Finanzkrise. Reiner Osbild
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Wie auch der billige Kredit der letzten 15 Jahre verwendet wurde – er trieb die Löhne und Preise in den Südländern nach oben. Ausgehend von einigen Boombranchen konnten die Arbeitnehmer hohe Lohnsteigerungen durchsetzen, die die Produzenten an ihre Abnehmer weiterreichten. Im Endeffekt stiegen die Preise der in den GIIPS-Staaten erzeugten Güter zwischen 1995 und 2008 um 24 Prozent stärker als im »Norden« – dessen Güter für die Verbraucher im »Süden« folglich immer attraktiver wurden.18 Das sonnige Griechenland importierte am Ende gar Tomaten aus den verregneten Niederlanden. Sicherlich waren die Inflationsraten längst nicht mehr so hoch wie in der Vor-Euro-Ära, doch es fehlte das für die Exportwirtschaft so wichtige Korrektiv des Wechselkurses. Wenn sich also das Kilogramm portugiesische Pfirsiche um 10 Prozent von 1 Euro auf 1,10 Euro verteuerte, so kam dieser höhere Preis voll und ungeschminkt beim Verbraucher im Norden an – der sich sogleich nach preiswerteren Lieferanten umsah.
Die aus der sinkenden Wettbewerbsfähigkeit resultierende Leistungsbilanzkrise trägt heute wesentlich zur hohen (Jugend-)Arbeitslosigkeit in Südeuropa bei.
Leistungsbilanzkrise
Die Zahlungsbilanz eines Landes zeichnet alle ökonomischen Transaktionen eines Landes mit dem Ausland auf. Sie ist im Wesentlichen unterteilt in Leistungs- und Kapitalbilanz. Der wichtigste Teil der Leistungsbilanz ist die Handelsbilanz, also Export minus Import von Waren und Dienstleistungen. Ein Leistungsbilanzdefizit besagt, dass mehr importiert als exportiert wird. Dieser Importüberschuss ist indes nicht umsonst zu haben: er muss durch Kapitalimport, also Kreditaufnahme im Ausland, finanziert werden.
Abbildung 2: Chronologie der Krise aus Sicht der Krisenstaaten
Die GIIPS weisen erhebliche Leistungsbilanzdefizite auf, welche wirtschaftshistorisch ihresgleichen suchen.19 Jedoch ist innerhalb der Eurozone mit einer negativen Leistungsbilanz kein Mangel an Devisen verbunden. Da alle mit dem gleichen Geld bezahlen, kann man sich überall im Euroraum die Verschuldungswährung – den Euro – leihen und – noch besser – sogar drucken. Letzteres spiegelt sich in den Target-Salden wider, wir kommen in Punkt I.4 (Seite 31) darauf zurück.
Verschuldung auf allen Ebenen
Private Haushalte, Unternehmen und der Staat verschuldeten sich aber nicht nur im Ausland; auch im Inland wuchs der Kreditbestand rasch in ungeahnte Höhen. Bald schon erwies sich das Ausmaß der privaten und öffentlichen Verschuldung als nicht mehr tragbar. Im Einzelnen:
Private Schuldenkrise
Dieses Phänomen trifft insbesondere auf Spanien und Irland zu. Beflügelt von niedrigen Zinsen kam es dort zu einem Immobilienboom, der in eine Blase mündete. Das bedeutet, zu viele Wohneinheiten wurden gebaut, es setzte ein Preisverfall ein, und zahlreiche Schuldner konnten ihre Bankkredite nicht mehr bedienen. Spanien hat allein private Auslandsschulden in Höhe von fast einer Billion Euro (eine Million Millionen, eine Zahl mit 12 Nullen), 20 mehr als alle anderen Krisenstaaten zusammen. Hinzu kommen noch hohe Schulden bei heimischen Banken. Irland, um das zweite Beispiel zu nennen, hat einen privaten Kreditbestand von 300 Prozent des irischen BIP, doppelt so hoch wie die USA, und circa dreimal so hoch wie Deutschland.21
Abbildung 3: Öffentliche Verschuldung der Eurozone in Prozent des BIP 201322
Staatsschuldenkrise
Obwohl der Maastricht-Vertrag eine Obergrenze für die Staatsverschuldung in Höhe von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes festsetzte, liegt der aktuelle Schuldenstand der Eurozone insgesamt bei über 94 Prozent, also im Durchschnitt (!) um 34 Prozentpunkte zu hoch. Empirischen Untersuchungen zufolge vermindert sich ab dieser Schwelle das gesamtwirtschaftliche Wachstum (vgl. Kap. III.1, S. 63). Besonders negativ stellt sich die Lage in Griechenland dar, doch auch im Falle von Portugal und Italien haben wir es in erster Linie mit einer Verschuldungskrise der öffentlichen Hand zu tun.
Bankenkrise
Da Banken an der Schnittstelle zwischen Kreditnehmern und Kreditgebern stehen, gibt es in der Eurozone auch eine mehr oder weniger latente Bankenkrise. Idealtypisch sind Banken für die Finanzierung der Realwirtschaft zuständig. Banken sollen nämlich das Geld der Sparer an Kreditnehmer weiterleiten. Kreditnehmer sind die Unternehmen, die ihre Investitionen finanzieren müssen, der Staat sowie andere Haushalte, insbesondere die »Häuslebauer«. Wenn diese Akteure sich übernehmen und die Kredite nicht mehr bedienen können, dann bleiben die Banken auf faulen bzw. »notleidenden« Krediten (englisch: non-performing loans, kurz NPL) sitzen. Hinzu kamen zum Teil eigene exzessive Spekulationen. Damit drohten sie andere Banken mit in den Abgrund zu ziehen und zudem in ihrer Rolle als Kreditversorger der gewerblichen Wirtschaft auszufallen.
Abbildung 4: Typen von Krisen
Mit massiver Unterstützung aus den Rettungsfonds wurden zahlreiche Institute vor der Insolvenz bewahrt. Beispielsweise flossen aus dem EFSF bereits 41 Mrd. Euro direkt an griechische Banken, allein 27,5 Mrd. Euro an die vier größten Institute des Landes.23 Darüber hinaus hat auch die EZB zur Rettung der Banken beigetragen, indem sie im Übermaß billige Liquidität zur Verfügung stellte.
Banken stehen am Knotenpunkt der Finanzströme; dort bündeln sich die Probleme der anderen Sektoren wie in einem Brennglas. Ein Folgeproblem kann das Verhalten der Bankkunden werden, wenn diese aus Angst vor einer Schieflage ihre Einlagen abziehen. Einen solchen »Bank Run« musste im Herbst 2008 die englische Bank und Bausparkasse Northern Rock über sich ergehen lassen; sie wurde schließlich verstaatlicht.
Angeschlagene Banken kommen ihrer Hauptaufgabe, den Unternehmenssektor zu finanzieren, nicht mehr nach. Sie scheuen sich, (neue) Kreditrisiken in ihre Bücher zu nehmen. Ist das Eigenkapital ohnehin schon durch Verluste auf Staatsanleihen oder Immobilienkredite geschrumpft, dann dürfen sie das auch gar nicht, weil es regulatorische Mindestanforderungen gibt. Die komplizierten Regelwerke »Basel II« und »Basel III« zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Buchs sprengen. Jedenfalls müssen die Banken umso mehr Eigenkapital bereithalten, je höher die Risiken der verauslagten Kredite und Investments sind. Die Risiken werden entweder intern gemessen oder extern durch eine Ratingagentur wie Fitch, Standard & Poors oder Moody ’s. Interessant ist dabei: Staatsanleihen gelten regulatorisch als risikolos und müssen nicht mit Eigenkapital unterlegt werden, weder nach altem noch nach neuem Recht. Der Gesetzgeber diskriminiert damit privatwirtschaftliche Wertpapiere gegenüber öffentlichen Anleihen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Während bei den Leistungsbilanzdefiziten der ein oder andere Silberstreif am Horizont sichtbar wird, schwelt die Bankenkrise schwerer denn je.24 Es ist keine Trendwende in Sicht: Der Anteil der faulen Kredite (NPL) in Griechenland wird auf 40 Prozent aller ausstehenden Forderungen geschätzt. Das wäre die ungeheure Summe von 95 Mrd. Euro.25 Irlands NPL könnten gar ein Drittel des irischen BIP erreichen.26 Zwar hat das Land jüngst den Euro-Rettungsschirm verlassen, dürfte jedoch auf neue finanzielle Hilfen im Rahmen der Bankenunion hoffen.
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