sehen, was ich tun kann.« Ihr Charakter! Ihre Zeugnisse! Mercy lachte bitter auf und setzte sich, um mit möglichst wenig Worten nur das Nötigste – das einfache Konstatieren des Faktums aufzuschreiben.
Nein! Sie war nicht im Stande, auch nur eine Zeile zu schreiben. Ihre plötzliche Idee ließ sich nicht so nach Belieben abweisen. Ihr Geist war gerade deshalb nur um so geschäftiger, mit lebhafter Phantasie ein Bild von der Schönheit von Mablethorpe-House, von der Bequemlichkeit und Eleganz des Lebens, das dort geführt wurde, zu entwerfen. Sie gedachte nochmals des Glückes, welches Miss Roseberry entgangen war. Unglückliches Wesen! Welch eine Heimat hätte sich ihr eröffnet, wenn die Granate an der Seite des Fensters, statt an der gegen den Hof zu eingeschlagen hätte!
Mercy schob den Brief von sich weg und schritt ungeduldig im Zimmer auf und ab.
Die Tücke ihrer Gedanken war jedoch auf diesem Wege nicht zu bemeistern. Ihr Geist machte