Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Stefan Zweig - Стефан Цвейг страница 10
JEREMIAS (aus der Menge wild aufschreiend):
Nicht höret auf ihn! Nicht höret auf ihn –! Nicht höret auf ihn!
(DIE MENGE weicht im Tumult auseinander. Jeremias wird mitten in der erregten Masse sichtbar. Er arbeitet sich gegen die Stufen zu der Stelle empor, wo Hananja spricht.)
STIMMEN:
Wer redet… wer ist dieser… was für Rede… was sagt er… wer ist er…
JEREMIAS:
Nicht höret ihn, nicht höret denen zu, die euch nach dem Munde reden, tut ab die Schlingen seiner Worte! Nicht höret die Gleisner, die euch ins Schlüpfrige stoßen, nicht tappet in die Netze der Vogelsteller, nicht lausche, Jerusalem, den Lockpfeifern des Krieges!
PASHUR (sich aufrichtend):
Wer redet in der Menge?
HANANJA:
Wer redet wider den Herren? Hervor aus dem Dunkel!
JEREMIAS (sich vorstoßend):
Es redet die Angst, und es schreit das Bangen um Jerusalem, die Schrecknis tut auf ihren Mund. Für Israel spreche ich und um Israels Leben!
STIMMEN:
Wer ist er… ich kenne ihn nicht… es ist keiner von den Profeten… ich kenne ihn nicht… wer ist es…
EINE STIMME:
Jeremias ist es von den Priestern zu Anathoth.
STIMMEN:
Wer ist Jeremias… wer ist er… was wollen die zu Anathoth in Jerusalem… der Sohn Hilkias ist es… wer ist er… was will er…
PASHUR (zu Jeremias, der die Stufen emporgestiegen ist):
Fort von des Tempels Stufen! Den Gesandten Jahves, den Gottesmännern und Profeten ist allein verstattet die heilige Schwelle! Uns allein ist es, Gottes Wille zu künden!
JEREMIAS:
Wer ist so vermessen, daß er sich unterfange, ihm allein habe der Herr die Weisheit zugeteilt und das Geheimnis seines Willens! Nur in Träumen spricht Gott zu den Menschen, und auch mir hat er Träume gesandt. Mit Entsetzen hat er gefüllt meine Nächte und mich wach gemacht in die Zeit, er hat mir einen Mund gegeben, daß ich rede, und eine Stimme, daß ich schreie. Er hat die Angst in mich eingetan, daß ich sie über euch werfe wie ein brennend Tuch, und ich will sagen meine Angst um Jerusalem, ich will schreien meinen Schrei vor dem Volke, ich will künden meine Träume…
BARUCH:
Fort mit den Träumern und Traumdeutern! Wache will die Stunde!
HANANJA:
Wem sind nicht Träume gegeben! Das Tier wälzt sich im Schlafe, und der Sklaven Traum ist mit Bildern voll. Wer hat dich gesalbet, daß du redest vor dem Tempel?
STIMMEN:
Nein… er soll reden… wir wollen ihn hören… ein Wahnwitziger ist er… seine Träume soll er künden… erzähle… offen ist der Markt… frei ist Gottes Haus… sprich, Jeremias…
PASHUR:
Nicht von des Tempels Schwelle! Nicht vor des Tempels Gelaß!
HANANJA:
Ich bin Gottes Profet und keiner sonst in Israel. Auf mich sollet ihr hören und nicht die Schwätzer der Gasse. Weg die Träumer vom Markte!
BARUCH:
Ein Feigling ist er, entlaufen seinen Ängsten.
STIMMEN:
Er soll reden… wir wollen ihn hören… nein, Hananja rede… Hananja… er ist vielleicht gesandt vom Herrn… sprich, Jeremias… warum ihn nicht hören… was hat er geträumt… in Träumen ist oftmals Verkündung… laß ihn reden, Hananja… man wäge ihre Worte… sprich, Jeremias…
JEREMIAS (hat sich emporgeschwungen):
Brüder in Israel, Brüder in Jerusalem, einen Sturm hört ich fahren im Traume wider Zion, und Kriegsvolk wider unsere Mauern, und sie warfen nieder das Gebälk und stürzten die Zinnen, Flamme saß auf den Dächern wie ein rot Tier und fraß leer unsere Hausung. Es war kein Stein mehr, der stund auf dem andern, und eine Wüstung in den Gassen; so viel Tote sah ich liegen wie Kehricht, daß das Herz sich mir wandte im Leibe und die Siegel meines Mundes aufbrachen im Schlaf…
PASHUR:
Wahnwitz schreit von den Stufen des Tempels.
HANANJA:
Fallsucht plaget ihn, und er plaget uns.
BARUCH:
Hinunter mit ihm!
STIMMEN:
Nein, die Träume wollen wir hören… was deuten sie… ein Irrwitziger ist er… ein Narr… fort mit ihm…
JEREMIAS:
Doch da ich wach auffuhr im Schweiße meines Leibes, ihr Brüder, da spottete ich mein, wie diese meiner spotten! Denn war nicht Friede im Lande, ihr Brüder, saß die Stille nicht auf den Mauern und kein Wind rührete sie an? Und ich ging fort vom Hause und schämete mich meines Ängstens und ging her zum Markte, daß ich mich freute des Friedens. Da scholl Jauchzen her, und das Herz brach mir ein inwendig, denn ein Jauchzen war es zum Kriege. Meine Brüder, da ward bitter wie Galle meine Seele, und das Wort sprang mir zum Munde wider meinen Willen, denn saget wahrhaft, ihr Brüder: ist Krieg ein so kostbar Ding, daß ihr ihn lobpreiset? Ist er so gütig, daß ihr ihn ersehnet, ist er so wohltätig, daß ihr ihn grüßet mit der Brunst eures Herzens? Ich aber sage dir, Volk von Jerusalem, ein bös und bissig Tier ist der Krieg, er frißt das Fleisch von den Starken und saugt das Mark von den Mächtigen, die Städte zermalmt er in seinen Kinnladen, und mit den Hufen zerstampft er das Land. Nicht schläfert ihn ein mehr, der ihn weckte, und wer das Schwert zücket, mag leicht selber darein fallen. Weh darum über den Fürwitz, der Streit anhebt ohne Not, denn auf einem Wege wird er ausziehn, und auf sieben wird er rückfliehen, weh denen, die Mord tun am Frieden mit dem Wort! Hüte dich vor ihnen, hüte dich, Volk von Jerusalem!
BARUCH:
Vor den Feiglingen hüte dich, Volk von Jerusalem, vor den Gekauften und Verrätern!
HANANJA:
Wo ist seine Verheißung? Wo Gottes Wort? Für Babel spricht er und Bel.
STIMMEN: