Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг
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JEREMIAS (immer heißer):
Wer hat ihn gelästert, wenn nicht er selbst? Zerbrochen hat er seinen Bund, verleugnet seine Schwüre, zerschmissen seine Mauern und verbrannt sein eigen Haus. Er selbst verneinet sich, er selbst ist Gottes Lästerer, er, nur er!
DER ÄLTESTE:
Hört nicht auf ihn! Hört nicht auf ihn! Ein Abgefallener ist er, ein Ausgestoßener, hört nicht auf ihn, ihr Diener des Allmächtigen!
JEREMIAS (immer mehr sich entzündend):
Wer hat ihm gedient wie ich in Israel, wer war sein Knecht so treuselig wie ich in Jerusalems Mauern? Ich habe mein Haus gelassen um seinetwillen im Hasse und meine Mutter im Tode, Freunde habe ich geopfert seiner Liebe und der Frauen Süße seiner Eifersucht! Seinem Willen habe ich mich aufgetan wie ein Weib dem Manne. Das Wort zwischen meinen Zähnen war sein, und das Blut in meinem Leibe, jeder Gedanke war seines Willens Kind und die Träume hinter meinem Schlaf. Ich habe meinen Rücken geboten, die mich schlugen, mein Angesicht verbarg ich nicht vor Hohn und Speichel. Und ich habe gedient, ich habe gedient, weil ich meinte, daß er wenden werde das Unheil durch mich; ich habe geflucht, weil ich meinte, er werde es zum Segen kehren; ich habe gekündet, weil ich meinte, er werde mich zum Lügner machen und werde retten Jerusalem! Aber Wahrheit habe ich gekündet, und nur er ward Lügner an seinem Wort. Wehe, wehe, daß ich so treu gedient dem Treulosen! Da meine Brüder lachten, hat er mich entsendet, daß ich speie auf ihre Freude, und nun, da sie sich ängstigen und sich winden im Krampf ihres Elends, will er, daß ich ihrer lache! Aber ich lache nicht, Gott! Ich lache nicht an meiner Brüder Qual, ich lache nicht! Nicht vermag ich mich zu freuen wie du an dem Jammer der Verschreckten, und der Erschlagenen Geruch duftet mir nicht! Deine Härte ist mir zu hart und zu schwer deine Hand! Ich diene nicht mehr deiner rasenden Rache, ich dien dir nicht mehr. Ich zerreiße den Bund zwischen dir und mir. Ich zerreiße ihn! Ich zerreiße ihn!
STIMMEN (durcheinander):
Er ist rasend… er lästert Gott… fort von ihm… Gott wütet in ihm… Irrwitz hat ihn befallen.
JEREMIAS (über sie hinweg, in wilder Ekstase ins Leere sprechend):
So sprich doch, du finsterer Schweiger, sprich!
Wie ich wider dich zeuge, zeug du wider mich!
Sag an,
Ob je ich meinem Gelöbnis mich wehrte,
Ob je ich gemüdet und aufbegehrte?
So sprich doch, du finsterer Schweiger, sprich,
Raff dich auf vor diesen und sprich wider mich!
Du hast mich gesucht und hast mich gefunden,
Mit Ahnung verschreckt und mit Träumen entzunden,
Und da meine Seele in Flammen stand,
Als Feuerbrand wider mein Volk entsandt;
Was wars, als dein rasender Wille nur,
Daß wie ein Feind ich wider sie fuhr?
Ich war die Drossel, die sie umkrampfte,
Der Huf, der ihren Frieden zerstampfte,
Ich war die Säge, die sie zerkreischte,
Der Stachel, der sie lebendig entfleischte,
Ich war die Schrecknis, die sie erschreckte,
Der Angsttraum, der sie allnächtens erweckte,
Der Brand, der an ihren Knochen fraß,
Der Dorn, der in ihrem Fleische saß,
Ich war der Zänker, der sie schmähte und schmälte,
Der Henker, der sie zerpfählte und quälte,
Und war noch der Hohn, der dann sie verlachte verlachte –
Oh, alles war ich, was dein Irrwitz mich machte,
Denn fühllos wie Feuer und dumpf wie ein Tier,
So diente ich dir! So diente ich dir!
Ich fühlte die Brüder, deren Seele mich suchte,
Und doch! Ich verschloß mich und fluchte und fluchte,
Und ob auch mein Herz sich bäumte und schrie,
Ich zäumte es nieder und züchtigte sie.
STIMMEN:
Im Fieber redet er… zu wem spricht er… er ist rasend… sein Hirn verbrennt… Irrwitz redet er…
JEREMIAS:
Aber ich sage mich los!
Ich tu nicht länger nach deinem Begehr,
Ich rechte nicht mehr und knechte nicht mehr!
Mein Herz ist nicht länger dir Heimstatt und Haus,
Ich stürz dich aus deinen Himmeln hinaus!
Wie du dein Volk, so hab ich dich verstoßen,
Den harten Hasser, den Mitleidslosen,
Denn ein Gott, der Hohn anstatt Hilfe gibt,
Ist nicht wert mehr, daß man ihn kündet und liebt!
Nur wer das Leiden wendet, ist Gott allein,
Nur wer Trost ausspendet, darf Allmacht sein!
Oh, ich weiß es, ich weiß es, nur der ist Profet,
Dessen Hand die ewige Liebe aussäet,
Dessen Seele Flut ist von großem Erbarmen,
Dessen Seele Glut ist von allem warmen
Strömenden Blut, das unschuldig versprengt ist,
Und dessen Herz von unendlicher Liebe versengt ist!
Oh, und ich fühl es, ich fühl es, ich kann einer sein,
Denn die Stimmen, die ungehört auf zu dir schrein,
Sie schlagen wie Flammen in mich hinein!
Mich ruft die Stadt, die du zürnend verbrannt hast,
Mich ruft dein Volk, das du hassend verbannt hast,
Mich rufen die Witwen, die du gezeugt hast,
Mich rufen die Mütter, die du gebeugt hast,
Mich ruft der König, den du geblendet,
Dein Altar, den du dir selber geschändet:
Aus Grüften und Lüften sind klingende Boten
Urmächtigen Leidens mir zugesendet,