Leni Behrendt Staffel 2 – Liebesroman. Leni Behrendt
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Sie zuckte zusammen, als die Schlösser des Koffers einschnappten. Ungemein aufreizend klang es, so als wollte der Mann damit ausdrücken, daß er nun sein Bündel geschnürt hätte, um damit einen Weg zu wandern, der weit ab von dem ihren führte.
Dann ging er hinaus.
Als er nach Stunden zurückkehrte und zu Bett ging, stellte Lenore sich schlafend. Ach, wenn sie es doch wirklich könnte! Aber sie lag schlaflos da, starrte in die Dunkelheit und zergrübelte sich das Hirn, was nun werden sollte.
Sie hatte Angst, eine bebende Angst vor der Zukunft. Für die wenigen Minuten, da sie die Beherrschung verlor und ihm entgegenschrie, was sie so lange schweigend erduldet hatte, würde sie schwer büßen müssen.
Erst beim Morgengrauen schlief sie ein, und zwar so fest, daß sie nicht merkte, wie der Gatte aufstand. Erst als sie die Stimme der Schwiegermutter hörte, die im Korridor laut und wortreich den Sohn verabschiedete, da schreckte sie auf.
Er war gegangen, wirklich gegangen, ohne ihr Lebewohl zu sagen.
Doch nein, nicht ganz so. Lenore entdeckte auf ihrem Nachttisch einen Umschlag, den sie mit zitternden Fingern aufriß und dann die wenigen Zeilen las.
Du wirst bei meiner Mutter bleiben, bis ich zurückkomme, das befehle ich Dir! Alles Weitere wird sich dann finden.
Ralf
Und dem Brief lag das Geld bei – ihre Weihnachtsgabe an ihn.
So schieden zwei Menschen, die sich doch eigentlich aus Liebe geheiratet hatten. Und die gewiß glücklich gelebt hätten, wenn sie es zu zweit hätten tun dürfen.
*
Und nun begann für die junge Frau eine Leidenszeit, die sie kaum ertragen konnte. Immer wieder spielte sie mit dem Gedanken, ihrem armseligen Leben einfach ein Ende zu machen, schreckte aber immer wieder davor zurück. Denn was sie vermutet hatte, war nun zur Gewißheit geworden.
Ihr Leben zu vernichten, wäre ihre eigene Angelegenheit gewesen, aber bei dem keimenden Leben, das sie in sich trug, hielt sie es für Mord.
Allmählich stumpfte sie so ab, daß ihr alles gleichgültig war. Sie verrichtete in ihrem Zustand nicht nur die gesamte Hausarbeit, sondern schleppte auch Brennmaterial aus dem Keller, wusch die große Wäsche, alles Arbeiten, bei denen sie zu Schaden kommen konnte.
Es war an einem bitterkalten Tag Anfang Februar, als Lenore zur großen Wäsche befohlen wurde. Sie war gerade dabei, einen Korb voll davon in die Waschküche zu tragen, als ihr so schwindlig wurde, daß sie haltsuchend nach dem Treppengeländer griff, wobei sie den Korb fallen ließ, der mit großem Gepolter die Treppe hinabsauste.
Das hörte man in der Parterrewohnung, wo man gerade beim Frühstück saß.
»Was war denn das?« fuhr Herr Warteck samt Gattin und Schwiegertochter erschrocken hoch. »Es hörte sich fast so an, als wäre jemand die Treppe heruntergefallen.«
Schon sprangen sie auf, eilten in den Flur und bemerkten zuerst einmal den Korb, der seines Inhalts entledigt dalag. Und als die Blicke weiterschweiften, erfaßten Sie auch Lenore, die sich krampfhaft arn Geländer festhielt. Das Gesicht erschreckend blaß, die Augen wie erloschen.
Gleich darauf wurde die regungslose Gestalt von hilfreichen Armen umfaßt und vorsichtig in das Wohnzimmer geführt, wo Frau Warteck das elende Geschöpf behutsam in den Sessel drückte.
»Frau Skörsen, was haben Sie denn?« fragte sie leise, »Sie sind ja weiß wie die Wand.«
»Mir – wurde – schwindlig«, tropften die Worte langsam von den Lippen. »Aber das – vergeht – wieder.«
»Dann haben Sie es schon öfter gehabt?«
»Ja, das gehört wohl zu – meinem – Zustand.«
Die drei Menschen warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu.
Mütterlich streichelte Frau Warteck über das goldschimmernde Köpfchen und sagte mit leisem Vorwurf:
»Aber Kindchen, dann dürfen Sie doch nicht so schwere Körbe schleppen! Das sollte der Herr Gemahl nun wirklich nicht dulden, schon gar nicht als Arzt.«
»Er ist ja nicht da und weiß außerdem von meinem Zustand noch nichts.«
»Und die Schwiegermutter?«
»Auch nicht. Und wenn, würde sie bestimmt keine Rücksicht darauf nehmen.«
»Sieht der Menschenschinderin ähnlich«, brummte der alte Herr. »Was sie nämlich mit Ihnen treibt, kann man nur mit Schinderei bezeichnen. Die ganze Nachbarschaft hält sich schon darüber auf. Wenn der Herr Doktor zurückkommt, wird sich schon jemand finden, der den Mut hat, ihm über seine von ihm so verehrte Mutter die verblendeten Augen zu öffnen. Ich aber werde sofort zu der Megäre gehen und ihr gehörig den Marsch blasen.«
»Bitte, nicht!« hielt Lenore ihn angstvoll am Ärmel zurück. »Ich müßte ja doch nur dafür büßen.«
»Sie hat recht«, bestätigte Frau Warteck, ein liebes, betuliches Muttchen, das man sich beim besten Willen nicht als böse Schwiegermutter vorstellen konnte, und die es gewiß auch nicht war. Sie liebte ihre Schwiegertochter wie ein eigenes Kind und begriff es einfach nicht, daß es auch anders sein könnte.
»Lenore!« drang jetzt eine laute, scharfe Stimme bis zu ihnen hin. Erschrocken sprang Lenore auf und hastete davon.
»Na, wenn einem da nicht der Kragen platzen soll, dann gibt es sowas überhaupt nicht«, knurrte Herr Warteck wie ein gereizter Kettenhund. »Und es findet sich keiner, der dieses bedauernswerte Geschöpfchen aus den Krallen dieser Bestien befreit. Alle sind zu feige dazu – auch wir.«
»Mann, es tut nicht gut, sich in die Angelegenheiten seiner Mitmenschen zu mischen.«
»Ach was!« sagte er unwirsch. »Es gibt ja sogar Tierschutzvereine... Halt mal, zetert die alte Scharteke da oben nicht wieder? Das höre ich mir jetzt nicht mehr länger mit an. Ich werde ihr so fünf Minuten lang das Leben bestimmt nicht lieb machen.«
Zornig stampfte er ab, doch schon hängten Gattin und Schwiegertochter sich an seinen Armen.
»Alter, mach keine Dummheiten!« bat Frau Warteck beschwörend. »Wenn du denen da oben Grobheiten sagst, schadest du dem armen Ding mehr, als du ihm nützt. Wir wollen erst mal sehen, was da überhaupt los ist.«
Spaltbreit öffnete sie die Korridortür, und nun konnte man jedes Wort hören, das gesprochen wurde.
»Beeil dich gefälligst, damit ich sehen kann, daß du auch wirklich in die Waschküche gehst!« schrillte die Stimme Frau Rosalias, die gleich der Tochter zum Ausgehen gekleidet auf der halben Treppe stand, die Lenore nun hinabhastete. Wobei sie das Pech hatte, im Vorbeigehen der Schwägerin auf den Fuß zu treten, was diese so erboste, daß sie der jungen Frau einen harten Stoß versetzte.
»Kannst du nicht aufpassen, du Tolpatsch!«
Weitere Betitelungen erstarben ihr im Mund, denn Lenore stolperte, griff ins Leere und fiel die letzten Stufen hinunter, wo sie reglos liegenblieb.
Aber