Ein tiefes Geheimniss. Уилки Коллинз
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Читать онлайн книгу Ein tiefes Geheimniss - Уилки Коллинз страница 23

»Ist der Verlust deiner Mutter die einzige traurige Erinnerung, die er an diesen Platz hat?«
»Nicht ganz. Es gibt auch noch etwas, was niemals erwähnt worden ist, aber was ich dir erzählen kann, weil keine Geheimnisse zwischen uns bestehen dürfen. Meine Mutter hatte nämlich eine Lieblingsdienerin, welche von der Zeit ihrer Verheiratung an bei ihr gewesen und die zufällig die einzige im Zimmer anwesende Person war, als sie starb. Ich entsinne mich noch dieses Frauenzimmers in unklarer kindischer Weise. Sie war sonderbar in ihrer äußern Erscheinung und in ihrem Benehmen, und kein großer Günstling bei irgend jemand im Hause, ausgenommen bei ihrer Herrin. An dem Morgen des Todestages meiner Mutter verschwand diese Dienerin nun auf die seltsamste Weise aus dem Hause, indem sie einen höchst eigentümlichen und geheimnisvollen Brief an meinen Vater zurückließ, worin sie behauptete, es sei ihr in den letzten Augenblicken meiner sterbenden Mutter ein Geheimnis anvertraut worden, welches sie beauftragt sei, ihrem Herrn mitzuteilen, sobald ihre Herrin nicht mehr wäre. Sie fügte hinzu, sie scheue sich, von diesem Geheimnis zu sprechen, und um allem Ausfragen darnach auszuweichen, habe sie beschlossen, das Haus auf immer zu verlassen. Sie war auch wirklich schon einige Stunden fort, als der Brief gefunden und geöffnet ward, und man hat seit dieser Zeit nie wieder etwas von ihr gesehen oder gehört. Dieser Umstand schien auf das Gemüt meines Vaters einen fast ebenso starken Eindruck zu machen wie der Tod meiner Mutter. Unsere Nachbar- und Dienstleute glaubten alle – ebenso wie ich – daß diese Person nicht recht bei Verstande gewesen sei, mein Vater aber war dieser Ansicht nicht und ich weiß, daß er den Brief von jener Zeit an bis jetzt weder vernichtet noch vergessen hat.«
»Ein seltsamer Umstand, Rosamunde – ein sehr seltsamer Umstand und ich wundre mich nicht, daß derselbe einen dauernden Eindruck auf ihn gemacht hat.«
»Verlaß dich darauf, Lenny, die Diener und die Nachbarn hatten Recht – das Weib war nicht recht bei Sinnen. Auf jeden Fall war es aber ein eigentümliches Ereignis in unserer Familie. Alle alten Häuser haben ihre Romantik und dies ist die Romantik unseres Hauses. Es sind aber seitdem viele Jahre vergangen und teils in Folge der Zeit, teils in Folge der Veränderungen, die wir vorzunehmen in Begriff stehen, fürchte ich nicht, daß mein guter, lieber Vater unsere Pläne vereiteln werde. Gib ihm einen neuen nördlichen Garten in Porthgenna, wo er, wie er es nennt, auf dem Deck herumspazieren kann – gib ihm neue nördliche Zimmer, um darin zu wohnen – und ich stehe für das gute Ergebnis. Doch alles dies gehört der Zukunft an; laß uns jetzt zur Gegenwart zurückkehren. Wann werden wir unsern fliegenden Besuch in Porthgenna machen, Lenny, und uns in die wichtige Aufgabe stürzen, Mr. Horlocks Kostenanschlag über die Reparaturen in gehörige Schranken zu bannen?«
»Wir haben noch drei Wochen hier zu bleiben, Rosamunde.«
»Ja, und dann müssen wir nach Long Beckley zurückkehren. Ich versprach jenem besten und dicksten aller Männer, dem Vikar, daß wir unsern ersten Besuch bei ihm abstatten würden. Unter drei Wochen oder einem Monat läßt er uns ganz gewiß nicht fort.«
»In diesem Falle wird es am besten sein, wenn wir sagen, daß unser Besuch in Porthgenna in zwei Monaten, von jetzt an gerechnet, stattfinden solle. Ist deine Schreibmappe im Zimmer, Rosamunde?«
»Ja, sie liegt dicht neben uns auf dem Tische.«
»Nun dann schreib an Mr. Horlock und bestimme eine Zusammenkunft nach zwei Monaten in dem alten Hause. Sage ihm auch, da wir uns unsicheren Treppen nicht anvertrauen könnten – besonders in Erwägung, daß ich auf Geländer angewiesen bin – so solle er die westliche Treppe unverweilt in Stand setzen lassen. Und da du dann einmal die Feder in der Hand hast, so wird es dir vielleicht künftige Mühe sparen, wenn du gleich ein zweites Briefchen an die Haushälterin in Porthgenna schreibst und ihr meldest, wenn sie uns erwarten kann.«
Rosamunde setzte sich heiter an den Tisch und tauchte mit einer kleinen triumphierenden Bewegung die Feder in die Tinte.
»In zwei Monaten,« rief sie fröhlich, »in zwei Monaten soll ich den lieben alten Ort wiedersehen! In zwei Monaten, Lenny, werden unsere profanen Füße in den Einöden der nördlichen Zimmer den Staub aufwirbeln.«
Sechstes Kapitel
Timon von London
Timon von Athen zog sich von der undankbaren Welt in eine Grotte am Meeresstrande zurück. Timon von London flüchtete sich vor seines Gleichen in ein vereinzelt stehendes Haus in Bayswater.
Timon von Athen machte seiner Misanthropie in prachtvollen Versen Luft – Timon von London gab seine Gefühle und Meinungen in schäbiger Prosa zu erkennen.
Timon von Athen hatte die Ehre, »mein hoher Herr« genannt zu werden – Timon von London ward nur als »Mr. Treverton« angeredet.
Die einzige Ähnlichkeit, welche diesen mehrfachen Kontrasten zwischen den beiden Timons entgegengesetzt werden konnte, bestand darin, daß ihre Menschenfeindlichkeit wenigstens echt war. Beide waren unverbesserliche Menschenhasser.
Andrew Trevertons Charakter hatte von seiner Kindheit an jene stark unterscheidenden, einander widerstreitenden und oft in Konflikt geratenden Kennzeichen von Gut und Schlecht dargeboten, welche die Sprache der Welt nach ihrer sorglosen verächtlichen Weise in das einzige Wort exzentrisch zusammenfaßt.
Es gibt wahrscheinlich keinen bessern Beweis von der Richtigkeit jener Definition vom Menschen, welche ihn als ein nachahmendes Tier beschreibt, als den, der in der Tatsache liegt, daß das Urteil der Welt stets gegen jedes einzelne Individuum gerichtet ist, welches sich herausnimmt, von den übrigen abzuweichen.
Ein Mensch ist ein Bestandteil einer Herde und seine Wolle muß von der allgemeinen Farbe sein. Er muß trinken, wo die übrigen trinken, und grasen, wo die übrigen grasen. Wenn die andern durch einen Hund erschreckt werden und fortrennend mit dem rechten Beine zuerst die Flucht ergreifen, so muß auch er durch einen Hund erschreckt werden und bei der Flucht sich ebenfalls des rechten Beins zuerst bedienen. Erschrickt er nicht oder ergreift, wenn er auch erschrickt, doch die Flucht nicht in derselben Weise wie die übrigen, so wird dies sofort als ein Beweis betrachtet, daß es mit ihm nicht ganz richtig ist.
Es gehe nur einer mittags mit vollkommener Gelassenheit in seinen Mienen und ganz anständig in seinem Benehmen, ohne den mindesten Anschein von Geistesverwirrung in seinen Augen oder in seinem Wesen, aber ohne Hut, von dem einen Ende der Oxfordstreet bis zum andern, und man frage dann einen Jeden der Tausende von huttragenden Leuten, an welchen er vorübergeht, was sie von ihm denken. Wie viele werden sich dann wohl enthalten, sofort zu erklären, er sei übergeschnappt, obschon sie keinen andern Beweis dafür haben als seinen unbedeckten Kopf?
Ja, noch mehr – man lasse ihn höflich einen jeden dieser Vorübergehenden anreden und ihm in den schlichtesten Worten und in der verständigsten Weise auseinander setzen, daß sein Kopf sich ohne Hut weit leichter und behaglicher fühlt als mit einem solchen, wie viele seiner Mitmenschen, welche bei der ersten Begegnung mit ihm erklärten, er sei übergeschnappt, werden, nachdem sie diese Erklärung vernommen, anderer Meinung sein, wenn sie sich von ihm trennen? In der überwiegenden Mehrheit der Fälle würde die Erklärung selbst als ein ganz vortrefflicher neuer Beweis betrachtet werden, daß der Verstand des hutlosen Mannes unbestreitbar gelitten habe.
Da Andrew Treverton gleich beim Beginn des Lebensmarsches mit der übrigen Mannschaft des sterblichen Regiments nicht Schritt hielt, so mußte er auch gleich von seinen frühesten Tagen an die Strafe für diese Unregelmäßigkeit bezahlen. In der Kinderstube war er ein Phänomen, in der