Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг
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Sie blecken die Zähne und lachen betulich:
»Ei, wie haben wir diese erniedrigt,
Wie ward willfährig die Stolze, die Schöne!
Das ist der Tag, des wir haben begehret,
Wir habens erlanget,
Wir habens erlebt!«
ZEDEKIA (zitternd vor Zorn auf ihn, mit geballten Fäusten):
Schweige, du Lügner! Ich kann es nicht hören! Du lügst! Du lügst!
JEREMIAS:
Oh, Jerusalem, heilige Gottesstadt,
Wiege der Völker und Kleinod der Welt.
Wer wird dich rühmen, wer findet dich?
Eine Sage der Zeiten bist du geworden,
Fabel und Sprichwort unter den Völkern,
Oh, ich sehe…
ZEDEKIA:
Nichts wirst du sehen, du Rasender du!
JEREMIAS:
Ich sehe dein Leid, ich seh deinen Tod,
Ich sehe…
ZEDEKIA (ihn wild anfassend und rüttelnd, in höchstem Zorn):
Nichts wirst du sehen! Ich lasse dich blenden!
JEREMIAS (wie in einem fürchterlichen Erwachen ihn anstarrend. Dann plötzlich grell auflachend, in vorbrechender Ekstase):
Mich?!
Du mich blenden, du Ruchloser!? Nein!
Anders hat Gottes Entschluß bestimmt!
Wohl wird einer geblendet sein,
Ehe der Tag noch sein Ende nimmt,
Doch jener, der längst schon verblendet war,
Als sein Auge noch blickte und sah: –
Höre mich, König Zedekia!
(ZEDEKIA hat ihn losgelassen und starrt ihn erschrocken an.)
JEREMIAS (mit beiden Fäusten auf ihn zu):
Dich
Werden sie fassen, des Königs Knechte
Im Hause Gottes, das du verstört,
Sie reißen die Rechte
Dir los vom Altar,
Daran sie zur Hilfe verklammert war!
Du willst dich wehren, sie brechen dein Schwert,
Umtun deine Arme mit eisernen Flechten
Und schleppen
Und schleifen dich über die Treppen,
Wie ein Opfertier mit Peitschen und Schlägen
Jenem entgegen,
Dessen Hand du verstoßen, dessen Joch du zerbrochen
Und der dir ein feuriges Urteil gesprochen!
(ZEDEKIA ist zurückgefahren und hebt wie abwehrend die Hände.)
JEREMIAS:
In die Knie
Knicken sie dich und stoßen dich sie,
Ein Feuer loht knisternd auf rundem Stein,
Vier Hände halten den Blendstahl hinein.
Heiß
Frißt die Hitze
Vom schwarzen Griff sich auf in die Spitze.
Sie glüht! Sie flammt! Sie wird rot! Sie wird weiß!
Und dann
Fassen dich rauh ihre Fäuste an,
Zischend und rauchend
Tauchen
Sie die Nacht dir in dein Auge hinein.
ZEDEKIA (aufschreiend und sich an die Augen greifend, wie ein Geblendeter):
Weh!
JEREMIAS:
Doch eh
Dir noch in einer brennenden Gischt
Von Blut und Tränen dein Blick verlischt,
Mußt du noch sehn
Deine Söhne, die drei, vor dem Henker stehn!
Doch dich halten die Knechte, dich halten die Ketten,
Du kannst sie nicht lösen, du kannst sie nicht retten,
Du kannst nur aufschrein, wie jetzt das Schwert
In den ersten! den zweiten! den letzten fährt!
Du siehst,
Wie ihr Blut, ihr junges, im Kote fließt,
Und siehst,
Eh der rote Stahl dich für immer blendet,
Wie Israels Stamm und Königtum endet.
ZEDEKIA (der, wie ein Blinder tappend, auf das Ruhebett gesunken ist, die Hände flehend aufhebend): Erbarmen! Erbarmen!
JEREMIAS:
So wirst du ins ewige Dunkel schrein,
Doch dir wird kein Helfer im Himmel sein,
Denn Gott erhört
Nie den, der frevelnden Übermutes
Seine Stadt vertan und sein Haus zerstört.
Er wirft dich nieder zu den Würmern und Schlangen,
Die blind am Bauche der Erde hinlangen,
Er wirft dich zum Abhub, zu den Siechen, Verschwärten,
Den Unreinen, zu den Aussatzverzehrten,
Er wirft dich in Abseits, zu Räude und Grind,
Wo die Ausgestoßenen des Volkes sind.
Ein blinder Bettler, der Ärmste der Armen,
Durchstreifst du fremd dein eigenes Land,